Muttertag ist ein Roman von André Mumot, der am 14.10.2016 im Eichborn Verlag erschienen ist. Ein kleines Dorf wird Schauplatz von grausamen Menschenversuchen einer satanistischen Sekte, die ein Mädchen ohne Gedächtnis anbeten und auf die Wiederkehr der Mutter hoffen. 1988 wird eine Sonderkommission gebildet, die mit der Zerschlagung der Sekte beauftragt wird und offensichtlich Erfolg hat, als der Kopf der Sekte ermordet aufgefunden wird. Jahrelang passiert nichts und man glaubt, die Sekte sei zerschlagen. Erst 2014 scheint die Sache wieder ins Rollen zu kommen. Der pensionierte Richard Korff wird in seiner Wohnung überfallen und flüchtet daraufhin mit seinem Neffen Philipp Steinert und das nicht nur vor der Sekte, sondern auch vorm Verfassungsschutz. Nach und nach kommen die beiden mithilfe der betagten Nachbarin Elisabeth Kujawski den Machenschaften der Sekte auf die Spur. Aber was hat der verschwundene Stiefbruder Morten Rheinfelder mit der Angelegenheit zu tun und wie konnte es der Sekte gelingen sich jahrelang unauffällig zu verhalten und warum tritt sie gerade jetzt wieder in Erscheinung? All das wird im Laufe der Geschichte geklärt und obwohl einige Geheimnisse gelüftet werden, bleiben am Ende noch viele Fragen offen.
Zentrales Thema der Geschichte ist verstrickten Zusammenhänge zwischen Verfassungsschutz und Sekte. Zwischen allem irgendwie gefangen befindet sich Philipp Steinert, dem sich erst nach und nach die Bandbreite der Zusammenhänge erschließen und durch den die Geschichte einen gewissen Zusammenhang gewinnt.
Innerhalb der Handlung finden immer wieder Perspektiv- und Zeitwechsel statt, die den Handlungsstrang teilweise unterbrechen oder zunächst an einer ganz anderen Stelle anzusetzen scheinen. Hat man sich jedoch an den Fluss der Worte und die Wechsel gewöhnt, so kann man relativ schnell verfolgen, wie und warum die einzelnen Kapitel genau so angeordnet sind, wie sie gerade angeordnet sind. Zu Anfang hat mich dieser ständige Wechsel irritiert, aber mit der Zeit konnte ich diese gut nach verfolgen und in den Gesamtzusammenhang einordnen, um am Ende ein relativ geschlossenes Gesamtbild vor Augen zu haben. Oft führt auch die Sprache zu einiger Verwirrung, da gerade in den Passagen über den früheren Anführer der Sekte Bergmann eine sehr gehobene und professorenhafte Sprache verwendet wird. Die Sprache ist einheitlich gestaltet, orientiert sich aber immer an den Personen, aus deren Sicht das Geschehen gerade erzählt wird, sodass der Leser dazu angeregt wird, schnell zwischen den unterschiedlichen "Sprachmelodien und -eigenheiten" hin und her zu schalten.
Inhaltlich hat das Buch dem Leser einiges zu bieten. Von den Problemen und der Orientierungslosigkeit der heutigen Jugend, bis hin zu satanistischen Praktiken und den wirren Gedanken - die dem Leser manchmal plötzlich gar nicht mehr so wirr erscheinen - einer Sekte finden sich noch einige andere Themen in dem Buch, die für den Fortgang der Geschichte zunächst unerheblich erscheinen, sich aber im Laufe der Handlung ihre Berechtigung verdienen. Hat man als Leser manchmal zunächst den Eindruck, dass dieser Handlungsstrang eigentlich auch hätte weggelassen werden können, so wird einem im Laufe der Geschichte klar, wieso gerade dieser Handlungsstrang - neben den vielen anderen - eine Berechtigung hat. Das Schreckliche wird in diesem Buch beim Namen genannt, teilweise auch in aller Ausführlichkeit beschrieben ohne dabei jedoch so zu wirken, als ginge es Vordergründig um die Befriedigung der Sensationslust der Menschen, sondern so als seien diese Informationen nur zur Untermauerung hier und da eingestreut worden, um den Leser in Spannung zu versetzen, um in den nächsten Kapiteln jedwede Spannung durch bloßes Weglassen der - teilweise brutalen - Geschehnisse aufrecht zu erhalten. Ein gut abgestimmtes Gesamtkonzept, wie ich finde.
Mein Gesamteindruck ist durchweg positiv. Zu Anfang fiel es mir schwer, mich in die Handlung hineinzuversetzen, was wie bereits erwähnt vor allem an den zu Anfang sehr unübersichtlichen Perspektiv- und Zeitwechseln gelegen hat, an die ich mich aber im Laufe der Handlung gewöhnt habe und die meiner Meinung nach auch ihre Berechtigung haben. Der Leser wird bei Laune gehalten, bekommt immer wieder Bruchstückhaft Erinnerungen, Verwicklungen und Parallelszenen serviert, die ihn neugierig machen, aber seine Neugierde nicht etwa befriedigen, sondern noch anstacheln. Erst gegen Ende des Buches scheint es, als seien nun alle offenen Fragen beantwortet, was jedoch nicht der Fall ist. Vieles bleibt ungeklärt, so auch ob es wirklich gelungen ist, die Wiederkehr der Mutter zu verhindern und was mit dem gedächtnislosen Mädchen passiert ist. Dieses Buch ist nichts für Leser, die sich viel Blut und Tod erhoffen, sondern richtet sich an diejenigen, die in die verwirrende und angsteinflößende Welt der Sekten eintauchen wollen. Man streift deren Lebenswelten, taucht manchmal auch tief ein, um mit voller Wucht wieder heraus gezogen zu werden. Ich habe mich selbst manchmal dabei ertappt von der Euphorie der Fanatiker - und das sind sie zweifellos - angesteckt worden zu sein. Wer auf Verwicklungen, Verwirrungen und den gewissen Nervenkitzel steht, sollte sich dieses Buch auf jeden Fall anschaffen und wird es mit Sicherheit genauso verschlingen, wie ich das getan habe.