Eva Thorvald ist die gefragteste Köchin Amerikas, für einen Platz bei einem ihrer Pop-up-Dinner blättern die Menschen eine Menge Geld hin, und müssen vorher trotzdem jahrelang auf einer Warteliste Platz für Platz nach vorne rücken, um sich endlich an Evas Tafel niederlassen zu dürfen.
Dabei fing ihr Leben gar nicht schillernd an: Ihre Mutter Cynthia verließ sie im zarten Alter von drei Monaten, um sich ihren Traum zu erfüllen und Sommelière zu werden. Ihren perfekten Geschmackssinn hat Eva von ihrem Vater Lars geerbt, der schon in jungen Jahren für seinen norwegischen Lutefisk berühmt war.
Als ich das wunderschöne Cover dieses Buches gesehen habe, war ich sofort verliebt. Die Gestaltung ist sehr retro, und sieht nach den 50er-Jahren aus. Man kann dem Diogenes Verlag nur zu der Entscheidung gratulieren, dass dieses Cover von der amerikanischen Ausgabe übernommen wurde, auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht wenig trendy wirkt. Gerade dadurch wird es sich in den Buchhandlungen von anderen Titeln abgrenzen und Interesse wecken.
Nachdem ich "Die Geheimnisse der Küche des mittleren Westens" zu Ende gelesen habe, habe ich erfreut festgestellt, dass das Cover nicht nur hübsch ist, sondern auch die wichtigsten Schlüsselelemente der Handlung widerspiegelt. Darum passt es so perfekt, und ich könnte mir kein hübscheres Kleidchen für dieses wunderbare Buch vorstellen.
Obwohl Eva Thorvald die Protagonistin ist, wird das Buch fast komplett aus der Sicht anderer Figuren erzählt, teils von Familienmitgliedern, manchmal aber auch von Figuren, die Eva nur kurz begegnet sind. Das erste Kapitel "Lutefisk" wird beispielsweise aus der Sicht von Evas Vater Lars geschildert: Man erfährt, wie Lars seine Kindheit verlebt hat, wie er Koch geworden ist, seine Frau Cynthia kennengelernt hat und Vater geworden ist. Das zweite Kapitel "Chocolate Habanero" ist das einzige Kapitel des Buches, in dem wir die Dinge aus Evas Perspektive betrachten können. Die folgenden Episoden sind aus ihrem weiteren oder näheren Umfeld, es gibt sogar ein Kapitel, in dem Eva nur in etwa drei oder vier Sätzen erwähnt wird. Zwischen den einzelnen Abschnitten liegen manchmal mehrere Jahre, es wird also nicht Evas ganzes Leben vor dem Leser ausgebreitet, sondern nur die wichtigsten Wendepunkte.
Diese Erzählweise wirkt sehr ungewöhnlich, und das ist sie auch. Die einzelnen Kapitel sind jedes für sich wie eine Kurzgeschichte, denn der Leser muss sich zu Beginn immer an einen anderen Erzähler gewöhnen, und oftmals auch einige Seiten Geduld haben, bis die Verbindung zu Eva hergestellt wird. Die verschiedenen Figuren stellen sie - je nach Blickwinkel - sehr unterschiedlich dar, und gerade das macht den Charme des Buches aus, denn Eva bleibt wenig greifbar. Evas Entwicklung und Werdegang sind trotz (oder vielleicht auch wegen?) dieser Erzählweise sehr gut nachvollziehbar.
Genau wie man es anhand des Buchtitels erwartet, sind die einzelnen Kapitel immer einem Gericht (Lutefisk) oder einer Zutat (Chocolat Habenero) gewidmet, und natürlich ist Kochen und Essen der rote Faden in diesem Buch. Manchmal gibt es sogar die Rezepte zu den Gerichten, und nachdem der skurrile Lutefisk den Anfang macht, geht es über recht einfache Gerichte wie Chili oder Erdnussbutter-Riegel zu sehr ausgefallenen Menüs, die man gerne probieren möchte.
Wenn man das Buch auf das Wesentliche reduzieren möchte, müsste man sagen: Es erzählt Familiengeschichten. Viele kleine Episoden, mal fröhlich und lustig, mal traurig oder auch tragisch. Aber immer schillernd und unterhaltsam.
Nach dem Lesen bin ich immer noch verliebt, J. Ryan Stradal ist definitiv ein Autor, der auf meinem Radar nun einen Stammplatz hat.