Spannender Ausflug in die Vergangenheit
Vom Irrsinn befallen.
Besessen.
In Teufels Händen.
Im 18. Jahrhundert gibt es viele Begriffe würde Menschen mit psychischen Abweichungen. Dass es sich dabei um Erkrankungen und nicht selbst verschuldete ...
Vom Irrsinn befallen.
Besessen.
In Teufels Händen.
Im 18. Jahrhundert gibt es viele Begriffe würde Menschen mit psychischen Abweichungen. Dass es sich dabei um Erkrankungen und nicht selbst verschuldete Rache eines bösen Wesens ist, begriff man erst sehr viel später. Dass es vielleicht die Möglichkeit geben könnte, diese Verfassung zu heilen, darüber denken Mediziner und Gelehrte schon nach. In Wien wird deshalb der Narrenturm errichtet. Schon der Begriff ist negativ behaftet. Der Umgang mit den Insassen noch viel mehr.
Historische Grausamkeiten werden mir immer erst dann bewusst, wenn ich damit konfrontiert werde. Bisher habe ich mir wenig Gedanken darüber gemacht, mit welchen Vorurteilen und Leiden sich Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Behinderungen in der Vergangenheit auseinandersetzen mussten. Mir ist in Etwa klar wie es im Nationalsozialismus ablief, dass es aber lange davor noch viel weniger Verständnis und Ängst gab, die Gewalt und Hass hervorriefen, davor habe ich bis dato scheinbar die Augen verschlossen.
René Anour greift diese Thematik in seinem Roman "Im Schatten des Turms" auf und verwebt sie in eine extrem spannende Geschichte, die einem Krimi in nichts nachsteht. Lügen, Intrigen, Mordaufträge und Gefahren, eingebettet in historische Fakten und Ereignisse.
Im Fokus stehen zwei sympathische Hauptfiguren. Die junge Adelige Helene, die anders, als die jungen Frauen ihrer Zeit, mehr Interesse am Erlernen von Lesen, Schreiben, Geschichte und Mathematik, als an höfischem Gehabe und eleganten Tänzen, und Medizinstudent Alfred. Ein junger Mann, der zielstrebig auf seinen Abschluss als Mediziner hinarbeitet, obwohl er aufgrund mangelnder finanzieller Rücklagen mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen hat. Neben der Schwierigkeit Studiengebühren, Miete und Lebensmittel zu zahlen, ist es auch das fehlende gesellschaftliche Ansehen, dass ihm Hindernisse beim Ausüben der Tätigkeit als Mediziner Steine in den Weg legt. Sein Wunsch sich für die Menschen im Narrenturm einzusetzen, lässt ihn feststellen, dass Leben und Überleben willkürlich ist und einzig vom gesellschaftlichen Stand beeinflusst wird.
Als er sich ausgerechnet in Helene verliebt, schafft er sich eine Gegnerin, die mächtiger und einflussreicher, aber auch intriganter und hinterhältiger ist, als er geahnt hat. Eine Jagd auf Leben und Tod beginnt.
Innerhalb von zwei Tagen habe ich "Im Schatten des Turms" weggesuchtet. Gefesselt vom Spiel aus Machtgier und Kontrolle, auf wechselnde Wege geführt von überraschenden Handlungen. Neben einem hoch hinausragenden Spannungsbogen, sind es auch die tiefgründigen Themen, die mich begeistern konnten. Welchen Blick werfen wir auf Menschen, die anders sind, als wir selbst? Wir sehr werden Menschen in ihrem geistigen Wachstum begrenzt, in der Demokratie eingeschränkt? Welchen Einfluss hat die Herkunft? Welchen Rahmen bietet die Gesellschaft? Funktioniert sie beschneidend oder unterstützend? Ergänzt durch historische Fakten über Monarchen, Kriege und Medizin, ist "Im Schatten des Turms" ein absolut lesenswerter historischer Roman, den ich gerne weiterempfehle.