Band
der Reihe "Iberisches Panorama"
24,80
€
inkl. MwSt
- Verlag: KUPIDO Literaturverlag
- Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
- Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
- Seitenzahl: 200
- Ersterscheinung: 07.2025
- ISBN: 9783966750912
Cagliostro
Vicente Huidobros Roman »Cagliostro« ist ein einzigartiger Text. Ursprünglich
entstand er 1923 als Drehbuch, das Huidobro zehn Jahre später in einen Roman
umschrieb. In ihm vereint Huidobro verschiedene literarische Gattungen, streift
durch die Geschichte, berührt philosophische Fragen und unternimmt gleichzeitig
formale wie sprachliche Experimente. Trotz eines ästhetisch aufgeladenen Unter-
baus ist »Cagliostro« ein leicht zu lesender, äußerst unterhaltsamer Roman, der
nicht nur mit sprachlicher Virtuosität, sondern auch mit Humor und Spannung
auftrumpfen kann.
Huidobro verdichtet das sagenumwobene Leben seines titelgebenden Protago-
nisten Cagliostro zu einer Geschichte über die Hybris des Menschen, seiner
Korrumpierbarkeit und den im 18. Jahrhundert sehr populären Okkultismus.
Bereits 1916 betitelte Huidobro ein Werk mit „okkult“, erklärte aber umgehend,
dass er damit das tiefe Geheimnis der Sprache meine und er die Tür zum Myste-
rium der Sprache stets geöffnet vorfand. Dieses von ihm als junger Poet gespürte
Talent sollte in eine Reife übergehen, die die Avantgarde, wie sie in Europa auf-
brach, facettenreich mitprägte.
Die Sprache des prosaischen Texts ist geprägt vom Creacionismo, einem lyrischen
Stil, den Huidobro in mehreren Manifesten begründet hat. Anspruch dieses Stils
ist es, Welt durch Sprache zu erschaffen. Dafür verfährt Huidobro jenseits aller
Konventionen und Logiken und entwirft sprachliche Bilder, die sich nicht aus der
Wirklichkeit ableiten lassen: „Der Mond tickt wie eine Uhr“ (1918).
Da der Creacionismo vornehmlich in Gedichten verwirklicht wurde, stellt
»Cagliostro« einen literaturgeschichtlich seltenen Moment dar. Hier wird der
Lyrikstil in einen Prosatext eingebunden mit einem Resultat, an dem Huidobros
singuläre literarische Fähigkeiten erkennbar werden: „Ein paar halbleere Wolken
ziehen weiter auf ihrem Pfad, während andere sich als Tränen funkelnde Taschen-
tücher an die Gipfel schmiegen und einen feuchten Abschied winken“.
Ein herausstechender Aspekt von »Cagliostro« ist außerdem sein Genre, das
Huidobro „novela-film“ nannte; eine Mischung aus Kinofilm und Roman. Ohnehin
war der Roman zunächst als Drehbuch konzipiert, und zwar zu einer Zeit, in der der
Tonfilm im Begriff war, den Stummfilm abzulösen. Der Text ist daher durchsetzt
von Regieanweisungen, szenischen Beschreibungen und humorvollen Hinweisen
an die Leserschaft, die visuelle Orientierung leisten sollen. Beispielsweise wenn
zum ersten Mal die schöne Lorenza auftaucht und der Erzähler den Hinweis gibt:
„Liebe Leser, stellen Sie sich die schönste Frau vor, die Sie je gesehen haben, und
übertragen Sie deren Schönheit auf Lorenza. Damit ersparen Sie mir und sich
selbst eine langwierige Beschreibung“.
Es ist dieses Spiel mit Konventionen und Klischees, sei es über die Mystik, die
Wissenschaft oder die Liebe, die den Roman zu einem Lesevergnügen machen.
Zudem ist es beeindruckend, zu welch früher Zeit Huidobro die Anfälligkeit für
klischeehafte Motive im Film erkannt hat, ein Medium, das damals noch in den
Kinderschuhen steckte. Vor dem Hintergrund heutiger Diskussionen über die
verblüffend gut funktionierende Generierbarkeit von Kunst durch KIs wirkt sein
Blick umso weitsichtiger.
Besonders ist auch Huidobros Umgang mit dem Themenkomplex des Okkultis-
mus, welcher damals wie heute die Massen zu faszinieren wusste. Weder affir-
miert Huidobro okkulte Vorstellungen, noch parodiert er sie. Er formt sie in ein
literarisches Gedankenspiel um, das den Reiz dieser Ideen veranschaulicht. Was,
wenn all diese okkulten Mythen wahr wären und mit den Erkenntnissen der
modernen Wissenschaft kollidieren würden? Einer der ab dem 18. Jahrhundert
beliebten Zeitvertreibe, aber auch Sensationen, war die Automate. Diese
Erfindung löste einen enormen Rummel aus und fügte sich in die Philosophie
Descartes’ über Mensch und Seele. Was eigentlich Antipoden darstellte, der
Rationalismus und der Okkultismus, gehörte dennoch ausgerechnet in die Zeit vor
der Französischen Revolution, die auch eine Zeit großer technischer Neuerungen
war. Der von Huidobro eingefädelte Auftritt ausgerechnet von Jean Paul Marat im
Kreis einer Loge mag diese Antipoden in einer Figur vereinen, die Züge Cagliostros
adaptierte wie auch die der Zäsur der bevorstehenden Revolution. So dämmert der
ebenfalls auftretenden Marie Antoinette bei ihrer Begegnung mit Cagliostro der
Untergang der französischen Monarchie.
Der Text kreist außerdem um das Thema Macht und Machtmissbrauch. »Cagliostro«
erzählt, zu was ein Übermaß an Macht den Menschen verleiten kann, wie Macht
Vernunft und Zuneigung hinter sich lässt, um sich selbst zu potenzieren. Gleich-
sam geht es um das klandestine Geschäftstreiben der Mächtigen, um elitäre
Zusammenschlüsse, die eher klein-aristokratisch bis bourgeois als okkult sind
und vor keiner Intrige zurückschrecken.
Nicht nur für die Komparatistik, Hispanistik, Medien- und Literaturwissenschaft ist
dies ein wertvoller Text, sondern auch für Leser:innen mit einem historischen
Interesse, die sich für außergewöhnliche Sprachexperimente und Scharfsinn
begeistern können.
entstand er 1923 als Drehbuch, das Huidobro zehn Jahre später in einen Roman
umschrieb. In ihm vereint Huidobro verschiedene literarische Gattungen, streift
durch die Geschichte, berührt philosophische Fragen und unternimmt gleichzeitig
formale wie sprachliche Experimente. Trotz eines ästhetisch aufgeladenen Unter-
baus ist »Cagliostro« ein leicht zu lesender, äußerst unterhaltsamer Roman, der
nicht nur mit sprachlicher Virtuosität, sondern auch mit Humor und Spannung
auftrumpfen kann.
Huidobro verdichtet das sagenumwobene Leben seines titelgebenden Protago-
nisten Cagliostro zu einer Geschichte über die Hybris des Menschen, seiner
Korrumpierbarkeit und den im 18. Jahrhundert sehr populären Okkultismus.
Bereits 1916 betitelte Huidobro ein Werk mit „okkult“, erklärte aber umgehend,
dass er damit das tiefe Geheimnis der Sprache meine und er die Tür zum Myste-
rium der Sprache stets geöffnet vorfand. Dieses von ihm als junger Poet gespürte
Talent sollte in eine Reife übergehen, die die Avantgarde, wie sie in Europa auf-
brach, facettenreich mitprägte.
Die Sprache des prosaischen Texts ist geprägt vom Creacionismo, einem lyrischen
Stil, den Huidobro in mehreren Manifesten begründet hat. Anspruch dieses Stils
ist es, Welt durch Sprache zu erschaffen. Dafür verfährt Huidobro jenseits aller
Konventionen und Logiken und entwirft sprachliche Bilder, die sich nicht aus der
Wirklichkeit ableiten lassen: „Der Mond tickt wie eine Uhr“ (1918).
Da der Creacionismo vornehmlich in Gedichten verwirklicht wurde, stellt
»Cagliostro« einen literaturgeschichtlich seltenen Moment dar. Hier wird der
Lyrikstil in einen Prosatext eingebunden mit einem Resultat, an dem Huidobros
singuläre literarische Fähigkeiten erkennbar werden: „Ein paar halbleere Wolken
ziehen weiter auf ihrem Pfad, während andere sich als Tränen funkelnde Taschen-
tücher an die Gipfel schmiegen und einen feuchten Abschied winken“.
Ein herausstechender Aspekt von »Cagliostro« ist außerdem sein Genre, das
Huidobro „novela-film“ nannte; eine Mischung aus Kinofilm und Roman. Ohnehin
war der Roman zunächst als Drehbuch konzipiert, und zwar zu einer Zeit, in der der
Tonfilm im Begriff war, den Stummfilm abzulösen. Der Text ist daher durchsetzt
von Regieanweisungen, szenischen Beschreibungen und humorvollen Hinweisen
an die Leserschaft, die visuelle Orientierung leisten sollen. Beispielsweise wenn
zum ersten Mal die schöne Lorenza auftaucht und der Erzähler den Hinweis gibt:
„Liebe Leser, stellen Sie sich die schönste Frau vor, die Sie je gesehen haben, und
übertragen Sie deren Schönheit auf Lorenza. Damit ersparen Sie mir und sich
selbst eine langwierige Beschreibung“.
Es ist dieses Spiel mit Konventionen und Klischees, sei es über die Mystik, die
Wissenschaft oder die Liebe, die den Roman zu einem Lesevergnügen machen.
Zudem ist es beeindruckend, zu welch früher Zeit Huidobro die Anfälligkeit für
klischeehafte Motive im Film erkannt hat, ein Medium, das damals noch in den
Kinderschuhen steckte. Vor dem Hintergrund heutiger Diskussionen über die
verblüffend gut funktionierende Generierbarkeit von Kunst durch KIs wirkt sein
Blick umso weitsichtiger.
Besonders ist auch Huidobros Umgang mit dem Themenkomplex des Okkultis-
mus, welcher damals wie heute die Massen zu faszinieren wusste. Weder affir-
miert Huidobro okkulte Vorstellungen, noch parodiert er sie. Er formt sie in ein
literarisches Gedankenspiel um, das den Reiz dieser Ideen veranschaulicht. Was,
wenn all diese okkulten Mythen wahr wären und mit den Erkenntnissen der
modernen Wissenschaft kollidieren würden? Einer der ab dem 18. Jahrhundert
beliebten Zeitvertreibe, aber auch Sensationen, war die Automate. Diese
Erfindung löste einen enormen Rummel aus und fügte sich in die Philosophie
Descartes’ über Mensch und Seele. Was eigentlich Antipoden darstellte, der
Rationalismus und der Okkultismus, gehörte dennoch ausgerechnet in die Zeit vor
der Französischen Revolution, die auch eine Zeit großer technischer Neuerungen
war. Der von Huidobro eingefädelte Auftritt ausgerechnet von Jean Paul Marat im
Kreis einer Loge mag diese Antipoden in einer Figur vereinen, die Züge Cagliostros
adaptierte wie auch die der Zäsur der bevorstehenden Revolution. So dämmert der
ebenfalls auftretenden Marie Antoinette bei ihrer Begegnung mit Cagliostro der
Untergang der französischen Monarchie.
Der Text kreist außerdem um das Thema Macht und Machtmissbrauch. »Cagliostro«
erzählt, zu was ein Übermaß an Macht den Menschen verleiten kann, wie Macht
Vernunft und Zuneigung hinter sich lässt, um sich selbst zu potenzieren. Gleich-
sam geht es um das klandestine Geschäftstreiben der Mächtigen, um elitäre
Zusammenschlüsse, die eher klein-aristokratisch bis bourgeois als okkult sind
und vor keiner Intrige zurückschrecken.
Nicht nur für die Komparatistik, Hispanistik, Medien- und Literaturwissenschaft ist
dies ein wertvoller Text, sondern auch für Leser:innen mit einem historischen
Interesse, die sich für außergewöhnliche Sprachexperimente und Scharfsinn
begeistern können.
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