„Abwesend, lange Zeit habe ich dich abwesend erlebt. Abwesend vom Leben, von der Mutterschaft, von jeglichem Verlangen. Einverständig lächelnd triebst du langsam über dem Leben dahin.“
Inhalt
„Du springst, ich falle“ ist ein autobiografischer Roman der 1980 in Teheran geborenen Maryam Madjidi, die sich mit ihrem Debüt auch ein Stück weit persönliche Lebens- und Leidensgeschichte vom Herzen geschrieben hat. Und das spürt man über alle Seiten hinweg, eine allumfassende, nicht wegzudenkende Auseinandersetzung mit den Wurzeln, die sie so sehr vermisst hat und der Sehnsucht nach der Heimat im Herzen. Die kleine Maryam hatte aber nicht die Möglichkeit, selbst über ihr Leben zu entscheiden, sondern wurde von den Überzeugungen der Eltern förmlich überrollt. Und dann ist da diese schmerzhafte Lücke, die nie zur Ausbildung gekommene Liebe, die Einsamkeit in einem fremden Land, im Haushalt von Menschen, die mit ihrem eigenen Schicksal hadern und kein Verständnis für die Befindlichkeiten ihrer Tochter haben…
Meinung
Die Gegensätze in der Erzählung haben einen gewissen Reiz, denn angefangen über eine dramatische Kindheit, in einem kommunistischen Elternhaus, mit Revolutionären als Erziehungsberechtigten, bis hin zu einem ruhelosen Erwachsenenleben, immer auf der Suche nach dem echten, wirklichen Platz im Leben, fließen alle Gedankengänge in den Handlungsverlauf ein. Dabei sind es kurze Episoden, fast schon Momentaufnahmen, die erst in ihrer Vielzahl ein schlüssiges Bild ergeben – und was der Leser erkennt ist eine verletzte Seele, die sich nach allen Seiten wehrt und jedwede Beeinflussung ablehnt. Aus einer kindlichen Ohnmacht folgt eine latente Unzufriedenheit und ein unterdrückter Groll auf vereitelte Chancen. Die Sprache ist poetisch, klar und formschön zugleich, man könnte auch sagen niveauvoll ohne allzu dominant zu wirken – ein klares Plus bei dieser Erzählung.
Was mir hingegen wahrhaft Bauchschmerzen bereitet hat, ist der Unterton, der Hintergrund, der sich für mich immer mehr in den Vordergrund gespielt hat. Denn die Identitätssuche der Protagonistin ist nicht nur sehr pessimistisch und schmerzhaft auf Grund ihrer fehlenden Heimat, sondern vor allem, weil sie Eltern hat, die ihr keinerlei Halt bieten können, die sie manchmal unterschätzen, dann wieder überfordern und eigentlich zu keiner Zeit das echte Wesen ihres Kindes entdecken. Demnach entwickelt sich die Geschichte weniger zu einer Abhandlung über das Leben in der Fremde mit all den nachempfindbaren Entbehrungen, als vielmehr zu einer Anklageschrift gegen die Eltern und ihre aufgezwungene Lebensweise. Immer wieder habe ich mich gefragt: „Wo ist die Liebe hin, war sie überhaupt jemals da?“ Und ich möchte mich emotional auf die Seite der mir unbekannten Eltern stellen und ihr Handeln irgendwie verteidigen, denn die Undankbarkeit, mit der die Tochter ihnen entgegentritt, bereitet mir Sorgen. Die Eltern wollten Freiheit und nahmen sie mit allen Konsequenzen, die Tochter wollte eine Heimat, hat sie aber nirgends gefunden – traurig, dramatisch und sehr bedrückend.
Fazit
Ich vergebe 3,5 Lesesterne, die ich gerne zu 4 Sternen aufrunde, denn sprachlich ist die Lektüre genau nach meinem Geschmack. Nur die alles überlagernde Schwermut, die Anklage, die innere Unzufriedenheit, all das war nicht Teil meiner Erwartungshaltung. Zu sehr ging es mir um einen innerfamiliären Konflikt, der durch die vordergründige Erzählung einer Emigration, nicht an seiner Schärfe verliert. Möglicherweise hätte mir das Geschriebene weniger abverlangt, wenn es fiktionaler und nicht so deutlich autobiografisch angelegt gewesen wäre. So bleibt aber ein bitterer Beigeschmack und die für mich erschütternde Erkenntnis, wie wenig man in den Kopf enger Familienangehöriger schauen kann und wie differenziert die Betrachtung objektiver Dinge erfolgt, wenn man ganz anders tickt. Definitiv kein Buch, mit dem ich mich identifizieren möchte und das finde ich schade, denn bedeutet es doch, dass mich die Emotionen nicht erreichen konnten.