Ein Anwalt der Armen
Es handelt sich um ein Bändchen, das den historischen Spuren eines hessischen Lokalpolitikers folgt: Zu den ersten Opfern des NS-Regimes zählten im Jahr 1933 politische Gegner aus den Reihen von Kommunistischer ...
Es handelt sich um ein Bändchen, das den historischen Spuren eines hessischen Lokalpolitikers folgt: Zu den ersten Opfern des NS-Regimes zählten im Jahr 1933 politische Gegner aus den Reihen von Kommunistischer Partei und SPD, darunter Ludwig Pappenheim.
Das geflügelte Wort „Ich kenne meine Pappenheimer“ geht auf Schillers Drama „Wallensteins Tod“ aus dem Jahr 1799 zurück. Der berühmte Feldherr tätigt diesen Ausspruch als Anerkennung für die große Gefolgstreue des Regiments, das dem Grafen zu Pappenheim unterstellt ist. Pappenheim ist eine Kleinstadt in Mittelfranken, ganz in der Nähe von Nürnberg – ganze 45 Jahre lang gab es jedoch einen weiteren Ort, der diesen Namen trug: das am südwestlichen Rand des Thüringer Waldes gelegene Kleinschmalkalden, seit 2006 Teil der Gemeinde Floh-Seligenthal.
Seit der Wende trägt das Städtchen wieder seinen historischen Namen. Über Jahrhunderte war Kleinschmalkalden in einen thüringischen und einen hessischen Verwaltungsbereich geteilt – als historische Absurdität muss wohl gelten, dass die beiden Ortsbereiche mit der Teilung Deutschlands 1945 gewissermaßen wiedervereinigt wurden. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte auch die Umbenennung in „Pappenheim“, im Gedenken an jenen dort nachhaltig wirkenden und unbeugsam für Demokratie und Menschenrechte eintretenden Lokalpolitiker Ludwig Pappenheim, der zu den ersten Opfern der NS-Diktatur gehörte. Obzwar er mit Schillers Pappenheim nichts zu tun hat, verbindet ihn mit den „Pappenheimern“ der Kriegstragödie jedoch eines: er vertraute nicht auf Propaganda, sondern auf das Prinzip der demokratischen Meinungspluralität und damit auf eine freiheitliche gesellschaftliche Grundordnung.
York-Egbert König, Mitarbeiter im Stadtarchiv in Pappenheims nordhessischer Geburtsstadt Eschwege und Verfasser zahlreicher Bücher zur Lokalgeschichte, hat gemeinsam mit weiteren Autoren dessen Biografie recherchiert und im vorliegenden Bändchen zu Papier gebracht. Für ihn hat der Politiker Pappenheim bis heute Vorbildfunktion. „Er trat radikal für die Gleichheit der Menschen ein“, sagt König, „gepaart mit einer Unbeugsamkeit gegenüber den Mächtigen. Er war ein herausragender Vertreter von Zivilcourage und Solidarität.“ König, der sich auch im Jahr 2011 für die Verlegung eines Stolpersteins vor dem ehemaligen Elternhaus Pappenheims in Eschwege einsetzte, faszinierte die Vielzahl an Spuren, die Pappenheim aufgrund seiner politischen und journalistischen Arbeit in der Lokalgeschichte hinterlassen hatte. „Von anderen Kommunalpolitikern aus der Zeit weiß man längst nicht so viel.“
Ludwig Pappenheim wurde am 17. März 1887 in eine jüdische Kaufmannsfamilie hineingeboren. Er absolvierte eine Kaufmannslehre und war bis zum Jahr 1913 im Geschäft seines Vaters tätig. Noch während seiner Lehrzeit, symbolträchtig am 1. Mai des Jahres 1905, trat er der SPD bei und wurde mit der Reorganisation der Parteiarbeit im damals noch hessischen Schmalkalden betraut. Aus seiner Teilhabe am Kriegsgeschehen in den Jahren 1915-1917 ging er als entschiedener Pazifist hervor. An der Front verfasste er mit anderen Kameraden zahlreiche Flugblätter gegen den Krieg und diese politische Agitationsarbeit setzte er ab 1919 in Schmalkalden als Redakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung „Volksstimme“ fort.
Im kommenden Jahrzehnt seiner lokalpolitischen Aktivitäten setzte er sich für zahlreiche Projekte zum Wohl der Gemeinschaft ein: ein Schwimmbad wurde gebaut, hunderte von Wohnungen für Bedürftige im Rahmen eines genossenschaftlichen Wohnungsbauprogramms. Liebevoll nannte ihn der Volksmund „Lupa“ – er galt als „Anwalt der Armen“. Besonders am Herzen lagen ihm die Volksgesundheit und die Jugendarbeit: er nahm gerne an Treffen der Sozialistischen Arbeiterjugend teil und initiierte gemeinsame Wanderungen und Ausflüge.
Pappenheim befand sich wegen seiner politischen Ideale Zeit seines Lebens mit einem Bein im Gefängnis: Während des Krieges erwartete ihn wegen seiner kritischen Haltung gegenüber sozialer Ungleichbehandlung unter den Soldaten ein Feldgerichtsverfahren. Im Oktober 1919 wurde er nach einer Denunziation im Zusammenhang mit den „Kartoffel-Demonstration“ genannten Arbeiterunruhen verhaftet und saß einige Wochen in Kassel ein, 1923 und 1924 aus unbekannten Gründen im Gefängnis von Suhl. Am 25. März 1933 schließlich wurde der erklärte Kriegsgegner aufgrund einer anonymen Denunziation wegen des vermeintlichen Besitzes eines Waffenlagers (zu Unrecht) verhaftet und im Januar 1934 im Konzentrationslager Neusustrum im Emsland „auf der Flucht“ erschossen.
Pappenheims Inhaftierung war Teil der NSDAP-Strategie zur Eliminierung der politisch unliebsamen Opposition. In der Nacht vom 27. Februar 1933 brannte der Reichstag, bereits am nächsten Morgen wurde die sogenannte „Reichstagsbrandverordnung“ erlassen. Sie setzte die demokratischen Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft und ermöglichte der NSDAP die willkürliche Inhaftierung politischer Gegner. Die zweit- und drittstärkste Kraft im Reichstag waren bei der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar neben den Kommunisten die Sozialdemokraten.
Für die geplanten Neuwahlen nach der Auflösung des Reichstags stellten die Oppositionsparteien eine unberechenbare Gefahr für den Mehrheitserfolg der NSDAP dar. Der Reichstagsbrand bildete daher gegenüber der Bevölkerung den Vorwand, binnen weniger Tage deutschlandweit mehr als 25.000 Mitglieder von KP und SPD zu verhaften.
Mein Großcousin York-Egbert König ist Co-Autor des Buches - das sollte ich dazu sagen. Es listet mehr oder weniger die historisch-biografischen Fakten aus dem Leben Pappenheims auf, ist also nicht notwendigerweise ein Buch, das sich zum Schmökern vor dem Schlafengehen empfiehlt. Das Engagement Pappenheims, seine bewundernswert radikale Haltung (bei aller parteipolitischen Gemäßigtheit) in Bezug auf die Verteidigung demokratischer Grundsätze hat mich jedoch stark fasziniert. Und auch sein konsequenter Einsatz für die Verbesserung der Lebensverhältnisse in seinem Wahlkreis.
Pappenheim ist der Beweis dafür, dass sich mit Lokalpolitik Dinge zum Besseren bewegen lassen. Dass persönlicher Einsatz und Engagement für die gute Sache tatsächlich etwas verändern können. Für mich ist die Biografie Pappenheims so etwas wie die historische Utopie von einer besseren Welt, die bis heute nachwirkt. Aus diesem Grund fühlte ich mich tatsächlich auch an den Wallenstein erinnert, daher die Analogie.