Udo Weinbörner hat sich der Herausforderung gestellt, einen historischen Roman über eine historische Persönlichkeit zu schreiben. Will man sich einer solchen Persönlichkeit nähern und ihre Lebensgeschichte in eine erzählende Form bringen, muss man zunächst Wissen anhäufen. Quellenstudium heißt die Devise. Ist die Person, die erzählerisch abgebildet werden soll auch noch Schriftsteller oder Künstler, muss man sich das Werk ganz genau anschauen, am besten auch noch das der Zeitgenossen.
In dieser Disziplin zu reüssieren ist sicher nicht eine der leichtesten Übungen, zumal die Persönlichkeit, über die im vorliegenden Fall geschrieben wurde keine geringere ist als Friedrich Schiller, der neben Goethe größte Dichter und Dramatiker der Deutschen.
Der Roman "Die Stunde der Räuber. Der Schiller-Roman. Erster Teil" ist als Ganzes bereits im Schiller-Gedenkjahr 2005 erschienen und wurde nun im Rahmen einer Taschenbuchausgabe in zwei Bänden neu aufgelegt, Teil 2 erscheint im Jahr 2020. Der Autor hat neue Szenen hinzugefügt und wohl einiges umgearbeitet.
Wir lernen “Fritz” als sehr jungen Mann kennen, der gerade dabei ist das Elternhaus unfreiwillig zu verlassen. Herzog Carl Eugen von Württemberg will ihn als Eleven für seine “Militärische Pflanzschule”. Er soll also eine militärische Beamtenlaufbahn auf Gnaden des Herzogs einschlagen, wofür dieser im Gegenzug absolute Dankbarkeit und Unterwerfung einfordert. Die Fürstenwillkür oder überhaupt der Absolutismus der Mächtigen, den Schiller in seinen Werken anprangern wird, kommt hier zum Tragen. “Gedankenfreiheit” wird zum Schlüsselwort in Schillers Innenwelt, denn in der Außenwelt wird diese systematisch unterdrückt.
Zum Glück gibt es die Mitschüler und einen wohlgesonnenen Lehrer, die Literatur in der Schule zirkulieren lassen. So war es dem jungen Schiller möglich die älteren Zeitgenossen, Lessing, Goethe und Klopstock und auch den großen Shakespeare zu lesen und zu verinnerlichen.
Langsam aber sicher wird Schiller zum Schriftsteller, der neben der Ausbildung schreibt, auch um nicht an den widrigen Umständen zu zerbrechen. Die Geschichte des Schriftstellerkollegen Schubart zeigt was passiert, wenn man sich mit Worten gegen die Mächtigen auflehnt. Sein Schicksal wird für Schiller zum Antrieb und Damoklesschwert zugleich.
Das Freundschaftsideal des “Sturm und Drang”, das Schiller rigoros praktiziert, wird beschrieben. Dann seine relativ kurze Zeit als Militärarzt, seine ersten Schritte auf Freiersfüßen in Richtung des anderen Geschlechts, seine desolate wirtschaftliche Situation. Letztlich steuert die Handlung auf den Höhepunkt des ersten Teils zu: Schillers heimlicher Ausflug nach Mannheim, die Aufführung der “Räuber” und damit sein erster Erfolg als Dramatiker, die Ernüchterung ob der finanziellen Lage und schließlich der Weggang aus Württemberg.
Viele Begebenheiten sind wirklich gut erzählt und man hat durchaus das Gefühl, man hat Teil an etwas Großem, dass man einen Schlüsselmoment in Schillers Persönlichkeitsentwicklung hautnah mitbekommt. Sehr lebendig ist die Szene, in der Schiller den Herzog imitiert und zuhört, als über die Weltpolitik (hier: der amerikanische Unabhängigkeitskrieg) diskutiert wird.
Seinem Charakter kommt man vor allem im Zusammenspiel mit seinen Freunden durchaus nahe. Wenn er für seine Werke um Anerkennung bei seinen Mitschülern buhlt, so kommt sein Geltungsdrang, seine mangelnde Kritikfähigkeit und auch seine Verletzlichkeit heraus. Auch wenn Schiller sich von seinem Freund Scharffenstein abwendet, gibt es einen Moment tatsächlicher zwischenmenschlicher Interaktion.
Schön fand ich auch das erste Aufeinandertreffen mit Goethe bzw. die Auseinandersetzung also Abarbeitung Schillers am 10 Jahre älteren Goethe, der schon ein großer Name war. Auf seiner Abschlussfeier treffen sie aufeinander. "Goethe schien kaum hinzuhören, wirkte unbeeindruckt vom zeremoniellen Stumpfsinn seiner Umgebung (...) Ein großer Geist ist wahrhaft frei, dachte Schiller, fast ein wenig neidisch." (S. 173) Dass es zwischen den beiden eine “Freundschaft” gegeben haben soll, diesen Mythos will Weinbörner demontieren, im zweiten Teil dann, denn erst dann spielt der “Antipode” in Weimar eine Rolle jenseits der Rezeption seiner Werke.
Ein Paukenschlag ist schließlich der Showdown am Ende des zweiten Buchs, die Auseinandersetzung mit dem Herzog, kurz bevor Schiller Württemberg den Rücken kehrt.
Der Autor baut hier und da “witzige” Szenen oder Elemente ein, also eine Art von “comic relief”, das dem Leser zur Aufheiterung dienen soll. Zum Beispiel als Schiller, dem Pathos ergeben, weil er sich von seinen Freunden unverstanden fühlt, Shakespeare zitiert und die Freunde finden: “Das ist genialisch! [...]” “Das ist aus Hamlet , antwortete Schiller [...]” (S.152) Oder wenn Christophine ihren Bruder schimpft, weil er sein Zimmer nicht aufgeräumt hat, obwohl doch die ganze Welt nunmehr bei ihm vorbeischaut. Solche Szenen oder die sehr humorvoll gezeichnete Figur “Kronenbitter” lockern die Handlung, die doch einen ernsten Grundton hat, etwas auf.
Immer dann, wenn Schiller zweifelt oder verzweifelt, zeigt er sich dem Leser von seiner verletzlich-menschlichen Seite. Wie zum Beispiel, wenn er müde und psychisch am Ende um das Leben eines seiner Patienten bangt. "Er schrie, sprang auf, griff nach allem, was auf dem Tisch lag. [...] Er war allein mit sich und seinen Ängsten." (S. 245). Selbstzweifel und Verlorensein in der Welt - das alles ist nicht das, was man vom großen Schiller gemeinhin so kennt.
Auch am absoluten Höhepunkt des Buches, der Aufführung von Schillers Räubern, erlebt man nicht den triumphierenden Genius, der restlos davon überzeugt ist dass sein Stück - auch nach der Umarbeitung - ankommt, nein, er zweifelt bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Ekstase des Publikums alle Bedenken im Jubelgeheul erstickt.
Ich ziehe meinen Hut vor dem Autor, es ist ihm gelungen trotz der Vielzahl an Sekundärliteratur und zeitgenössischen Quellen das Wichtigste herauszukristallisieren und dem Leser einen neuen Blickwinkel auf Schiller zu eröffnen. Sehr gut finde ich auch, dass wichtige Namen, Schlagworte und Werke fett gedruckt sind, so fallen sie einem beim Lesen gleich ins Auge. Zitate sind erfreulicherweise kursiv gesetzt.
Die Kritik, die ich trotz allem habe, bezieht sich auf die mangelnde "Erklärung" von Szenarien (also dass viele Namen und Orte sowie Institutionen nicht erklärt werden), das hohe Erzähltempo und vor allem die raschen Szenenwechsel, die ohne größere Absätze erfolgen.
Es ist für mich eher ein “biographischer Roman” als alles andere, das tatsächlich erlebte Leben gibt die Handlung vor und es erfolgen wenige Seitenblicke, fiktive Spielereien (wie z.B. die Jesuitenszene - wobei genau dieses Thema für mich eher abschreckend ist) oder Inneneinsichten in Schillers Psyche.
Man sollte also schon ein Grundinteresse für den Menschen Schiller mitbringen, wenn man das Buch lesen möchte. Aber: wie könnte man nicht? Schiller war einfach ein sehr vielschichtiger, interessanter Charakter und Weinbörner vermag es diese Tatsache zu unterstreichen.