Die dunkle Seite Islands
Nach der Trennung von ihrem Mann hat Sonja kein festes Einkommen mehr und lebt nur noch für die Besuchswochenenden mit ihrem Sohn und die Treffen mit ihrer neuen Liebe Agla, die ihrerseits tief in einen ...
Nach der Trennung von ihrem Mann hat Sonja kein festes Einkommen mehr und lebt nur noch für die Besuchswochenenden mit ihrem Sohn und die Treffen mit ihrer neuen Liebe Agla, die ihrerseits tief in einen Bankenskandal verwickelt ist. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und irgendwann ihren Sohn wieder ganz bei sich haben zu können, beginnt Sonja Drogen zu schmuggeln. Dabei gerät sie nicht nur zunehmend in einen Strudel von Unfreiwilligkeit und Bedrohung, sondern auch in den Fokus des Zollbeamten Bragi.
Das Netz bietet ein fesselndes Leseerlebnis, das weniger einer abwechslungsreichen oder actiongeladenen Handlung zuzuschreiben ist, als der Erzählstruktur des Romans, welche in sehr kurzen Kapiteln zwischen den Perspektiven der drei Hauptfiguren Sonja, Agla und Bragi hin- und herspringt. Auf diese Weise verfolgt der Leser immer nur kurze Versatzstücke der Innensicht der Figuren und der jeweiligen Situation, um kurz darauf mit einer völlig anderen Momentaufnahme konfrontiert zu werden. Fragmentarisch ist der Roman jedoch glücklicherweise nicht, denn Sonja ist (abnehmend) mit Agla und (zunehmend) mit Bragi verbunden. Darüber hinaus befinden sich die drei Figuren außerdem alle in einer sehr düsteren und wenig hoffnungsvollen Lage, die durchaus Anlass zu Verzweiflung gibt, aber eben auch jeweils das nachvollziehbare Handlungsmotiv stellt, was ein wesentlicher Garant für die hier sehr glaubhafte und gelungene Figurendarstellung ist.
Die Handlung selbst profitiert von der abwechslungsreichen Erzählstruktur, denn der eigentliche Handlungsablauf ist von einigen Wiederholungen und immer wiederkehrenden Tätigkeiten geprägt, deren Erwähnung aber dadurch gerechtfertigt ist, da sich so die Idee einer zunehmend bedrohlicheren Lage Sonjas (und auch Aglas) und eines sich immer enger ziehenden Netzes beim Leser überzeugend verfestigt. Sicherlich gibt es auch ein paar Szenen, die ziemlich "over the top" wirkten (man denke z.B. an den Tiger im Esszimmer), aber grundsätzlich ist das, was der Roman erzählt, gut vorstellbar.
Das isländische Setting steuert ein übriges zur dunklen Atmosphäre bei. Der Roman nutzt sehr viele Verweise auf isländische Orte und Eigenarten und fängt die winterliche Trostlosigkeit und Isolation der Insel sehr gut ein. Zum isländischen Flair trägt natürlich auch die isländische Schreibweise der Namen bei. Den Untertitel "Ein Reykjavik-Krimi" trägt das Buch damit absolut zu Recht und wer schon einmal in Island war, wird einiges wiedererkennen.
Das Netz bietet spannende Lesestunden, die den Leser auf recht subtile Weise fesseln, da sich die Handlung nur langsam entwickelt. Der Roman bewegt sich zwischen Krimi und Thriller und ist für Leser geeignet, die bei Fiktion Wert auf einen Realitätsbezug legen, den das Buch auch durch seinen Kontext der isländischen Finanzkrise erzielt.