Populärwissenschaftliches Buch mit einigen Defiziten
Nach dem Mord an George Floyd 2020 und dem Aufkommen der "Black Lives Matter"-Bewegung, die ihre Berechtigung hat, trifft das Thema des Buches den Zeitgeist und ist darum inzwischen auch ein Bestseller. ...
Nach dem Mord an George Floyd 2020 und dem Aufkommen der "Black Lives Matter"-Bewegung, die ihre Berechtigung hat, trifft das Thema des Buches den Zeitgeist und ist darum inzwischen auch ein Bestseller. Die Verfasserin Tupoka Ogette wurde 1980 in Leipzig (also in der DDR) geboren, studierte laut Verlagsangaben Wirtschaftswissenschaften (Betriebs- oder Volkswirtschaft?) und Afrikanistik. Sie bietet Seminare zum Thema "Rassismus in Deutschland" an. Ihr Buch trägt den Titel "exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen". Es hat 136 Seiten und kostet als Taschenbuch 12,80 Euro.
Der Anspruch an das Projekt ist lobenswert, ebenso wie der Ansatz, Denkanstöße zu liefern. Das gelingt der Autorin auch teilweise, allerdings vermag ich nicht aufgrund de Themas unkritische fünf Sterne zu vergeben, denn dafür sind zu viele Fehler und irritierende Passagen im Buch, das auch als Hörbuch existiert, eingelesen von der Autorin. Auch das habe ich gehört und fand es lebendiger als das Buch, wenngleich die Autorin den Vornamen "Rudyard" falsch ausspricht. Dafür finden sich im Buch QR-Codes zu weiterführenden Berichten, Materialien und Textstellen. Diese sind aber mehrheitlich nicht wissenschaftlich, sondern beispielsweise Artikel aus dem Magazin "Spiegel", also individuelle Meinungsäußerungen und nicht intersubjektive Wahrheiten.
Der Titel "exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen" ist leider nicht, was der Inhalt bietet, da sich ausschließlich mit dem Rassismus gegenüber Schwarzen in Deutschland beschäftigt wird, nicht mit "Rassismus im Allgemeinen" oder in Großbritannien oder den USA, auch nicht mit dem ausgeprägten Rassismus beispielsweise der Japaner gegenüber den Chinesen und den Chinesen gegenüber allen anderen asiatischen Völkern. Thematisiert wird auch nicht die noch heute existierende Sklaverei in Saudi-Arabien, sondern mit den knapp 50 Jahren deutschen Kolonialismus. Ich hätte es besser gefunden, den Titel zu präzisieren oder durch einen Untertitel einzugrenzen. Irritierend finde ich auch, dass man "rassismuskritisch denken lernen" soll. Wäre es nicht besser, "rassismuskritisch handeln zu lernen"?
Ogette postuliert ihre Thesen und lässt selbst keine Kritik zu. So schreibt sie, dass der Wirtschaftsboom in Europa nur durch die Maafa möglich geworden sei. Erstens wurde der Begriff "Maafa" erst 1998 durch Marimba Anis geprägt, zweitens stimmt die Aussage inhaltlich schlicht nicht, was eine Wirtschaftswissenschaftlerin wissen müsste: Der Handel mit Sklaven aus Afrika sorgte in Nordamerika für wirtschaftlichen Aufschwung (Baumwolle und Zuckerrohr), während überhaupt keine Sklaven aus Afrika nach Europa gebracht wurden, sondern dort zeitgleich die Leibeigenschaft die weiße de-facto-Sklaverei war. Europäische Profiteure waren einzelne Sklavenhändler. Das ist schlimm, aber in der Kategorie sollen wir ja nicht denken, sondern das Gesamtbild sehen. Schade, wenn das nicht zutreffend vermittelt wird.
Irritierend ist die Aussage, dass die weiße Rasse immer die Gewinner seien, denn es gibt keine menschlichen Rassen, sondern nur Ethnien. Die DNA ist bei allen Menschen gleich, aber Schwarze können andere körperliche Merkmale als weiße Menschen aufweisen. Dass Frau Ogette hier nicht präzise differenziert, fiel mir sofort auf.
Sehr seltsam finde ich, dass Ogette mehrfach Bezüge zu ihrer "Kindheit in Deutschland" aufführt, beispielsweise die Szene als Fünfjährige auf dem Spielplatz, als jemand sagte, es "stinke nach N." - Nein, Frau Ogette, das war real-existierender Rassismus in der DDR im Jahr 1985! Das jetzt zu verallgemeinern als "Deutschland", ist nicht seriös. Rassismus gab es in West und Ost, aber in der DDR hatte der eine andere Qualität und wurde aktiv negiert und vertuscht. Ich empfehle dazu ein aktuelles Buch zur Volksbildung in der DDR vom Bildungshistoriker Alexander-Martin Sardina ("Hello, girls and boys!", 29 Euro, ISBN 9783941461284, 2018). Hier wurde eine Chance vertan, sich differenzierend zu äußern.
Die Autorin geht davon aus, dass weiße Deutsche in "Happyland" aufgewachsen sind, zumindest, was rassistische Diskriminierungen anbelangt. Das ist mir persönlich zu einfach. Selbst wenn man dieser These zustimmt. bleibt die Frage, was der Ausweg ist. Den zeigt Ogette nicht auf, schade.
Ogette kritisierst auch den Begriff "Farbig" und verordnet uns statt dessen einen Anglizismus mit "People of Color". Das ist erstens unglücklich, wenn es (angeblich) keinen deutschen Begriff gibt, zum anderen weiß Frau Ogette offenbar nicht, dass der Begriff "People of Color" zwar in Großbritannien der politisch korrekte Begriff ist, nicht aber in den USA. Dort wird man übelst beschimpft, wenn man diese Wendung benutzt, denn er wird als Pejoration dort aufgefasst. Es gibt also keinen international akzeptierten Begriff für Menschen, die nicht weiß sind. Darauf hätte Frau Ogette hinweisen sollen.
Fazit: Es drängt sich an manchen Stellen der Eindruck auf, dass das Buch zumindest unterschwellig auch eine Förderung der Seminare von Frau Ogette darstellen soll, weil sie mehrfach ihre Kompetenz unterstreicht und herausstellt und von "Studenten" spricht. Dazu gesellen sich einige Fehler wie oben ausgeführt. Zugleich müssen wir Frau Ogette dankbar sein für Denkanstöße, dass weiße Deutsche, die in Frankreich nicht willkommen sind, keinen Rassismus erleben, sondern Diskriminierung. Ob ich ihrer Forderung zustimmen kann, dass weiße Menschen (Definition derselben?) lernen sollten, dass sie immer privilegiert sind, bin ich mir nicht sicher. Ich vergebe für das Buch drei von fünf ehrliche Sterne. Zudem empfehle ich es, denn ich bin ein Freund davon, dass sich jeder seine eigene Meinung bilden sollte. Rezensionen sind immer individuell, also muss mir auch niemand zustimmen.