1942 torpediert ein deutsches U-Boot das britische Passagierschiff, auf dem sich der 27-jährige Ulrich Alexander Boschwitz befindet. Boschwitz wird dabei getötet. Am Körper trägt er sein zuletzt verfasstes Manuskript. Der Herausgeber Peter Graf beschreibt in seinem bewegenden Nachwort, wie das unbearbeitete Typoskript „Der Reisende“ als eines der frühesten literarischen Dokumente der deutschen Gräuelzeit zu ihm fand, ein Manuskript, in dem der junge Boschwitz in nur 4-wöchiger Niederschrift Teile seiner eigenen Familiengeschichte eingearbeitet hatte als Versuch, gegen die Ohnmacht anzuschreiben.
Hilflos muss der jüdische Kaufmann Otto Silbermann zusehen, wie sein bisher durchaus behagliches Leben innerhalb von Minuten aus den Angeln gehoben wird. Die Novemberprogrome zwingen ihn, von jetzt auf gleich aus seiner Wohnung, aus seinem gewohnten Leben zu fliehen und nicht nur seine arische Frau, sondern auch alle Insignien des Wohlstands zurückzulassen. Ein letztes Geschäft mit seinem windigen Geschäftspartner, einem Spieler, bringt ihm eine Aktentasche voll Geld. Doch wo soll er nun hin, mit seiner Aktentasche? Bleiben, egal wo, ist für Silbermann nicht mehr möglich. Unterwegs muss er sein, immer unterwegs. Und so fährt er in Zügen kreuz und quer durch Deutschland, seine Pläne immer wieder verwerfend und die Reiserichtung wieder und wieder ändernd. Seine von uneingestandener Angst getriebene Ruhelosigkeit führt zu absurden Handlungen. Phantasien, Kindheitserinnerungen, Mutmaßungen durchsetzen sein Denken. Es ist ein Herumdenken an Unwesentlichem, das seine ratlosen Zögerlichkeiten unterstreicht. Er begegnet Menschen aller Ausprägung in diesen Zügen, er beobachtet sie, führt merkwürdige Gespräche, bildet sich eigenwillige Urteile und hat doch letztlich nur eines im Sinn: sich selbst und seine Flucht nach nirgendwo.
Unfassbar, dass der Autor zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Buches erst 23 Jahre alt war. Das Buch ist ein reifes, ein eindringliches Zeitdokument. In größter Intensität wird anhand der nicht endenden Reise des Otto Silbermann ein Karussell der Ausweglosigkeit geschildert, ein Zustand von Ratlosigkeit, ja Fassungslosigkeit, von Misstrauen und angstvoller Planlosigkeit, von uneingestandenem Entsetzen. Die Eindringlichkeit, in der der Autor schlicht-beobachtend, geradezu nüchtern erzählt, lässt den Leser bis ins Tiefste erschauern und so eine Ahnung bekommen von einer Zeit, in der das immanent Böse im Menschen offen zutage trat.