Großartige historische Aufarbeitung
„Japanerinnen kommt!“, lautete der Aufruf, der klang, wie ein unerhörter Traum. Er versprach Jungfrauen ein Leben in Amerika, eine Ehe mit einem gut situierten Landsmann, der schon vor Jahren sein Glück ...
„Japanerinnen kommt!“, lautete der Aufruf, der klang, wie ein unerhörter Traum. Er versprach Jungfrauen ein Leben in Amerika, eine Ehe mit einem gut situierten Landsmann, der schon vor Jahren sein Glück fand. Die Fotos, die die Vermittlungen ihnen schickten, zeigten gepflegte junge Männer in Anzügen, Beweise ihres Erfolges als Manager, Banker und Großgrundbesitzer. Sie alle folgten dem Ruf in die Freiheit und betraten das Schiff, kleine hellhäutige Frauen, mit langen schwarzen Haaren, ohne Selbstwertgefühl. Unbehaglich fühlten sie sich im Schiffsrumpf, wo sie sich Etagenbetten teilten, um sich auf schmutzige Matratzen zu legen und von ihren Männern zu träumen. Das Schwanken des Schiffes ließ manche, die Reling aufsuchen, andere waren einfach grün im Gesicht und stöhnten leise. Es dauerte nicht lang, da klagten sie über stinkende Latrinen, deren Löcher wie Schlünde aus dem Schiffsbauch ragten, über Läuse und Bettwanzen, über das Essen, aber eigentlich waren sie glücklich.
Bei der Ankunft trauten sie ihren Augen nicht. Die Männer, die sie empfingen, waren nicht nur älter als auf den Fotos, sondern auch ungepflegt. Ihr Beruf war Gärtner, Feld – oder Wanderarbeiter. Sie nahmen sie, ohne ihnen Zeit zu lassen. Nahmen sie, obwohl sie noch keine dreizehn waren. Nahmen sie sanft und fragten, ob sie ihnen weh taten, nahmen sie mit Gewalt und sahen sie am nächsten Morgen nicht an.
Sie weinten, weil sie ihre Tochter zurücklassen mussten, die sie bekommen hatten, nachdem der buddhistische Wanderpriester, der für eine Nacht bei ihren Eltern eingekehrt, wieder abgereist war. Sie wussten nicht, dass sie um ihre Töchter trauern würden, bis sie den letzten Atemzug getan hätten.
Fazit: Was für eine Geschichte. Julie Otsuka erzählt die Geschichte japanischer Einwander*innen mit einer Eindringlichkeit, der ich mich nicht mehr entziehen konnte. Sie spricht über falsche Versprechen, Abhängigkeit. Stille, gutmütige, sanfte Menschen, die nach der japanischen Tradition geformt, sich eher selbst verletzt hätten, als jemandem ein Leid anzutun. Menschen, die durch Versprechungen eines besseren Lebens nach Amerika gelockt und gnadenlos ausgebeutet wurden. Die sich allen Unkenrufen zum Trotz mit viel Fleiß eine Zukunft aufgebaut haben. Als der Krieg kam, um Amerika und Japan zu spalten, zählte das alles nicht mehr. Da waren sie alle Kolaborateure, Feinde, denen nicht mehr zu trauen war. Die Schreibtechnik ist gekonnt und treffsicher. Jedes Wort sitzt, ist wohlüberlegt, trifft ins Herz und macht nachdenklich. Julie Otsuka kann schreiben, so ruhig und konzentriert, wie kaum jemand. Eine Riesenleseempfehlung.