Die Handlung von "Loney" spielt in England, der Ich-Erzähler trägt den Spitznamen Tonto, sein richtiger Name wird nie genannt. Gleich zu Anfang erfahren wir, dass Tonto einen Bruder namens Andrew hat, der innerhalb der Familie Hanny genannt wird. Hanny ist heutzutage Priester, Bestsellerautor, verheiratet und zweifacher Vater, aber in seiner Kindheit und Jugend war er in seiner geistigen Entwicklung auf dem Stand eines Kleinkindes und konnte noch nicht einmal sprechen. Der Schlüssel zu seiner wundersamen Heilung liegt in einer Pilgerfahrt zum heiligen Schrein von "The Loney" in den späten 70ern.
Der Leser folgt nun Tontos Schilderungen über die Ereignisse, die damals zu Hannys Genesung geführt haben, und auch über deren Spätfolgen in der Gegenwart.
Man erfährt viel über die Familie der beiden. Die Mutter, aus unerfindlichen Gründen "Mummer" genannt, ist eine absolut abstoßende bigotte Frau, für die ich keinen Funken Sympathie aufbringen konnte. Sie regiert ihren Familienclan mit eiserner Faust, ihr Wort ist Gesetz und selbst "Farther" (ihr Ehemann und Hannys und Tontos Vater) kuscht vor ihr. Wer nun erwartet, dass ihr Einflussbereich an den Grenzen ihres Haushalts endet, irrt sich gründlich. Auch während der Pilgerfahrt nach Loney kommandiert sie die ganze Gemeinschaft herum, weiß zu jedem Thema alles besser, und lässt auch den neuen Pfarrer Father Bernard bei jeder Gelegenheit spüren, dass er dem seligen Father Wilfried nicht mal die Schuhe putzen dürfte. Man könnte ihren Charakter nun für überzeichnet halten, aber ich muss sagen, es gibt durchaus fanatisch gläubige Menschen, die exakt so auftreten und ihrem gesamten Umfeld das Leben vergällen.
Leider war beim gesamten Personal keine Figur zu finden, zu der ich eine wirkliche Verbindung bekommen hätte: Farther ist ein Waschlappen, Father Bernard lässt sich von Mummer völlig einschüchtern, selbst mit Tonto konnte ich nicht wirklich sympathisieren, und die anderen sind so fromm, dass sie todlangweilig sind.
Positiv zu erwähnen ist, dass der Autor unheimlich stimmungsvoll schreiben kann. Das düstere Setting von The Loney und die beklemmende Atmosphäre innerhalb dieser verschrobenen christlichen Gemeinde mit all ihren seltsamen Ritualen entfaltet schon auf den ersten Seiten die volle Wirkung. Man kann das düstere alte Haus, in dem die Gruppe während ihrer Pilgerreise das Osterwochenende verbringt, fast vor sich sehen, genau wie die karge Landschaft und die raue See.
Eigentlich unverständlich, dass im Gegensatz dazu alle Personen - abgesehen von Mummer - so merkwürdig blass und kaum greifbar erscheinen.
Dagegen hat mir überhaupt nicht gefallen, dass der Autor den Leser über mehr als 300 Seiten immer wieder mit vielen vagen Andeutungen ködert, damit auch den Spannungsbogen über die weite Strecke gut aufbaut, um ihn dann am Ende völlig frustriert zurückzulassen, weil er jegliche Form der Auflösung schuldig bleibt. Dabei bin ich ein Leser, der auch durchaus damit zurechtkommt, wenn am Ende nicht jedes Detail minutiös aufgelöst wird, es darf ruhig auch ein wenig Raum für meine eigene Interpretation bleiben, aber was Andrew Michael Hurley hier abliefert ist wirklich der Gipfel der Schwammigkeit. Man sitzt nach der letzten Seite auf so vielen losen Enden, dass es eigentlich eher ein gordischer Knoten ist. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Autor schlicht nicht in der Lage war, aus all seinen konfusen Hinweisen und grusligen Details ein auch nur halbwegs schlüssiges Ende zu konstruieren.
Ein Beispiel hierfür ist vielleicht, dass etwa bis zur Mitte des Buches noch immer unklar war, ob es sich bei der Gemeinde "Saint Jude's" nun um eine katholische, eine anglikanische oder am Ende eine ganz andere christliche Glaubensrichtung handelt. Von dieser quälenden Frage wurde ich dann irgendwann erlöst, es handelt sich um eine katholische Gemeinde. Schön, dass ich das zumindest erfahren habe. Aber wieso um Himmels Willen ist der gute Hanny dann bitte Geistlicher und Ehemann? Ich bin in Glaubensfragen sicher nicht unbedingt auf dem neuesten Stand, aber ich denke, wenn das Zölibat abgeschafft worden wäre, hätte ich das doch mitbekommen. Und wenn sich Hanny nach seiner gottgegebenen Wunderheilung als so undankbar erwiesen hätte, und zu den Protestanten oder Anglikanern konvertiert wäre, hätte Mummer sich doch vermutlich aus Verzweiflung in ihr allerbestes Küchenmesser gestürzt...?
Und damit kommen wir zurück auf das titelgebende Zitat: Lacht der Autor sich nun grade ins Fäustchen und genießt die immerwährende Schadenfreude, weil er für seinen Roman sogar noch einen Preis abgestaubt hat, obwohl er uns Lesern so ziemlich alle Antworten schuldig geblieben ist, einschließlich der Erklärung für den verheirateten Priester und seine wundersame Genesung? Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich frage, ob die betreffende Jury ihren Siegertitel überhaupt gelesen hat...
Da dieser Roman nicht im Ansatz halten konnte, was die Leseprobe versprochen hat, kann ich mich gerade noch zu einem zweiten Stern aufraffen, weil mir die düstere Stimmung des Buches gefiel, und weil der Autor mit Mummer zumindest einen gelungenen Charakter erschaffen hat.