Berlin im Hochsommer: In der Spree wird die Leiche der brillanten Hackerin Nana Reinhardt entdeckt. An der Stelle wo ihre Lippen waren, klafft ein dunkles Loch. Die investigative Journalistin Christine Lenève nimmt eigene Ermittlungen auf, denn Lebensgefährte Albert kannte Nana und ihre siebenköpfige Hacker-Gruppe. Albert und Christine vermuten, dass Nana einem Hochrangigen auf die Füße getreten ist und man sie deshalb zum Schweigen gebracht hat.
Erkenntnisse führen Christine sehr bald auf die Spur des Killers, der in einem alten Hospital brutale Morde vor Publikum bester Gesellschaft inszeniert. Fast hätten sie ihn stellen können, doch der Täter nutzt sein intelligentes Potenzial und treibt ein gefährliches und brutales Psychospiel.
Der Autor:
Oliver Ménard wurde 1965 in Berlin geboren. Er studierte Regie und Dokumentarfilm in Madrid und New York, danach folgte ein Hochschulstudium der Germanistik und Publizistik in Deutschland. Er arbeitet seit über zwanzig Jahren als Fernsehjournalist und lebt heute in Berlin. (Quelle: Droemer Knaur Verlag)
Reflektionen:
Das Hospital ist der zweite Fall für die investigative Journalistin Christine Lenève und ihren Lebensgefährten Albert, einem rationalen Geist und Wirtschaftsjournalisten. Oliver Ménard hatte mich bereits mit seinem Debüt Federspiel überzeugt und sehr spannend unterhalten und so war ich mir sicher, dass Das Hospital ebenfalls von der blühenden und nicht gerade gewaltfreien Fantasie des Autors profitieren würde.
Federspiel und Das Hospital sind zwei in sich abgeschlossene Handlungen, die unabhängig voneinander gelesen werden können. Alle wichtigen Informationen zu den Hauptfiguren webt Oliver Ménard erneut geschickt in seine Geschichte ein.
Während ich Federspiel als ein beispielloses Aha-Erlebnis empfunden habe, da die Idee zum Buch so außergewöhnlich erschien, punktet Das Hospital für mich vor allem sprachlich. Sprachgewaltig inszeniert Oliver Ménard seine Handlung, sodass ich die literarische Seite dieses Thrillers noch über den Genuss der hoch spannenden Handlung stelle. Ganze Kapitel empfand ich als literarische Perlen, bis mich die brutale Geschichte erneut einholte und mich atemlos vorantrieb.
Zitat:
Ein dunkelblauer Schmetterling mit weißen Flecken flatterte um eine Lavendelblüte herum, setzte sich und saugte den Nektar der Pflanze auf.
Blitzschnell packte er den Falter und ballte seine Finger zur Faust. Er spürte die schlagenden Flügel und die zarten Fühler an seiner Haut. Vielleicht war er wie der Schmetterling in seiner Hand. Einen Sommer würde er fliegen, bevor ihn die Hornissen mit ihren giftigen Stacheln töteten. Er drückte kräftiger zu. Die Flügel bewegten sich nicht mehr. Gefangen auf engstem Raum und keine Fluchtmöglichkeit. Seine Gegner würden ihn erbarmungslos jagen, jetzt, wo er mit seinen Taten aus dem Schatten herausgetreten war. Doch er war ihnen viele Schritte voraus. Sie würden ihn nicht zu Fall bringen.
Er öffnete die Hand, und der Schmetterling torkelte durch die Luft, fing sich und stieg auf in die Höhe, bis er zwischen den Zweigen der Bäume verschwunden war.
Oliver Ménard scheint nicht gern einfach nur geradeaus zu schreiben, obwohl er es definitiv gut kann. Er hat stets einen Blick für das Kleine, das Nebensächliche und das scheinbar Unbedeutende. Besonders dieser umherschweifende Blick schenkt dem Leser eine besondere Harmonie in der Story, ohne jegliches too much. Oliver Ménards klarer Ausdruck, manchmal angenehm im Detail verliebt, zeichnet seinen angenehm flüssigen Schreibstil aus, der es einem leicht macht in die Geschichte einzutauchen.
Gut pointierte Wechsel der zahlreichen Perspektiven erfordern anfangs etwas mehr Aufmerksamkeit, bis sie dann zu dem Motor der Spannung werden, der mit einigen Spannungshöhepunkten aufwartet.
Christine Lèneve ist nicht unbedingt eine Sympathieträgerin. Ihre leicht überhebliche Art hinterlässt ein zwiespältiges Gefühl, ob man sie mögen soll oder nicht. Aber, ihre Figur ist hoch interessant gezeichnet, sodass man sie doch noch irgendwie ins Herz schließt. Christine ist knallhart, kompromisslos, ehrgeizig, eine unnachgiebige Jägerin und lebt eine Sucht nach Wahrheit. Sie besitzt die Fähigkeit Wahrheiten zu entdecken, die sich in kleinen Details von versteckten Unstimmigkeiten offenbaren. Christines emotionale Seite, die zwar nur äußerst selten das Licht der Buchseiten erblickt, macht sie dann doch noch irgendwie liebenswert.
Ihr Gegenpart ist Lebensgefährte Albert, der zwanzig Minuten für einen Apfel benötigt, alles bewusst tut und sich in allem Zeit lässt. Er hinterlässt den Eindruck Christine zu verehren, er liebt sie und doch verbirgt er vor ihr Geheimnisse, sodass es fast zu einem Vertrauensbruch zwischen ihnen kommt. Darüber hinaus wird der sympathische Albert von seinem Chef, einem diktatorischen Chefredakteur, empfindlich unter Druck gesetzt.
Die Getötete, Nana, war eine charismatische, skrupellose Hackerin, die intelligent und selbstherrlich, wie eine regierende Königin, ihre Hackergruppe regierte und regelmäßig Konzernen Angst gemacht hat. Als Leser vermutet man den Kern des Motivs hier zu finden, denn Nana leitet außerdem, über ihren Tod hinaus, die Ermittlungen in eine ganz bestimmte Richtung.
Immer mal wieder taucht Kommissar Tobias Dom kurz in der dramatischen Geschichte auf, doch die Figur des Kommissars bleibt insgesamt blass. Man hinterfragt im Stillen die Authentizität von Christines Ermittlungen, aber man kann die nicht gänzlich realistische Handlungsweise augenzwinkernd akzeptieren.
Der Täter wirkt wie ein sensibler Feingeist, der eine künstlerische Ader auslebt. Sein bizarres Tötungsritual lässt den Leser erschaudern. Zum einen tritt er als höflicher, gepflegter und attraktiver Mann in Erscheinung, der in Sehnsucht nach dem Schönen lebt und sich zum anderen als eiskalter Killer herausstellt. In seiner Kindheit wurde er auf grausamste Weise gedemütigt und abgelehnt. Als Erwachsener sucht er auf narzisstische Weise die Vollendung und modelliert unter anderem mit Hilfe von Rilkes Versen die Schönheit und Perfektion der Tötung.
Fazit und Bewertung:
Das Hospital ist ein Thriller, der an brutalen Grausamkeiten kaum zu überbieten ist. Interessant gezeichnete Charaktere und ein sprachlich ansprechender Stil garantieren eine knisternde Spannung, die durch eine intelligente Handlung führt.