Der Widerstand breitet sich aus
Dem kleinen Dorf Hagetmau des von Nafarroa besetzten Akitanien gelingt das Unglaubliche: durch eine List vernichten die Dörfler 140 gegnerische Soldaren und bleiben weiterhin als einzige Gemeinde unbesetzt. ...
Dem kleinen Dorf Hagetmau des von Nafarroa besetzten Akitanien gelingt das Unglaubliche: durch eine List vernichten die Dörfler 140 gegnerische Soldaren und bleiben weiterhin als einzige Gemeinde unbesetzt. Jedoch fordern sie damit einen mächtigen Gegner heraus, der mit seinen sieben mal siebentausend Soldaren gegen das kleine Hagetmau steht und die Rebellion im Keim ersticken will. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, in der die Dorfbewohner so viele besetzte Dörfer wie möglich befreien müssen, um genügend Verbündete im Kampf gegen die nafarroanische Übermacht zu gewinnen. Wird die Revolution gelingen?
Da die Lektüre von Band 1 einige Monate zurückliegt, hatte ich die Befürchtung, dass ich mich womöglich an viele Details nicht mehr erinnern könnte, aber das war unbegründet: bereits nach den ersten Seiten und der Nennung der relevanten Namen kamen die Erinnerungen an die Handlung und Eigenarten der Charaktere zurück. Gab es in Band 1 doch genügend Stoff zum Nachdenken und Spekulieren, der sich in meinen Erinnerungen tief eingeprägt hat.
Hagetmau gelingt am Ende von Band 1 ein überwältigender Befreiungsschlag, allerdings können sie sich auf ihrem Erfolg nicht ausruhen, sind sie doch von besetzten Dörfern umgeben und müssen mit einem Gegenschlag der übermächtigen Besatzer rechnen. Sie sind darauf angewiesen, einen Schutzgürtel von weiteren befreiten Dörfern um sich zu ziehen, bevor Nafarroa die Gelegenheit hat, zum Gegenschlag auszuholen.
Während Hagetmau bisher seinen eigenen Kampf gefochten hat, tragen sie nun die Revolution in die Nachbardörfer, deren Reaktion auf die Befreiung jedoch unterschiedlich ausfällt, je nachdem, wie sich die Besatzer den Dorfbewohnern gegenüber verhalten haben. Außerdem werden die bisherigen führenden Hagetmauer Köpfe mit den Problemen konfrontiert, welche eine wachsende Revolutionsarmee und deren Befehligung mit sich bringen. Auch haben die neuen Verbündeten oftmals eigene Vorstellungen, wie die Revolution aussehen soll. Damit droht die Revolution immer mehr den Händen der Hagetmauer zu entgleiten.
Die neuen Herausforderungen führen bei den führenden Köpfen der Revolution von Hagetmau nach dem Siegesrausch der ersten Erfolge zu einer allmählichen Ernüchterung und ja, auch zu einer gewissen Kriegsmüdigkeit. Gerade bei Sinion, Baresin und Varlie sind die Auswirkungen am deutlichsten spürbar.
Sinion, der früher der unsichere Stotterer des Dorfes war, hat sich durch seine brillanten Strategien seinen Platz und Respekt im Kriegsrat verschafft, sein Stottern ist kaum noch vorhanden. Die bisherige Befehligung des Aufstands hat ihn beflügelt und selbstsicherer gemacht – wie wird er sich aber weiterentwickeln, wenn er über immer größere Truppen befehligen soll? Er, der lieber die Fäden zieht, als zu den Kämpfern zu sprechen? Sinion entwickelt zudem erste Unzufriedenheiten, mit denen ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gerechnet hatte und die für die weitere Entwicklung der Revolution ausschlaggebend sein können.
Baresins Stärken liegen weniger in den strategischen Planungen, sondern vielmehr in seinen rhetorischen Fähigkeiten, die Dorfbewohner auf eine Linie einzuschwören. Dabei hat er nichts dagegen, wenn er sich geschickt aus den Kampfhandlungen heraushalten kann, sein Name jedoch immer wieder bei den Erfolgen heraussticht. Mit den befreiten Nachbardörfern rückt Hagetmau immer mehr als Organisationszentrum des weiteren Aufstands in den Mittelpunkt – wie wird Baresin diese Aufgaben lösen? Wird er, der sein bisheriges Leben lieber mit Müßiggang verbracht hat, sich dieser Verantwortung stellen? Und was wird er tun, falls es erste Misserfolge geben sollte, mit denen bei einer Ausweitung der Aufstände zu rechnen ist.
Neben der Entwicklung des Aufstands war ich am meisten auf die Reaktionen der wichtigsten Charaktere auf die neue Situation gespannt. Wie bereits im ersten Band bietet auch dieses Buch wieder viel Raum für Spekulationen und Überlegungen. Das, was Hagetmau bisher ausgelöst hat, lässt sich meiner Meinung nach nicht mehr rückgängig machen und alles, was nun folgt, ist wie eine Lawine, die sich nicht mehr aufhalten lässt. Wen die Lawine schlussendlich mit sich reissen wird und ob es am Ende überhaupt einen Gewinner geben kann, wird sich im Laufe des dritten Bandes herausstellen müssen. Bei der schieren nafarroanischen Übermacht, denen sich die aufständischen Aktitanier gegenüber sehen, wird es mir ganz anders, andererseits hat Hagetmau mich inzwischen schon mehrmals in Situationen überrascht, die ich als aussichtslos eingestuft hätte.
Während mich das Töten der Gegner im ersten Band noch ziemlich schockiert hat, konnte ich in diesem Buch eine gewisse Distanz dazu einnehmen, was sicherlich auch daran liegt, dass mit der wachsenden Zahl der Gegner auch ihre Individualität schrumpft und sie in der Masse untergehen.
Die Aufständischen müssen sich allmählich der Frage stellen, wie sie mit den gegnerischen Soldaren umgehen wollen. Bisher haben sie auf totale Vernichtung gezielt, aber wollen sie tatsächlich 49.000 nafarroanische Soldaren töten, nur um das Problem der Versorgung und Bewachung von Gefangenen zu umgehen? Rauthne, die Byrgherin von Hagetmau, möchte statt auf bedingungslosen Kampf auf die Diplomatie setzen – ist das naiv oder vorausschauend? Und wird der übermächtige Gegner überhaupt bereit sein, diplomatische Wege einzuschlagen oder auf seine zahlenmäßige Übermacht setzen? Welche Strömungen werden sich unter den Aufständischen durchsetzen: die besonnenen Kräfte wie Rauthne oder diejenigen Kämpfer wie Tautun, für den nur tote nafarroanische Soldaren als Lösung in Frage kommen? Ich hätte nichts dagegen, wenn das kompromisslose Töten bald ein Ende hätte, aber kann man es überhaupt noch aufhalten?
Wie auch Band 1 endet das zweite Buch mit einem Paukenschlag, der aber auch eine ganz neue Entwicklung für den dritten Band einläutet, auf die ich sehr gespannt bin. Mich konnte dieser Band wieder auf der ganzen Linie überzeugen, zumal er viel Raum für eigene Überlegungen und Reflexionen lässt.