Die geheime Sprache der Briefmarken
Vom Verlag erhielt ich die Anfrage, ob ich diesen Roman lesen und rezensieren möchte. Da ich selbst in Österreich lebe und Bücher mit dem Thema Zweiten Weltkrieg gerne lese, war meine Neugierde geweckt. ...
Vom Verlag erhielt ich die Anfrage, ob ich diesen Roman lesen und rezensieren möchte. Da ich selbst in Österreich lebe und Bücher mit dem Thema Zweiten Weltkrieg gerne lese, war meine Neugierde geweckt. Außerdem war mein Vater ebenfalls Briefmarkensammler und hat mich schon als Kind in diese Materie eingeführt. Trotzdem hatte ich etwas Bedenken, denn ich fragte mich, ob es eine amerikanische Autorin schafft mein Heimatland zur Zeit des 2. Weltkrieges und das Thema Briefmarken realitätsnah und authentisch zu beschreiben. Da ich bereits einmal einen Roman einer britischen Autorin gelesen habe, die über das Schi fahren schrieb und dabei wirklich hanebücherne Dinge verfasste (ich muss noch heute den Kopf darüber schütteln!), war ich sehr skeptisch. Doch Jillian Cantor hat mich positiv überrascht und schließlich überzeugt!
Die Handlung wird in zwei Zeitebenen aufgeteilt. Wir befinden uns 1989 in Kalifornien und 1938/39 in einem kleinen Dorf in Österreich.
Katie lebt in L.A. und hat im Moment eine schwere Zeit. Die Scheidungspapiere liegen zum Unterzeichnen in ihrer Wohnung, ihr baldiger Ex-Mann ist noch dazu ihr Chef und ihr Vater leidet immer mehr an Demenz. Schweren Herzens muss sie ihn ins Heim bringen. Seine große Leidenschaft im Leben waren seine Briefmarken. Jeden Sonntag nahm er seine Tochter mit auf diverse Flohmärkte und träumte davon, irgendwann einen besonderen Schatz zu finden. Katie bringt seine Sammlung zum Schätzen zum Briefmarkenhändler Benjamin Grossmann. Dieser findet tatsächlich etwas Außergewöhnliches: einen nicht abgeschickten Briefumschlag an Fräulein Elena Faber mit einer sonderbaren Briefmarke darauf. Es ist eine alte Marke aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges und zeigt den Stephansdom in Wien. Doch auf der Kirchturmspitze befindet sich, fast unkenntlich, ein Edelweiß. Katie und Benjamin beschließen daraufhin herauszufinden, welches Geheimnis diese Marke birgt.
1938: Christoph, ein Waisenjunge, darf das Handwerk des Briefmarkengraveurs beim berühmten jüdischen Graveur Friedrich Faber erlernen. Dort wird er liebevoll in die Familie aufgenommen. Christoph ist faszniert von der kunstvollen Arbeit. Er ist ein guter Zeichner, doch mit dem Stichel und der Metallplatte tut er sich anfangs sehr schwer. Fabers Tochter Elena arbeitet selbst heimlich mit dem Stichel und ist nicht ungeschickt. Politisch ist die Zeit keine leichte, denn Österreich wird von Deutschland ins Deutsche Reich "aufgenommen" und die Hetzte gegen die Juden wird immer schlimmer. Friedrich Faber, seine Frau und die Töchter Miriam und Elena sind in Gefahr....
Jillian Cantor hat die Faszination des Gravurhandwerks hervorragend beschrieben. Im Widerstand gegen Hitler wurden auf Briefmarken öfters geheime Botschaften versteckt und so weiter gegeben.
Die Autorin hat die Lage in Österreich zur Zeit der Besatzung und des anschließenden Beginn des Zweiten Weltkrieges sehr anschaulich dargestellt. Das Niederbrennen und die Ausrottung einzelner Dörfer, die Enteignung der Juden und ihrer Geschäfte, sowie im besonderen Fall die Aufgabe eigene österreichische Briefmarken im Deutschen Reich herzustellen. Es geht auch um Fluchthilfe und Widerstand.
Aber auch das Jahr 1989 ist ein politisch wichtiges Jahr. Mit Katie reisen wir kurz nach dem Fall der Mauer nach Berlin und der Leser erlebt auch hier einen denkwürdigen Moment. Im Gegenwartstrang nimmt sich die Autorin der Alzheimererkrankung und menschlichen Verlusten an. Auch diese Themen hat sie gut umgesetzt.
Die Charaktere seind sehr lebendig und liebevoll gestaltet. Ich hatte sie alle vor Augen und die individuellen Charaktere haben mir äußerst gut gefallen. Katie liebt ihren Vater sehr und kümmert sich rührend um ihn. Benjamin blieb mir allerdings ein bisschen zu blass. Er war generell die einzige Figur, die ich nicht richtig greifen konnte. Katies Großmutter hingegen ist mir besonders ans Herz gewachsen. Auch Christoph ist ein sehr liebenswürdiger Mensch, der vorallem für Andere da ist. Elena ist eine sehr impulsive junge Frau, die oft handelt und erst später denkt. Sie ist im Widerstand tätig und sich oftmals der Gefahr, in die sie sich begibt, nicht richtig bewusst. Eine sehr starke Frau!
Was ich nicht unbedingt gebraucht hätte, war die Liebesgeschichte in der Gegenwart. Sie hat mich auch nicht zu 100% überzeugt.
Schreibstil:
Der bewegende und bildhafte Schreibstil der Autorin hat mich mit den Figuren mitfiebern lassen. Jilliane Cantor hat hervorragend zu den Themen Briefmarken, Beginn des zweiten Weltkrieges in Österreich und auch zum Thema Alzheimer recherchiert. Ihre Ausführungen über die politischen Ereignisse in Österreich 1938/39 und die der Wende in Deutschland 1989 wurden sehr interessant und authentisch dargestellt.
Fazit:
Ein Roman auf zwei Zeitebenen, der teilweise in meinem Heimatland spielt. Eine bewegende Geschichte mit Tiefe, die mich überzeugen konnte und mir spannende Lesestunden gebracht hat. Gerne empfehle ich diesen Roman weiter.
Vielen Dank an den Heyne Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares!