Rührend, ehrlich, anders
„Die Zeit heilt alle Wunden“
„Solange sie tanzen“ ist ein ungewöhnlicher Liebesroman von Barbara Leciejewski. Er erschien im Mai 2019 im Tinte und Feder Verlag und ist in sich abgeschlossen.
Ada Friedberg ...
„Die Zeit heilt alle Wunden“
„Solange sie tanzen“ ist ein ungewöhnlicher Liebesroman von Barbara Leciejewski. Er erschien im Mai 2019 im Tinte und Feder Verlag und ist in sich abgeschlossen.
Ada Friedberg ist eine alte Dame, die im Leben schon viel erlebt hat. In den 50er Jahren hat sie ihre große und einzige Liebe Hans kennengelernt, nun, über 50 Jahre später, ist Hand tot und was bleibt der energischen und lebensfrohen Ada noch vom Leben, während sie langsam vergesslicher wird? Ihre Erinnerungen, ihre Kinder und Enkelkinder, ihr Hund Hemingway, der ihrem Leben eine feste Struktur gibt und natürlich die Nachbarn und Freunde, ganz besonders die jungen Leute, die in das alte Haus eingezogen sind, welches Ada und Hans schon immer bewundert haben. Während die jungen Leute jeden Abend tanzen, beobachtet Ada sie mit dem Fernglas und solange die jungen Leute tanzen dreht sich Adas Welt weiter…
Barbara Leciejewski schreibt mit „Solange sie tanzen“ einen ungewöhnlichen Liebesroman. Ada Friedberg ist mittlerweile über 80 und hat ihr Leben stets so gelebt, wie sie es wollte. Ihr Motto dabei war: „[…] wenn man immer von Vernunft gebremst wird, verpasst man etwas im Leben.“ Mit Anfang 20 lernte sie ihren Mann Hans kennen, entgegen dem Willen der Eltern, heirateten die beiden und führten ein gemeinsames Leben, dass meistens dem Bild entsprach, das sich beide für sich gewünscht hatten. Natürlich gibt es in einer Ehe gute und schlechte Zeiten und auch bei Ada und Hans kehrte irgendwann ein eher ungeliebter Alltag ein, in welchem das Miteinander manchmal auf der Strecke blieb. Trotzdem blieben die Liebe und die Zuneigung zwischen den beiden stets bestehen und nun, da Hans nicht mehr lebt, blickt Ada sehnsuchtsvoll auf die gemeinsamen Momente zurück…
Diese Momente sind jene, an die sie sich genau erinnern kann. Glückliche Momente der Vergangenheit, der Jugend, der Zeit als Eltern, der Zeit als Großeltern. Nur die gerade geschehenen Momente scheinen mehr und mehr zu verblassen, die Tage verschwimmen und nur ihr Boxer Hemingway gibt dem Alltag von Ada Struktur.
Im Verlauf der Geschichte nimmt Adas Verwirrtheit zu und aus der offensichtlich gut im Alltag zurechtkommenden Dame wird eine eher zerstreute Frau, die Hilfe benötigt. Die Autorin schafft es mit einem bewegenden Schreibstil, dem Leser den gesundheitlichen Verfall der Dame nahe zu bringen und ihre eigene Angst vor dem Vergessen zu vermitteln. Der Roman berührt sehr und ist wirklich ergreifend.
Ada ist eine liebenswerte und sympathische alte Dame, gleichzeitig war sie immer eine starke und selbstbewusste Frau. Sie hat eine große Lebensweisheit und ist auch im Alter nicht verbittert, sondern sehr offengeblieben. Der Leser begleitet Ada ein Stück ihres Lebenswegs und erfährt durch Rückblicke und Erzählungen aus Adas Perspektive, wie ihr Leben bis zu diesem Punkt verlief. Hierbei wird deutlich, mit welcher Intensität Ada das Leben liebt und wie sehr sie ihren Hans geliebt hat. „In guten wie in schlechten Zeiten“ traf auf diese Beziehung eindeutig zu und es war wunderschön zu lesen, wie eine so lange Beziehung immer so harmonisch und liebevoll bleiben kann.
Auch die Nebenfiguren sind liebevoll beschrieben und authentisch dargestellt, sodass sie einem direkt sympathisch oder eben unsympathisch sind. Eine Hausgemeinschaft wie die in Adas Wohngebäude ist eigentlich sehr wünschenswert. Eine solche Hilfe und Unterstützung wünscht sich eigentlich jeder in unser doch anonymen Zeit…
Die Idee des Buches ist durchaus originell. Der Leser liest nicht nur davon, wie Hans und Ada sich kennenlernen und verlieben, sondern beginnt am Ende der Beziehung und erhält so eine völlig andere Sicht als in anderen Liebesromanen. Er reflektiert das Leben von Ada und zeigt auf, dass man sein Leben so gestalten sollte, wie man es sich selber wünscht, nicht so, wie andere es sich wünschen. Auch wird deutlich, dass sich nicht immer alles planen lässt und gewisse Dinge einfach unvorhergesehen passieren und doch schön sein können, wenn man sie zulässt und annimmt.
Das Thema Demenz wird großartig in den Roman integriert und verpackt, jeder der vielleicht jemanden mit dieser Erkrankung kennt, fragt sich, was währenddessen im Kopf der anderen Person vorgeht und überlegt, wie viel man selber wohl von den Erinnerungslücken mitbekommt. Wenn es zutrifft, dass die Erkrankung sich so darstellt wie bei Ada, dann habe ich großes Mitleid mit diesen Menschen. Sie merken, dass sie die Dinge vergessen und verspüren eine große Unsicherheit, da sie durchaus begreifen, was mit ihnen geschieht. Einfache Dinge werden plötzlich Herausforderungen und das normale Leben wird nahezu unmöglich.
Der Titel des Buches ist großartig gewählt und wird ebenso gut aufgeriffen. Das Tanzen hat in Adas Leben immer eine große Rolle gespielt, sie und Hans haben viel miteinander getanzt. Das junge Paar in dem alten Haus erinnert Ada an diese Zeit und gibt ihr eine innere Ruhe, die ihr manchmal fehlt, wenn die Gedanken kreisen. „Solange sie tanzen“ ist demnach alles in Ordnung.
Mein Fazit: Ein Frauenroman mit einer tollen Idee und gewaltigen Umsetzung. Ein etwas anderer Liebesroman, der nicht unbedingt die Leserinnen in meinem Alter anspricht, sondern vielleicht eher an etwas ältere Leserinnen gerichtet ist. Er zeigt viel Herz und Gefühl und auch mich hat er dazu gebracht über das nachzudenken, was man eigentlich im Leben erreichen möchte und auf welche Zeit ich wohl in 50 Jahren gerne zurückblicke… Mehr als einmal musste ich schlucken und über das gelesene nachdenken.
Ich vergebe 5 von 5 Sternen für einen zu Herzen gehenden Roman!