Es ist das Jahr 1942 und in Köln fallen Bomben. Mittendrin lebt Lene (Helene) Meister, ein junges Mädchen, das eine Friseurlehre begonnen hat. Sie hat eine beste Freundin, Rosemarie, Rosi genannt. Die beiden Mädchen schreiben sich Briefe, als Rosi aufgrund Lenes Leichtsinn in Bedrängnis gerät ist und aufs Land geschickt wird. Während immer wieder zig Bomben Köln zerstören und die Menschen in ständiger Angst leben, regt sich in Lene Widerstand. Sie mag nicht zum Bund deutscher Mädchen gehören und sich anpassen. Eines Tages trifft Lene auf Erich, der mit ein paar gleichgesinnten Jungs durch die Lande reist und „verbotene“ Lieder singt. Sie haben keine Lust, sich im Gleichmarsch mit der Hitlerjugend zu bewegen. Bald schon schließt sich Lene den s.g. Edelweißpiraten an und begibt sich damit in Gefahr. Wie sehr die Ideologie des NS-Regime sogar Familien spaltet, wird auch in Lenes Familie deutlich. Ihr älterer Bruder liegt im Schützengraben an der Ostfront vor Stalingrad und versucht, die Familie nicht zu beunruhigen. Dagegen hält Kalli, Lenes jüngerer Bruder an der NS-Ideologie fest, glaubt an den Drill und will unbedingt selbst in den Krieg ziehen. Ob er dafür sogar seine Familie verrät? Lene ist eine intelligente und starke junge Frau. Das wird mit jeder ihrer Zeilen deutlicher. Sie erfasst die Grausamkeit der Nazi-Herrschaft und die Sinnlosigkeit und den Irrsinn des Krieges. Zudem sorgt sie sich um ihre Geschwister und ihre Mutter, die leider selbst nicht allzu fähig ist, ihre Kinder zu schützen und die Familie zusammenzuhalten.
Die Ereignisse im Köln des Jahres 1942 aus sich der Jugendlichen zu „erleben“ hat eine ganz andere und noch viel schlimmere Dimension als die der Erwachsenen. Sie haben Träume, Wünsche und Hoffnungen auf ein Leben in Freiheit und müssen erkennen, dass sie jede Minute ihres Lebens und jedes noch so kleine Glück genießen müssen, denn die Zukunft sieht düster aus. So sollte kein Kind, kein Mensch aufwachsen bzw. leben müssen.
Selten passt ein Cover so hervorragend zum Inhalt eines Buches wie bei „Wo die Freiheit wächst“. Die Freiheit wächst zunächst im Kopf der Protagonisten und von da aus gelangt sie in die Briefe von Lene, Erich und Rosi. Aus Lenes alter Schreibmaschine wachsen die Edelweiße in den Himmel und streben gegen die Flieger der Tommys. Ein bisschen erinnert mich die Farb- und Covergestaltung an ein Schulbuch. Und genau das sollte es werden: Pflichtlektüre für Schülerinnen und Schüler, für die jene Zeit noch viel abstrakter ist als für uns Kriegsenkel. Denn dazu zähle ich (Jahrgang 1967) mich. Lesen gegen das Vergessen ist wichtiger denn je, wenn ich sehe, welche Wege die Politik teilweise einschlägt, wie viele Menschen auf der Flucht sind und wie Antisemitismus erneut erwächst und heftige Formen annimmt. Ich frage mich, warum über die Edelweißpiraten nicht mehr geschrieben wird.
Mir hat der Roman in Briefform sehr gut gefallen. Auf diese Weise werden die unterschiedlichen Lebenssituationen der Jugendlichen geschildert und man bekommt einen ersten Eindruck, wie sich Deutschland aus ihrer Sicht verändert hat. Durch den Briefwechsel zwischen Lene, Rosi, Franz, Erich und Kalli taucht der Leser ganz tief in die Psyche der Jugendlichen ein und lernt ihre Wünsche, Hoffnungen und Gedanken genau kennen. Zudem wird ganz deutlich, wie der Krieg und die Naziherrschaft die Menschen, vor allem auch die Jugendlichen, einengt, unterdrückt, manipuliert und verängstigt. Freiheit wird zum seltenen Gut und findet fast nur noch in den Köpfen Raum. Umso erstaunlicher ist es, zu lesen, wie viele Jugendliche sich aufgelehnt haben. Ganz klar steht in diesem Buch Lene Meister im Mittelpunkt. Sie beginnt sich ihre eigenen Gedanken zu machen und lässt sich trotz Warnung von ihrer Freundin Rosi und ihrem großen Bruder nicht davon abbringen, ihre Meinung in ihren Briefen zu offenbaren. Wie gefährlich das in jener Zeit war, muss wohl nicht erwähnt werden. Der Schreibstil passt sich der Zeit und den jungen Menschen an und geht unter die Haut. Stets habe ich mit Lene und ihren „Brieffreunden“ mitgelitten und gehofft, dass sie verschont bleiben. Es ist mir sehr nahe gegangen, dem Briefwechsel zu folgen und zu wissen, dass es zwar fiktive Personen sind, aber gut so hätte sein können. Die Fakten zur Zeit der Nazi-Herrschaft am Ende des Buches sind sehr hilfreich und interessant, ließen mich aber auch unglaublich traurig werden, wenn ich mir das Ausmaß der Schachzüge Hitlers und seiner Gegenspieler oder „Verbündeter“ vor Augen führte.
Ein zutiefst bewegender Roman, der lange nachwirkt, der mit seiner Briefform einen tiefen Einblick in das Leben von Jugendlichen während des Krieges und der Naziherrschaft gibt!