Nachlässig, oberflächlich, unprofessionell
Bekannte haben mir das Kapitel "Feuerpriester" gezeigt, weil es auf Island spielt, wo ich mich auskenne... und das Kapitel starrt vor Fehlern, Ungenauigkeiten und methodischer Nachlässigkeit.
Thema ist ...
Bekannte haben mir das Kapitel "Feuerpriester" gezeigt, weil es auf Island spielt, wo ich mich auskenne... und das Kapitel starrt vor Fehlern, Ungenauigkeiten und methodischer Nachlässigkeit.
Thema ist der Ausbruch der Lakispalte Juni 1783-Februar 1784, der wohl verheerendste Ausbruch der isländischen Geschichte. In der Umgebung des Vulkans wurden ca 50 Bauernhöfe verwüstet, aber wirklich schlimm war, dass saurer Regen und fluorhaltige Asche in fast dem ganzen Land den Graswuchs verhinderten und das Vieh vergifteten. Viehhaltung war die Lebensgrundlage der Isländer. Ab dem Winter 1783-84 herrschte für anderthalb Jahre Hungersnot, und etwa 1/6 der Bevölkerung starb an Hunger und Krankheiten.
So weit, so schlimm. Jetzt zu Behringer.
Seine Auswahl an Quellen und Belegen ist, gelinde gesagt, seltsam. Statt professioneller (isländischer) Literatur zitiert er z.B. ein Buch zweier Wissenschaftsjournalisten, die sich wenig in isländischer Geschichte auskennen. Er gibt einen Beleg für die unstrittige Tatsache, dass Ove Høegh-Guldberg damals in Dänemark (zu dem Island damals gehörte) die Macht hatte, aber er gibt mitunter keine Quellen an, wenn es um Kernaussagen zum Thema geht - nicht zuletzt deshalb, weil manche seiner Kernaussagen schlicht nicht stimmen. Selbst wenn er eine Quelle angibt, gibt er den Inhalt oft falsch wieder. So sollte ein Geschichtsprofessor (oder selbst ein Geschichtsstudent) nicht arbeiten. Ein paar Beispiele:
- Behringer behauptet (ohne Quellenangabe), die dänische Regierung habe schnelle Hilfe geschickt. Das ist einfach nicht wahr. Es dauerte über ein Jahr nach Beginn des Ausbruchs, bis sie eine - unzureichende - Ladung Getreide schickten. Obendrein exportierten dänische Händler, mitten während einer Hungersnot, die übliche Menge Trockenfisch. Als mehrere Jahrzehnte später die Isländer unabhängig werden wollten, war der Mangel an Hilfeleistung nach dem Vulkanausbruch eines der Argumente, dass die Zentralregierung in Kopenhagen für Island schlecht funktionierte.
- Der Namensgeber des Kapitels, der Pfarrer Jón Steingrímsson, war laut Behringer "11 Jahre auf Wanderschaft", nachdem er 1753 unter etwas seltsamen Umständen geheiratet hatte. Behringer gibt hier die englische Übersetzung von Jóns Autobiographie als Beleg an. Eine gute Quelle - nur steht darin nichts über 11 Jahre "auf Wanderschaft". Die junge Familie zog kurz nach der Hochzeit von Nordisland in den Süden, weil im Norden wegen einiger kalter Winter Hunger herrschte und Jóns Frau im Süden ein paar Höfe besaß. Dann zogen sie noch zweimal um, weil Jón verschiedene Pfarrstellen zugewiesen bekam. Sie hatten immer einen Wohnsitz, also von Wanderschaft keine Rede. Hätte Behringer auch nur die knappe Zusammenfassung des Übersetzers im Vorwort von Jóns Autobiographie kurz nachgelesen, hätte er sich diesen Fehler sparen können.
- Jón Steingrímsson ist u.a. deswegen bekannt, weil am 20.7. 1783 während seiner Predigt ein Lavastrom, der sich durch den Flusslauf der Skaftá auf die Kirche zubewegte, zum Erliegen kam. Laut Behringers Darstellung wollte Jón in seiner Predigt einem "Fluch von Trollen Gottes Wort entgegensetzen". Das bezieht sich auf eine Volkssage, die erklärt, woher das Vulkansystem Grímsvötn seinen Namen hat. Nun gehört zwar die Lakispalte zum Grímsvötnsystem, aber das wusste damals niemand. Jóns Biographie erwähnt auch nirgendwo diese Trollgeschichte. Es sieht fast aus, als habe Behringer auf der Wikipediaseite des Grímsvötnvulkans besagte kleine Trollgeschichte gefunden und dann beschlossen, sie in sein Buch einzubauen, ohne Rücksicht auf Plausibilität. Ein Romanschreiber kann das natürlich machen, aber kein Autor einer "Globalgeschichte".
- Behringer gibt eine lange Liste von Wetterkapriolen 1783-85 zum Besten, die alle irgendwelche schwerwiegenden Folgen hatten (Hunger in Ägypten, Aufruhr in Japan...). Große Vulkanausbrüche können Wetter und Klima beeinflussen, aber Wetterextreme kommen auch sonst mal vor. Behringer tut, ganz unkritisch, als seien all diese Ereignisse Folge des Vulkanausbruchs gewesen; bestenfalls kann man aber untersuchen, ob gewisse Wettererscheinungen durch den Ausbruch wahrscheinlicher wurden. Die von Behringer erwähnte Hitzewele in Europa im Juli 1783 hat wahrscheinlich nicht wegen, sondern trotz des Ausbruchs stattgefunden (Vulkanausbrüche sorgen für Abkühlung). Dieser unkritische Umgang mit Klimadaten lässt mich fürchten, dass auch Behringers "Kulturgeschichte des Klimas" nicht einwandfrei recherchiert ist....
Ich denke, obengenannte Beispiele geben einen Eindruck. Behringer ist unkritisch, trifft Behauptungen, die aus der Luft gegriffen sind, ignoriert seriöse Quellen, und hat anscheinend auch die Quellen die er benutzt nicht gründlich gelesen.
Natürlich ist dieses Kapitel nur eines von vielen (6 von 1300 Seiten). Ich will nicht ausschließen, dass andere Kapitel besser sind, aber es scheint mir gut möglich, dass auch anderswo reichlich Fehler auftreten: Ein Autor, der 100 hervorragende Kapitel verfasst hat, wird wohl nicht ohne Not zu einem doch nicht sooooo wichtigen Thema wie der Lakispalte ein Kapitel 101 zufügen, dass hoffnungslos unter seinem Niveau bleibt.
Ich bin schwer enttäuscht, dass ein Geschichtsprofessor eine so schlecht recherchierte Arbeit liefert, und dass der angesehene Beckverlag diese herausgebracht hat.