100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland
Joan Weng ist mit ihrem Roman „Amalientöchter“ mal wieder ein „großer Wurf“ gelungen! Sie nimmt uns mit nach Weimar und nach Berlin um die Jahreswende 1918 / 1919 und schafft es perfekt, Realität und Fiktion ...
Joan Weng ist mit ihrem Roman „Amalientöchter“ mal wieder ein „großer Wurf“ gelungen! Sie nimmt uns mit nach Weimar und nach Berlin um die Jahreswende 1918 / 1919 und schafft es perfekt, Realität und Fiktion miteinander zu einem großartigen Roman zu verweben. Wir erleben diese (auch für Deutschland) aufregende Zeit hautnah mit und fühlen uns mitten in das Geschehen katapultiert...
Klara durfte zwar aufgrund ihres Alters (sie ist 19 Jahre) nicht an den ersten freien Wahlen teilnehmen, aber sie ist sicher, „der Tag würde kommen, an dem sie auch mitbestimmen könnte.“ (S. 22). Sie ist politisch höchst interessiert und beneidet ihren „Fast-Verlobten“ Fritz, ein junger, idealistischer Arzt, der in Berlin in einem Lazarett arbeitet und deshalb den dortigen Ereignissen sehr nah steht. Klaras größter Wunsch ist es, selbst nach Berlin zu kommen und Teil dieser aufregenden Zeit zu werden. Dies gelingt ihr dann auch im Januar 1919.... Aber so viel eigentlich zur Handlung...
Wir erleben Berlin durch Klaras Augen, z.B. wie Kiki sich mitten im Anhalter Bahnhof schminkt („...eine geschminkte Frau. Schminken war etwas für Schauspielerinnen und käufliche Mädchen. Und dann noch ohne Scham vor allen Leuten.“ S. 68). Sie erlebt den „Tanz auf dem Vulkan“, aber andererseits auch die bittere Armut, die vielen Kriegsversehrten, deren Schmerzen Fritz kaum lindern kann. Klara lernt in Berlin auch Martha kennen, deren Pragmatismus mich persönlich sehr fasziniert hat: sie gibt das Beten „in Auftrag“: „Dem Sohn meines Milchmannes habe ich zwei Mark gegeben, dafür bearbeitet er stündlich den Rosenkranz, der kleine Türke aus dem Mokkasalon an der Ecke macht das, was die so machen, mit dem Teppich und gen Mekka, und der Schwager meiner Cousine, der ist Naturphilosoph – Du weißt schon, einer von diesen Barfußgängern, die ungekochte Wurzeln ohne Salz und Pfeffer futtern. Na, der jedenfalls, der betet... zu den germanischen Gottheiten.“ (S. 203) Sie ergänzt, so mache sie es auch mit Handwerkern, sie vergebe auch Aufträge mehrfach. „Hauptsache, irgendeiner kümmert sich darum, wer ist doch egal.“ (S.204). Alles eine Frage der Einstellung...
Wir nehmen gemeinsam mit Klara und Fritz an den Demonstrationen Anfang Januar 1919 auf dem Alexanderplatz teil und hören die Schüsse aus dem Zeitungsviertel, genau wie wir später bei der Eröffnungssitzung der Nationalversammlung in Weimar im Saal sitzen. So macht Geschichtserleben Spaß!
In einem Nachwort stellt Joan Weg die tatsächlichen Ereignisse ihrer Fiktion gegenüber und es stellt sich heraus, sie hat sorgsam recherchiert, bis hin zu der Frage, ob es damals schon einen Gepäckträger für Fahrräder gab.
Dieses Buch hat mir wunderbare Lesestunden beschert, ich habe vieles an deutscher Geschichte wieder aufgefrischt, aber auch vieles neu gelernt, bzw. habe jetzt einen anderen Blickwinkel darauf. Ich kann dieses Buch uneingeschränkt weiterempfehlen und möchte der Autorin zurufen: „Bitte weiter so!“