Cover-Bild Der gefährlichste Ort der Welt
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21,00
inkl. MwSt
  • Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 304
  • Ersterscheinung: 13.10.2017
  • ISBN: 9783423281331
Lindsey Lee Johnson

Der gefährlichste Ort der Welt

Roman
Kathrin Razum (Übersetzer)

Als Tristan Bloch eines Morgens auf sein Fahrrad steigt und losradelt, auf die Golden Gate Bridge zu, den heißen, schweißnassen Kopf gesenkt, da ahnen wir schon, dass ihn der Verrat seiner Angebeteten, Calista, vernichtet hat. Sein Liebesbrief wurde auf Facebook gepostet, und das war ihre Schuld.

Fünf Jahre später: Kurz nach dem dramatischen Ende einer Abschlussparty betrachtet Calista, Tristans erste und letzte große Liebe, in dem Versuch, die Ereignisse zu begreifen, ein altes Klassenfoto – Tristan, lachend, in seinen unmöglichen grellgelben Trainingshosen, der sanfte Dave Chu, der durchtriebene Ryan Harbinger, Baseball-Captain und Schwarm aller Mädchen, Abigail Cress, damals noch Calistas beste Freundin, die später mit einem Lehrer anbandelte, und all die anderen, die mit dem Leben und der Liebe gespielt hatten. Ihre fröhlichen Gesichter täuschen. »Sie taten, was sie konnten, um zu überleben.«

Für einen von ihnen war Mill Valley, das verträumte reiche Städtchen über der Bucht von San Francisco, ein vermeintliches Paradies, zur Hölle geworden. Und sie, die zurückblieben, waren vom Leben gezeichnet, noch bevor es richtig begonnen hatte.

Lindsey Lee Johnson leuchtet »den gefährlichsten Ort der Welt« aus den verschiedenen Perspektiven ihrer Figuren aus und entlarvt den amerikanischen Traum als die Illusion einer Gesellschaft, die ihrer inneren Leere zu entkommen sucht.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.01.2018

Sehr emotional und grausam geschrieben

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Zum Inhalt: 
Als Tristan Bloch eines Morgens auf sein Fahrrad steigt und losradelt, auf die Golden Gate Bridge zu, den heißen, schweißnassen Kopf gesenkt, da ahnen wir schon, dass ihn der Verrat seiner ...

Zum Inhalt: 
Als Tristan Bloch eines Morgens auf sein Fahrrad steigt und losradelt, auf die Golden Gate Bridge zu, den heißen, schweißnassen Kopf gesenkt, da ahnen wir schon, dass ihn der Verrat seiner Angebeteten, Calista, vernichtet hat. Sein Liebesbrief wurde auf Facebook gepostet, und das war ihre Schuld. 
Meine Meinung: 
In diesem Jugendroman werden wir mit vielen Personen konfrontiert, die teilweise echt nicht nett sind, blicken in die Seelen von verletzlichen, jungen Menschen, die Dinge tun, die sie oftmals später bereuen. Das Buch berührt einen sehr, ist emotional und grausam geschrieben. Der Schreibstil ist sehr eindringlich und diese Geschichte vergisst man nicht so schnell. Wahrscheinlich hält es einem auch ein wenig einen Spiegel vor, dass man bei so manchen Aktionen, erst denken sollte, bevor es anderen Schäden zufügt. 
Fazit: 
Sehr guter Jugendroman.

Veröffentlicht am 10.01.2018

Eindrucksvoll erzählt

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Mill Valley scheint ein kleines Paradies in der Bucht von San Francisco zu sein, von Wohlstand und Sorglosigkeit begleitet. Wie überall versuchen auch hier Jugendliche ihren Platz in der Welt zu finden: ...

Mill Valley scheint ein kleines Paradies in der Bucht von San Francisco zu sein, von Wohlstand und Sorglosigkeit begleitet. Wie überall versuchen auch hier Jugendliche ihren Platz in der Welt zu finden: Tristan, Calista, Abigail, Emma, Ryan, Nick, Damon. Wohin wird ihr Lebensweg sie führen?

In drei Zeitschienen schildert die Autorin Lindsey Lee Johnson das Leben der privilegierten Jugendlichen in dem scheinbar idyllischen Mill Valley. Doch als Tristan, der Außenseiter, in einem Brief seiner Mitschülerin Calista seine Liebe gesteht, erhält das Idyll den ersten Riss für die Jugendlichen: Tristan wird gemobbt, so dass er keinen anderen Ausweg mehr sieht, als in den Tod zu springen. Weitere „Steine der Trauer“ begleiten die Jugendlichen in ihrer Lebensplanung, unerwartete Wendungen kollidieren mit ihrer bisherigen Vorstellungen. In eindrucksvollen Bildern und wechselnden Perspektiven erzählt die Autorin die Geschichte der Jugendlichen, lässt dabei den Leser hautnah alles miterleben: Jeder Jugendliche erhält genau den richtigen Raum für sich selbst. Mill Valley wird dabei zum „gefährlichsten Ort der Welt“, die Geschichte gerät zur Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Traum in der heutigen Zeit der Cybermedien und einer Gesellschaft des Wohlstands, die per se die Erfüllung aller Wünsche verspricht.

Ein sehr emotionales Buch über das Erwachsenwerden, über die Verantwortung für sich und andere ist dabei entstanden, das unter die Haut geht und berührt. Der Nachhall der Erzählung wird den Leser noch eine Weile begleiten.

Veröffentlicht am 29.12.2017

Der gefährlichste Ort der Welt

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Wo befindet sich „Der Gefährlichste Ort der Welt“?

Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage, führt uns Lindsey Lee Johnson mit ihrem Debütroman an eine Mittelschule in Mill Valley im sonnigen ...

Wo befindet sich „Der Gefährlichste Ort der Welt“?

Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage, führt uns Lindsey Lee Johnson mit ihrem Debütroman an eine Mittelschule in Mill Valley im sonnigen Kalifornien nahe San Francisco, an der ganz normale Schüler lernen. Oder etwa nicht?

Schauen wir auf die Achtklässler. Einer ragt auf jeden Fall heraus aus diesem Verbund der 13-Jährigen: Tristan Bloch – unbeholfen und seltsam, blass und allein durch seine übergroßen Jogginghosen außergewöhnlich – macht den schwerwiegenden Fehler, „sein Herz in die Welt hinauszuschicken“ und seiner Klassenkameradin Cally Broderick einen von Grund auf ehrlichen Liebesbrief zu schreiben. „Liebe Calista, du denkst wahrscheinlich nicht, dass dich hier in der Schule jemand sieht, aber ich sehe dich. Dich richtig sieht, meine ich… Calista, ich liebe dich, glaubst du, du könntest mich auch lieben?" (Seite 30)

Calista, unsicher und unangenehm berührt ob dieser unerwarteten Zurschaustellung von Gefühlen setzt eine Maschinerie in Gang, von der sie letzten Ende mitgeschleift wird. Sie zeigt den Brief ihrer Freundin Abigail Cress, die ihn an Ryan Harbinger weiterreicht. Der veröffentlicht ihn im Netz auf Facebook, und eine bösartige Anti-Tristan-Kampagne beginnt. Die Folgen sind verheerend: Tristan, der sich am liebsten in seinem Zimmer verkriechen möchte, weil er sich dort vor den Anfeindungen und Gehässigkeiten seiner Mitschüler sicher glaubt, hält dem Druck nicht stand und springt von der Golden Gate Bridge in den Tod.

Und nun müssen Cally und ihre (vermeintlichen) Freunde im Verlauf der Zeit mit dem Geschehen zurechtkommen. Die Autorin belässt es nicht dabei, das Dasein einiger Teenager in der achten Klasse zu beleuchten. Vielmehr spannt sie den Bogen weiter über die elfte bis hin zur zwölften Klasse und beschreibt aus der jeweiligen Perspektive des Einzelnen die Auswirkungen, die Tristans Tod auf denjenigen und alle anderen hat. Hierbei bleibt die bedrückende Erinnerung allgegenwärtig, wenn die Jugendlichen versuchen, einen Weg, einen Sinn, eine Zukunft zu finden, während sie sich an ihren Platz in der sozialen Ordnung klammern und alles tun, was sie können, um zu überleben.

Doch wenn man aus einen Ort wie Mill Valley stammt, ist das Entkommen (fast) unmöglich.

"Dieser Ort war so speziell, in seiner Schönheit und seinen Beschränkungen, dass kein anderer Ort ihnen wirklich stimmig erscheinen würde. Sie konnten nicht vergessen, dass diese Welt für sie geschaffen worden war, dass sie in dieses perfekte Nest hineingeboren worden waren, und trotzdem hatten sie darauf bestanden, unglücklich zu sein. Hatten auf dem Dunkel beharrt." (Seite 295)

Lindsey Lee Johnson fängt überzeugend das Innenleben ihrer Protagonisten ein. Ihre Charaktere sind sorgfältig und tiefgründig gezeichnet, widersprüchlich in dem, was sie tun, unberechenbar und gleichzeitig auch berechenbar. Denn sie wollen zwar anerkannt und verstanden werden, dem Alltag entfliehen, allerdings auch unauffällig sein, nicht aus der Masse herausragen.

Es sind Jugendliche, denen es gut geht, die sich alles leisten können, deren soziales Umfeld stimmt. Im noblen Mill Valley herrscht eine Welt des Überflusses und materiellen Wohlstandes, es fehlt an nichts. Und doch hat diese Pracht einen Haken: Zumindest einigen Jugendlichen mangelt es an Ethik und Moral, weil sie ihnen nicht vermittelt wird. Denn von ihnen wird zwar einiges erwartet, was mitunter schon an Überforderung grenzt, jedoch Hilfestellungen und Unterstützung durch die Eltern erfahren sie nur im geringen Maße, gar nicht, oder sie lehnen sie ab. Weil die Eltern in vielen Fällen entweder abwesend oder von ihrer Arbeit vereinnahmt und abgelenkt sind, entsteht zur körperlichen auch eine emotionale Trennung. Und das Schlimmste, dies ist den Jugendlichen bewusst.

Glück sieht jedenfalls anders aus.

Zum Beispiel für Ryan, dessen Mutter all das überwacht, was er tut, einschließlich seiner Hausaufgaben, die zudem ständig mit den Lehrern redet und ihm keinerlei Freiräume zu lassen scheint, darüber hinaus aber überhaupt keine Ahnung von dem hat, was ihm durch den Kopf schwirrt, von der Wut in seinem Herzen, von der Sehnsucht nach weiß der Himmel was. Im Grunde also ist er einsam, sensibel, was seine Handlung – er setzt den Brief von Tristan ins Netz – umso schockierend erscheinen lässt.

Oder Abigail, mit Selbstzweifeln behaftete und verschlossene Einser-Schülerin, sie lässt sich auf eine Affaire mit ihrem Englischlehrer ein, weil er sie durch Fragen dazu bringt, sich zu öffnen, und sich so sanft Zugang zu ihr verschafft.

Nick, der einerseits dealt, andererseits auf Grund seiner Intelligenz in der Lage ist, anstelle seiner Mitschüler Tests für die Zulassung zum College zu absolvieren, die er sich teuer bezahlen lässt. Unter anderem von Dave, der selbst unter dem Gewicht der elterlichen Erwartung zusammenzubrechen droht und trotz Verbot, seine Ersparnisse für die „Hilfe“ von Nick aufwendet.

Elisabeth, von erlesener Schönheit, aber gemieden, weil sie als eingebildet und unerreichbar gilt und sich außerhalb des komplexen sozialen Gefüges befindet und keinerlei Drang verspürt, sich darin einen Platz zu verschaffen, lässt sich von Nick überreden, im Haus ihrer Eltern eine Party zu feiern, die letztlich aus dem Ruder läuft und in einem Desaster endet.

Im Besonderen für Emma, beliebt, hinreißend, bezaubernd, amüsant. Durch einen Autounfall dermaßen verletzt wird ihr Traum vom Tanzen zerstört. Allerdings endet ihr Schmerz damit nicht.

Und letzten Endes Calista, voller Schuldgefühle wendet sie sich den schulischen Hippies, einer sozialen Randgruppe, zu.

Lindsey Lee Johnson schreibt ungezwungen, leicht verständlich, offensiv und fließend. Sie findet den passenden Ton, um (nicht nur) den jugendlichen Leser zu unterhalten und zu fordern, bleibt beim Wesentlichen und findet geschickt die Mischung, eine deutliche Stellung gegen die Handlungen ihrer Protagonisten einzunehmen, sich hierbei zugleich einer eigenen Wertung zu enthalten. Sie erlaubt einen Blick hinter die Kulissen, überlässt es aber dem Leser, das Geschehen einzuschätzen und zu beurteilen.

Eines wird wieder einmal deutlich: „Der gefährlichste Ort der Welt“ ist weniger ein wahrnehmbarer Raum wie die Mittelschule in Mill Valley, sondern vielmehr der virtuelle Raum des Internets, in dem das öffentliche Beschämen, Demütigen, Beschimpfen, Verleumden eine für die Jugendlichen akzeptable Art und Weise der Kommunikation ist, während sie sich scheinbar zur Ehrlichkeit und aufrichtigen Freundschaft nicht in der Lage sehen, um von den eigenen individuellen Ängsten, Hoffnungen und Wünsche abzulenken. Wie gleichermaßen traurig und erschütternd!

Nur Tristan hat dies nicht begriffen: Einen Brief zu schreiben, von Liebe zu sprechen, aufrichtig, ohne zu beschönigen. Wie konnte er nur so blind, ja so furchtlos sein?

Veröffentlicht am 29.11.2017

Beeindruckend, punktuell verstörend und schonungslos ehrlich.

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Es ist nun schon in etwa eine Woche her, dass ich das Buch beendet habe und nach wie vor fällt es mir schwer, meine Gedanken in Worte zu fassen. Bei Der gefährlichste Ort der Welt handelt es sich um ein ...

Es ist nun schon in etwa eine Woche her, dass ich das Buch beendet habe und nach wie vor fällt es mir schwer, meine Gedanken in Worte zu fassen. Bei Der gefährlichste Ort der Welt handelt es sich um ein besonderes Buch über mehrere Jugendliche, die allesamt eine interessante Geschichte haben, die wiederum alle Einfluss auf das große Ganze nehmen. Diese Geschichten haben dabei alle etwas gemeinsam – sie beschäftigen sich mit dem Prozess der Selbstfindung, dem Heranwachsen und damit einhergehende Probleme.

Die Geschichte zeigt auf, dass man zwar verschiedene Lebensstile haben kann, aber grundsätzlich gar nicht so unterschiedlich ist. Alle aufgeführten Jugendlichen hegen den Wunsch nach Akzeptanz ihres Umfeldes, nach Freundschaft und irgendwie auch nach Liebe, egal ob familiär, freundschaftlich oder partnerschaftlich.

Es gab somit ganz verschiedene Aspekte, die in den einzelnen Texten behandelt wurden, die alle zusammenspielten und aufeinander aufbauten. Ich lernte Calista/Cally kennen, die einen sehr persönlichen Brief von Tristan bekam, was die eigentliche Basis darstellte, auf der die gesamte Geschichte konstruiert wurde. Besonders Cally machte eine immense Entwicklung durch, an der der Brief keinesfalls unschuldig war. Denn dieser Brief wurde an andere Personen weiter getragen und später sogar in den sozialen Medien thematisiert, was heftige Folgen für alle Beteiligten hatte. Zu viel möchte ich an dieser Stelle nicht verraten. Ich persönlich wusste vor dem Lesen auch nicht mehr als ihr bis hier hin, und das war auch gut so.

Danach lernte ich Abigail kennen, einst die beste Freundin von Cally, die eine geheime und recht kritische Beziehung zu einem Mann hatte. Dann gab es noch Dave, der recht vernünftig wirkte im Gesamtkontext, aber auch sein Päckchen zu tragen hatte. Nick fälschte Prüfungen, vertickte Drogen und organisierte eine Party bei Elisabeth, die verheerende Folgen hatte. Sein Kumpel Damon trug seinen Teil dazu bei. Und Emma litt danach Höllenqualen, körperlich, wie seelisch. Elisabeth wirkte auf den ersten Blick arrogant, war aber in Wirklichkeit völlig einsam und in sich gekehrt und musste schlimme Dinge erleben. Ryan, ein weiterer Kumpel von Nick, kam einer interessanten Neigung nach.

Ihr merkt, dass es zahlreiche Charaktere gab, deren Geschichten aufeinander aufbauten, schon alleine, weil die Personen miteinander agierten. Besonders gelungen fand ich dabei den Schreibstil. Das Buch war in drei große Teile gegliedert und es gab einen allwissenden Erzähler. Interessant fand ich die Überschriften, die immer eine Kombination aus Artikel und Nomen beinhaltete, die den Kernaspekt darstellte, beispielsweise Der Brief, Die Schöne, Das Internet, Die Tänzerin. In jedem Textabschnitt, der zu einer bestimmten Person gehörte, wurden Nebenfiguren benannt, die eine Rolle in der Geschichte der Person spielten, und über die dann im nächsten Abschnitt berichtet wurde. Somit gab es einen roten Faden, der einen durch das Buch führte. Spannend fand ich, dass Callys Geschichte dabei einen Rahmen bildet. Im ersten Kapitel erfuhr ich Hintergrundinformationen über Mill Valley, die einen interessanten Einstieg in das Buch bildeten. Die Geschichte führte mich durch die achte, elfte und zwölfte Klasse der Protagonistin.

Lehrerinnen wie sie ermunterten hoffnungslose Fälle wie Tristan ständig, sich mit absurden Anstrengungen in die Gemeinschaft einzubringen – mit Liebeserklärungen oder wahllosen Versuchen, Freundschaften zu schließen -, als wäre die Mittelschule ein sicherer Hafen, in dem man solche Experimente durchführen konnte, und nicht der gefährlichste Ort der Welt.
[Der gefährlichste Ort der Welt, Lindsey Lee Johnson, S. 40]

Jede einzelne Geschichten dieser vielseitigen und einzigartigen Jugendlichen hat mich verstört und beeindruckt zugleich. Sie regten zum Nachdenken an und zeigten auf, dass niemand grundsätzlich vor derartigen Komplikationen des Jugendalters geschützt ist, egal wie klein, sicher oder unscheinbar der Wohnort wirkt, wie sorglos und reich die Familie ist, wie groß der Freundeskreis. Besonders überwältigend fand ich die letzten Seiten des Buches, in denen Cally ihr Verhalten und das der anderen reflektierte, Handlungen zum Teil erklären, aber nicht beschönigen wollte.

Der gefährlichste Ort der Welt ist ein beeindruckendes, punktuell verstörendes und schonungslos ehrliches Buch, welches mich thematisch nachhaltig beschäftigen wird. Die Thematik, die sich um das Heranwachsen und den Einfluss sozialer Medien dreht, geht meiner Meinung nach jeden etwas an.

Vielen Dank an den dtv Verlag für das Rezensionsexemplar.

Veröffentlicht am 21.11.2017

(A)soziale Medien

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Tristan Bloch besuchte die achte Klasse der Mill Valley Middle School- im nächsten Jahr sollte sein schulischer Werdegang an der High School fortgesetzt werden. Eigentlich. Denn Tristan begeht einen schwerwiegenden ...

Tristan Bloch besuchte die achte Klasse der Mill Valley Middle School- im nächsten Jahr sollte sein schulischer Werdegang an der High School fortgesetzt werden. Eigentlich. Denn Tristan begeht einen schwerwiegenden Fehler: er wurde bisher zwar als "sonderbar" abgestempelt und von seinen Mitschülern gemieden, aber zumindest wurde er geduldet und in Ruhe gelassen. Doch Tristan entschied sich eines Tages, seiner Mitschülerin Cally Broderick in einem Brief seine Liebe zu gestehen. Die gleichaltrige, von der Pubertät und der schweren Krankheit ihrer Mutter gebeutelte Cally kann mit diesem völlig unerwarteten Gefühlsausbruch ihres Mitschülers (mit dem sie bisher kaum je ein Wort gewechselt hat) nicht umgehen, er wirft sie aus der Bahn. Also wendet sie sich damit an ihre Freundinnen. Eine Entscheidung von verhängnisvoller Tragweite, denn damit ist die Katze aus dem Sack, der Tratsch verbreitet sich wie ein Lauffeuer im gelangweilten Mikrokosmos der Schule und der virtuelle Pranger in den sozialen Medien ist die unausweichliche Folge. Über Wochen wird Tristan verhöhnt, fertiggemacht und gezielt erniedrigt. So lange, bis für den sensiblen und klugen Tristan feststeht, dass er keinen Platz mehr hat in dieser Welt.

Dieser Roman geht einem wirklich unter die Haut. Obwohl sich die Autorin in ihrer Figurenzeichnung sämtlicher Klischees bedient, die die beliebten High-School-Filme der 80er Jahre in unseren Köpfen zementiert haben (der Sportler, die Unangepasste, die unnahbare Schöne, der Streber usw.), variiert sie diese Charaktere und passt sie an die heutige Zeit an, so dass sie wider Erwarten weder schablonenhaft noch überzeichnet wirken.
Da es nicht "den einen" Protagonisten gibt, sondern eine nicht gerade kleine Gruppe von Schülern im Mittelpunkt steht, die noch dazu kaum Berührungspunkte untereinander hat, werden die Ereignisse zwar chronologisch wiedergegeben, aber die Perspektivwechsel erfolgen oft etwas abrupt und unerwartet - eine Erzählweise, auf die man sich nach und nach einstellen muss, und die wahrscheinlich auch nicht jedermanns Geschmack trifft. Dazu kommt noch, dass abgesehen von Cally jeder nur einen "Auftritt" hat, und die Autorin sich offensichtlich bewusst dagegen entschieden hat, Sympathien für ihre Figuren wecken zu wollen. In meinen Augen zwar eine mutige, aber auch riskante Entscheidung, da man als Leser immer auf Distanz bleibt.

Cybermobbing ist der Aufhänger dieser Geschichte, ein Thema, das zumindest mir immer wieder nahegeht, und mich in meiner generellen Aversion gegen die sozialen Medien wie Facebook, Twitter, Snapchat usw. bestätigt. Gerade junge Menschen neigen dazu, viel zu viel von sich preiszugeben und sich damit zur Zielscheibe nicht nur ihres persönlichen Umfeldes, sondern eines viel größeren Personenkreises zu machen. Da oft (nicht nur von Jugendlichen, sondern auch von Erwachsenen) nicht mehr wahrgenommen wird, dass am anderen Ende echte Menschen mit Gefühlen, Komplexen und ihren ganz eigenen Befindlichkeiten sitzen, werden oft Dinge geschrieben, die man im wahren Leben und Auge in Auge niemals aussprechen würde.
Nur am Anfang wird dieses Thema wirklich angesprochen, aber unterschwellig ist es die ganze Zeit vorhanden. Es geht weniger um Tristans tragische Geschichte, sondern um diejenigen, die ihn virtuell attackiert haben, und von außen betrachtet danach einfach ihr Leben weiterleben. Doch ist das wirklich so? Haben die Mobber damit abgeschlossen, oder trägt jeder Tristan und den eigenen Anteil an seinem Schicksal mit sich herum?

"Der gefährlichste Ort der Welt" ist wirklich keine leichte Lektüre, denn obwohl die (tatsächlich real existierende) kalifornische Stadt Mill Valley nach außen hin paradiesisch wirkt - die Bevölkerung ist zwischen wohlhabend und reich anzusiedeln, die Jugendlichen leben im materiellen Überfluss und die Kriminalitätsrate ist für amerikanische Verhältnisse lächerlich gering - trügt das Kleinstadtidyll und hinter den gepflegten Fassaden bestimmen Leistungsdruck, Gruppenzwang und emotionale Verwahrlosung das Leben der Teenager.
Ein Buch, das mich wirklich nachdenklich zurücklässt, das die Grenzen zwischen "Täter" und "Opfer" aufweicht und am Ende zwar keine Antworten liefern kann, dafür aber viele Fragen aufwirft, die die meisten Leser noch eine Weile beschäftigen dürften.