Thriller lese/höre ich selten. Oft kann ich sie einfach nicht ernstnehmen. Die Meisten thrillen mich einfach nicht, kommen mir so belanglos vor, also lasse ich sie i.d.R. sein. Eschbachs „NSA“ ist eine Ausnahme. Sehr beeindruckend. Klug. Eindringlich warnend, da er die möglichen Entwicklungen der Zukunft deutlich vor Augen der Leser führt. Vieles von dem, was er schildert, ist ein fester Bestandteil unserer Realität längst geworden.
Klappentext beschreibt die Eckpunkte die Geschichte recht gut: „Was wäre, wenn es im Dritten Reich schon Computer gegeben hätte, das Internet, E-Mails, Mobiltelefone und soziale Medien - und deren totale Überwachung?
Weimar 1942: Die Programmiererin Helene arbeitet im Nationalen Sicherheits-Amt und entwickelt dort Programme, mit deren Hilfe alle Bürger des Reichs überwacht werden. Erst als die Liebe ihres Lebens Fahnenflucht begeht und untertauchen muss, regen sich Zweifel in ihr. Mit ihren Versuchen, ihm zu helfen, gerät sie nicht nur in Konflikt mit dem Regime, sondern wird auch in die Machtspiele ihres Vorgesetzten Lettke verwickelt, der die perfekte Überwachungstechnik des Staates für ganz eigene Zwecke benutzt und dabei zunehmend jede Grenze überschreitet...“
Bildhaft und zum Greifen nah beschreibt Eschbach das Leben und Arbeiten für ein Regime. Vieles hört sich sehr aktuell an, obwohl die Handlung in 1942 spielt: Wie einfach es ist, das Leben der Bürger zu überwachen, wenn sie stets ihre Mobiltelefone mit sich tragen, nicht ahnend oder auch nicht wissen wollend, dass sie sich dadurch zum gläsernen Bürger machen; wenn sie ihre Gedanken regelmäßig im deutschen Forum online stellen und nur bargeldlos zahlen können. Unter diesen Bedingungen kann jeder Schritt und jeder Gedanke nachvollzogen und zum Wohle des Regimes umgelenkt werden.
Bezeichnend ist: Solange man mit dem Schwarm schwimmt, dem Regime also brav zuarbeitet und sonst nicht auffällt, gestaltet sich das Leben noch erträglich. Schwierig wird es, wenn man anderes im Sinn hat und Dinge tut, die man selbst für richtig hält, als das, was das Regime als vorbildliches Verhalten von seinen Bürgern erwartet. Ab da gibt es keine Gnade. Es ist eher so, dass man sich, seine eigene Persönlichkeit verliert, aber das Regime wird auch dann sein Nutzen ziehen können. Bloß der Mensch selbst hat nichts davon.
Eschbach schildert somit ein sehr aktuelles, ja akutes Problem unserer Zeit: Die klar erkennbare Tendenz zum Verschwinden des Individuums als Persönlichkeit mit ihren vielfältigen geistigen Bedürfnissen, denn alle haben so zu sein und die Kinder so zu erziehen, wie die Machtelite es für annehmbar hält, sonst wird die Lebensgrundlage entzogen. Vielen ist dies gar nicht bewusst, wie so manchen Figuren in diesem Roman, dass es alles andere als human, eher grausam ggü. dem Einzelnen ist. Den Mächtigen ist es aber egal. Sie wissen, wie sie ihr Wohl aufrechterhalten und vermehren. Auch wenn es über Leichen und andere Opfer auf Seite der einfacheren Menschen geht. Alls dies und noch viel mehr vermittelt Eschbach in diesem Thriller und das thrillt wirklich.
Die Hauptfiguren sind junge Menschen, die ihre Leben erst anfangen und nach Orientierung, in vielerlei Hinsicht, suchen, ihre ersten Erfahrungen mit der Liebe machen und eigentlich ihr ganzes Leben noch vor sich haben. Helena ist die junge Programmstrickerin bei NSA aus dem guten Hause. Eugen Lettke ist ihr Vorgesetzter im Amt, der Sohn eines dekorierten Kriegsgefallenen. Wie sich diese Lebensgeschichten entwickeln und wie der Roman zu Ende geht, spricht Bände über das Leben unter dem Regime, wirkt beklemmend und lädt sehr zum Nachdenken an, z.B. ob man das Leben, das man heute täglich erlebt, doch nicht etwas mehr in Richtung Selbstbestimmung im Großen und Kleinen verändern sollte.
Und für diejenigen, die all diese Dinge leichtfertig vllt als Belletristik abtun möchten, hier ist die Liste der Sachbücher, um nur ein paar zu nennen, die diese Probleme auf sachlicher Ebene, auch der breiten Masse der Leser zugänglich und sehr verständlich, besprechen:
„Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ von Shoshana Zuboff,
„Schönes Neues Geld“ und „Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen“ von Norbert Häring,
„Warum schweigen die Lämmer?“ von Rainer Mausfeld,
„Fassadendemokratie und Tiefer Staat“ von Ulrich Mies und Jens Wernicke (Hg.),
„Lügen die Medien?“ von Jens Wernicke,
„Kampf oder Untergang“ von Noam Chomsky.
Man kann noch viel über „NSA“ schreiben, viel besser man liest/hört den Roman selbst.
Laura Maire hat sehr gut gelesen. Ihre wohl ausgebildete Stimme passt zu der Geschichte. Die Figuren und ihre Gemütszustände, manchmal verwegen, manchmal bedrohlich, verträumt, etc. konnte ich sofort heraushören und mitgehen. 22 Stunden 41 Minuten der ungekürzten Ausgabe konnte ich ihr prima lauschen.
Fazit: Sehr lesens- bzw. hörenswerter Roman, der auf ein akutes Problem unserer Zeit aufmerksam macht. Mir war insg. etwas zu viel erklärt, wobei es bleibt zugegebenermaßen noch genug Raum, das Wichtigste selbst zu eruieren. Und etwas zu viele Schilderungen aus der Schublade sex sells. Weniger wäre hier mehr gewesen. „NSA“ ist vllt nicht die optimale Lektüre, wenn man seine Depri-Phase gerade durchlebt. Aber sonst halte ich das neue Werk von Eschbach für sehr gelungen und sehr aktuell. Verbleibe auf weitere Romane von Andreas Eschbach gespannt und vergebe gute vier Sterne.