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Veröffentlicht am 01.05.2024

Krimi, Horror und die Hunger Games

Böse Mädchen sterben nicht
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Was ist, wenn Du plötzlich Dein Gedächtnis verloren hast und Dein Mann ein Fremder für Dich ist? Wie überlebst Du in einer einsamen Hütte tief im Wald – mitten in Deinem liebsten Horrorsetting? Und wie ...

Was ist, wenn Du plötzlich Dein Gedächtnis verloren hast und Dein Mann ein Fremder für Dich ist? Wie überlebst Du in einer einsamen Hütte tief im Wald – mitten in Deinem liebsten Horrorsetting? Und wie schlägst Du Dich als Kämpferin in einem Survival-Game, in dem aus Spiel blutiger Ernst wird?
Diesen Fragen müssen sich Celia, Allie und Maggie stellen, jeweils in ihrem eigenen Szenario und in einer surreal erscheinenden Umgebung. Und auch die Frage, wie sie in diese Situation und an einen Ort kommen konnten, scheinbar weit entfernt von Zivilisation und Rechtssystem, ist ebenso rätselhaft wie unerklärlich für sie. Was sie allerdings eint, ist ihr starker Überlebenswille. Und der Mut, auch gegen die Ausweglosigkeit zu kämpfen.
Was die drei Welten, die Christina Henry entwirft, für mich dabei vor allem verbindet, ist die atemlose Spannung, der wunderbare Nervenkitzel und die kribbelnde Gänsehaut, die mich beim Lesen ereilt habe. Nicht zu vergessen die detailreichen, auch blutigen Bilder, die vor meinem inneren Auge abgelaufen sind und das Buch zu einem wahren Pageturner machen. Und was es als Bonus oben drauf gab: gänzlich unterschiedliche Settings, jeweils einem eigenen Genre entsprungen. Sei es der heimelige Cozy-Crime, der blutige Horrorschocker rund um einen psychopathischen Killer oder die Dystopie mit einem Kampf um Leben und Tod und von Level zu Level. Christina Henry kennt sie alle und bedient die unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen mit Leichtigkeit und einer Fantasie, welche die Lektüre zu einem Erlebnis macht.
Alles schick, alles schön – so könnte man jetzt denken. Wäre da nicht das Ende, die Auflösung all des Rätselratens, die Krönung, der Punkt, an dem all die Fäden zusammenlaufen. Und der mich einfach nur enttäuscht. Und all die vorherige Fantasie vermissen lässt. Plötzlich reiht sich Klischee an Klischee, Vorurteile werden bedient, eine gesellschaftskritische Message wird gesucht. Und nicht gefunden.
Was mache ich nun damit? Ich erfreue mich an den 360 äußerst spannungsreichen Seiten und wünsche mir, Celias Amnesie für die verbliebenen 50 zu entwickeln. Denn dann stimmt alles.

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Veröffentlicht am 20.04.2024

Magie in dunklen Zeiten

Der Vertraute
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Die Gaben, welche die junge Luzia Cotado besitzt, sind gefährlich. Denn auch, wenn ihre Refranes und Zauberformeln ihr ihren harten Alltag als Küchenmädchen erleichtern, so ist es doch stets die Furcht ...

Die Gaben, welche die junge Luzia Cotado besitzt, sind gefährlich. Denn auch, wenn ihre Refranes und Zauberformeln ihr ihren harten Alltag als Küchenmädchen erleichtern, so ist es doch stets die Furcht vor der Inquisition, die sie ihre Magie im Verborgenen ausüben lässt. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als ihre Herrin auf ihre Fähigkeiten aufmerksam wird und diese zu nutzen versucht, um im Madrid des Goldenen Zeitalters ihre eigene gesellschaftliche Position aufzuwerten.
Und so nehmen die Geschehnisse ihren Lauf, und ein Zwiespalt entsteht, der Luzia in Versuchung und damit ins Fadenkreuz der kirchlichen Verfolgung führt. Denn Aufmerksamkeit, Anerkennung und kleine materielle Zuwendungen in ihrer Armut sind mit der Gefahr verbunden, der Hexerei beschuldigt und auf dem Scheiterhaufen öffentlich zur Schau gestellt und verbrannt zu werden. Doch auch Habgier und Geltungsdrang aus weit höheren Kreisen setzen die verunsicherte Dienstmagd einem unberechenbaren Risiko aus. Denn mit Victor de Paredes, Mäzen ihrer Tante Hualit, und Antonio Pérez, dem vom Hofe gejagten Sekretär des Königs, versuchen zwei Schlüsselfiguren des spanischen Machtgefüges der damaligen Zeit, die Gunst des Herrschers zu erlangen – mit Hilfe von Luzias magischen Fähigkeiten und schonungs- und rücksichtslos der jungen Frau gegenüber.
In diesem Ränkespiel nimmt Guillén Santángel, Vertrauter Paredes‘ und eine Gestalt weder Licht noch Schatten, eine undurchschaubare Rolle ein. In seiner Gegenwart fühlt Luzia sich von der Magie in schiere Höhen gehoben und zu allem fähig. Und auch ihre eigene Scheu und Zurückhaltung schwinden im Antlitz seiner bleichen Gestalt und beim Blick in seine eisblauen Augen. Im Rahmen seiner magischen Unterweisungen wächst denn auch nicht nur ihre Macht sondern auch ihre Gefühle für ein Geschöpf, das selbst ein dunkles Geheimnis birgt.
So wie für Luzia war auch für mich der Eintritt in eine Welt der Magie, Gefahr und frei von Skrupeln mit Aufregung, Spannung aber auch einigen Anstrengungen verbunden. Denn in einem Netz aus Beziehungen und Verflechtungen stets die Orientierung zu bewahren, setzt zumindest einen eigenen kontinuierlichen Lesefluss voraus. Doch ist die Belohnung umso schöner, eine Geschichte so magisch und faszinierend, dass die eigene Welt zunehmend in den Hintergrund tritt.

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Veröffentlicht am 03.04.2024

Dystopischer Pageturner mit Suchtfaktor

Honesty. Was die Wahrheit verbirgt
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Die Wahrheit ist das höchste Gut! Und steht in Sestiby über alles und an erster Stelle. Und rechtfertigt damit auch Methoden und ein System, das auf Unterdrückung, Bevormundung und Einschränkung basiert ...

Die Wahrheit ist das höchste Gut! Und steht in Sestiby über alles und an erster Stelle. Und rechtfertigt damit auch Methoden und ein System, das auf Unterdrückung, Bevormundung und Einschränkung basiert – und das in seiner schlimmsten Form. Denn den Bewohner*innen wird die Einnahme des Medikamentes VeriTab verordnet, welches die Menschen nicht nur dazu zwingt, immer und umgehend auf jede Frage wahrheitsgemäß zu antworten, sondern auch tiefergehende negative Emotionen unterdrückt. Eine scheinbar heile Welt. Oder doch ein gläserner Käfig, in welchem die Menschen gefangen sind?
Für Mae gilt dies nicht, denn Mae ist anders. Zwar entzündet Veritas auch in ihrer Kehle ein Brennen, so dass ihr Lügen oder ein Schweigen unmöglich ist. Doch Mae ist in der Lage, auch negative Gefühle zu empfinden. Und diese Fähigkeit setzt sie einer großen Gefahr aus, denn die sogenannten Liars werden in dem System von den Aufsehenden verfolgt und im besten Fall in der starren Klassengesellschaft in die unterste Stufe, den Ring acht verbannt.
Die Aufnahme in ein Partnerschaftscamp stellt für Mae damit einen dramatischen Einschnitt in ihrem ohnehin nicht privilegierten Leben dar. Sie steht vor der scheinbar unlösbaren Aufgabe, über acht Wochen ihre Fähigkeit zur „emotionalen Überreaktion“ vor der allgegenwärtigen KI AISS und ihren Mitbewohnern zu verbergen. Und diese Herausforderung wird ungleich größer, da mit Grayson ein Mann in ihr Leben getreten ist, der ihr Herzen zum Rasen bringt und ihre Gefühle in Aufruhr versetzt. Und der zudem ein dunkles Geheimnis verbirgt.
Mit dieser Wendung wird der dystopische Pageturner um eine wunderbare Romance erweitert, der Gänsehaut an meinen Armen mit kleinen Herzchen in meinen Augen abwechseln lässt. Diese wunderbare Kombination gemeinsam mit dem äußerst spannenden und faszinierenden Setting hat dazu geführt, dass ich bereits nach wenigen Seiten tief in die Geschichte eingetaucht bin. Und schon jetzt ein Lieblingsbuch des Jahres für mich entdeckt habe.

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Veröffentlicht am 17.03.2024

Bitterböse Geschichte über moralische Verwirrungen

Die Rassistin
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Dieser Roman ist so viel: Eine Collage. Eine hochaktuelle Geschichte. Ein Denkanstoß. Und zwar ohne den berühmt-berüchtigten moralischen Zeigefinger sondern durch ein intelligentes, glaubhaftes Erzählen. ...

Dieser Roman ist so viel: Eine Collage. Eine hochaktuelle Geschichte. Ein Denkanstoß. Und zwar ohne den berühmt-berüchtigten moralischen Zeigefinger sondern durch ein intelligentes, glaubhaftes Erzählen. Und viel Komik und Humor.
Nora Rischer sieht sich plötzlich in eine Situation verwickelt, die auf den ersten Blick amüsant erscheint. Und auf den zweiten eine Katastrophe für sie und ihre wissenschaftliche Karriere darstellen könnte. Eher zufällig erreicht sie im Behandlungszimmer ihrer Ärztin die Nachricht, dass es am germanistischen Institut zu einem rassistischen Vorfall gekommen ist. Neugierig und innerlich bereits auf der Seite der Geschädigten muss sie mit Schrecken feststellen, dass es scheinbar ihr eigenes Seminar ist, über das berichtet wird. Und sie als Dozentin folglich diejenige ist, welche sich vor ihren Studierenden rassistisch geäußert und eine diskriminierende Situation geschaffen haben soll.
Was dann folgt, ist für Nora ein Wechselbad der Gefühle, eine Suche nach der eigenen Positionierung und ein Ringen um ein Verstehen des Geschehenen. Das alles verpackt in einem ebenso geschickt arrangierten wie äußerst unterhaltsamen Gedankenstrom, der Situationen aus ihrer eigenen Vergangenheit unter einem sich neu ausgerichteten und moralisch geschärften Kompass beleuchtet und so in Verbindung zu dem Verdachtsfall setzt.
Und wie die Kompassnadel schwankt auch Nora darin, welches Vorgehen als von der Gesellschaft angemessen und von ihrem Umfeld akzeptiert von ihr erwartet wird. Und ob sie sich hierzu bereit fühlt. Ist es eine Entschuldigung, offiziell und öffentlich? Ist es ein Leugnen und Abstreiten? Eine Erklärung und Rechtfertigung? Nora weiß es nicht. Und zahlreichen Lesern wird es ähnlich gehen.
„Die Rassistin“ ist ein durchaus mutiger Roman. Eine Geschichte, die einen lächeln lässt und zugleich nachdenklich und betroffen macht – und zwar gerade deshalb, weil wir dies selbst alle sein könnten. Betroffene einer derartigen Situation oder Skandals. Und dies möglicherweise zu Recht? Eine klare Antwort hierauf ist kaum zu finden, doch der Roman ist eine wichtige, intelligent konstruierte und reflektierte Annäherung an diese.

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Veröffentlicht am 09.03.2024

Eindringlicher Roman mit starker Aussage

Der ehrliche Finder
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Beste Freunde? Oder eine Abhängigkeit, die ins Verderben zieht?
Jimmy und Tristan kommen aus zwei verschiedenen Welten und doch verbindet sie viel: Tristan, der mit seinen Eltern und Geschwistern aus dem ...

Beste Freunde? Oder eine Abhängigkeit, die ins Verderben zieht?
Jimmy und Tristan kommen aus zwei verschiedenen Welten und doch verbindet sie viel: Tristan, der mit seinen Eltern und Geschwistern aus dem Kosovo geflohen ist, und sich nun im belgischen Bovenmeer ein neues Leben aufbauen muss. Und Jimmy, der Klassenbeste, Außenseiter und nach der Scheidung seiner Eltern einsam und verstört, der sich Anschluss und einen Freund wünscht.
Dem neuen Mitschüler den Start zu erleichtern und ihm beim Lernstoff zu unterstützen, ist eine Aufgabe, die für Jimmy da gerade wieder gerufen ist. Akribisch und mit Feuereifer bringt er Tristan und dessen Familie die niederländische Sprache bei, arbeitet mit ihm die Schulaufgaben und die verpassten Lektionen durch und hilft ihm, sich im täglichen Leben in Bovenmeer zurechtzufinden. Jimmy selbst bezeichnet Tristan dabei als seinen besten Freund, auf den er eifersüchtig einen Besitzanspruch erhebt.
Tristan, mit 12 Jahren älter als Jimmy, nimmt diese Unterstützung gerne an. Dessen tiefe Gefühle der Freundschaft und Verbundenheit scheint er jedoch nicht im gleichen Maße zu erwidern, ist er selbst doch viel zu sehr mit den Auswirkungen und Traumatisierungen seiner Flucht beschäftigt. Und in seinen Ängsten und Schreckensbildern ist es vor allem seine Großfamilie, die ihm Halt und Unterstützung gibt. Es ist ein gegenseitiges Klammern an- und miteinander, in welchem Jimmy lediglich einen Platz unter mehreren einnimmt.
Und wie die Geschichte sich dann entwickelt, zeigt für mich eine wunderbare Parallelen zu „Und es schmilzt“, obwohl Inhalt und Plot ganz verschieden sind. Doch kommt es überraschend, schonungslos und ungefiltert. Und verstärkt damit die starke Aussage dieser Erzählung: dass Flucht keine Entscheidung ist und alle Menschen ein Anrecht darauf haben, in Sicherheit und Schutz aufzuwachsen. Und dass Verzweiflung dramatische Folgen nach sich ziehen kann.
Bei all diesem starken Appell ist „Der ehrliche Finder“ zugleich ein literarischer Hochgenuss mit einer klaren, präzisen und eindringlichen Sprache. Und ein Roman, der bleiben wird. In der Besprechung und im Herzen seiner Leser*innen.

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