Licht und Schatten und kein Lied des Wolfes
Vaelin al Sorna ist zurück – der Held der „Rabenschatten“-Trilogie erlebt im ersten Band der Reihe „Rabenklinge“ neue, blutige Abenteuer, die das Schicksal ihm vorherbestimmt hat. Dass es eine Vorgängertrilogie ...
Vaelin al Sorna ist zurück – der Held der „Rabenschatten“-Trilogie erlebt im ersten Band der Reihe „Rabenklinge“ neue, blutige Abenteuer, die das Schicksal ihm vorherbestimmt hat. Dass es eine Vorgängertrilogie gibt, ist wichtig zu wissen, denn auf den ersten einhundert Seiten arbeitet sich Ryan an den notwendigen, hinreichenden oder wissenswerten Informationen der Rabenschatten-Romane ab. Einiges ist unwichtig, anderes hingegen essentiell – die Erläuterungen darüber etwas, was ein inneres „Lied“ eigentlich bedeutet, warum Vaelin al Sorna in der ganzen Welt als Heerführer bekannt ist oder warum er seinen Mitstreiter Nortah „Bruder“ nennt – sie waren im selben geistlichen Ritterorden in Ausbildung. Als Leser dürfte einen sehr häufig das Gefühl beschleichen, etwas verpasst zu haben, wenn man das „Lied das Wolfes“ nicht als viertes Buch über Vaelin al Sorna liest, sondern als erstes. Deshalb: Rabenschatten zuerst lesen.
Ist der Auftakt zur neuen Trilogie gelungen? Im Grunde genommen ja, aber: Der Abschlussband von Rabenschatten war so schlecht, dass Ryan gezwungenermaßen ein Drittel seines neuen Romans aufwenden muss, um Fehler zu heilen – etwa den Fehler, in eine Fantasywelt zu erschaffen, die keine wirklichen Götter besitzen soll. Vaelin al Sorna ist gelernter Atheist, er hat nämlich erfahren müssen, dass es die Götter, an die er glaubte, nicht gibt. Entsprechend abgeklärt ist sein Umgang mit Menschen seiner Welt, die an göttliches Wirken glauben. Macht das in einer Fantasywelt Spaß Nein. Es erklärt nämlich vor allem nicht die Magie in er Welt, zu der ja das innere Lied Auserwählter auch gehört. Es erklärt auch nicht, was dann eigentlich den großen Widersacher „des Guten“ antreibt, die Weltherrschaft an sich zu reißen.
Asch so – dieser große Widersacher war „der Verbündete“, von dem man im „Lied des Wolfes“ auch hört, als sein „Bote“ nämlich die Handlung ins Rollen bringt. Der „Verbündete“ aber ist nicht mehr, untergegangen im Chaos der Vorgängergeschichte, Nun ab er gibt es etwas „noch Größeres“, von dem auf 500 Seiten nur zu erfahren ist, dass es den Anführer des Barbarenstammes der Stahlhast – Kehlbrand die „Dunkelklinge“ – verführt und zu gottgleicher Führung seines Volkes verholfen hat. Diese Stählerne Horde droht nun, das westliche Kaiserreich zu überrennen, und Vaelin al Sorna ist zur Stelle, obschon er eigentlich nur seine ehemalige große Liebe Sherin retten möchte.
Ryan benutzt zwei Erzählperspektiven: Von den inneren Vorgängen der Stahlhast berichtet ein chronikaler Text von Luralyn, Wahrträumerin und Schwester des hochfahrenden Anführers. Diese Chroniktexte fungieren als Prologe der großen Abschnitte und geben Einblicke in die faschistoide Welt eines barbarischen Reitervolkes. Der Rest der Handlung wird von einem auktorialen Erzähler berichtet, der die Vorgeschichte mitreferieren muss. Dieser Erzähler besitzt eine eindringliche und gefällige Stimme, die es auch braucht, um die Lektüre durch die länglichen ersten 250 Seiten zu tragen. Dann aber nimmt die Handlung rasante Fahrt auf, und Ryan bugsiert seine Leser mitten ins Schlachtgetümmel.
Gelungen sind die Hauptfiguren: Vaelin und Sherin auf der der einen, Luralyn und Kehlbrand auf der anderen Seite. Ausbaufähig sind de Nebenfiguren, die als klischeehafte Abziehbilder in der Kulisse stehen oder effektvoll verbraucht werden.
Gelungen ist die Sogwirkung der Handlung zum Ende des Bandes hin, ausbaufähig die Glaubwürdigkeit der Geschehnisse. Ein bisschen weniger Zufall („Deus ex machina“) wäre ansprechender.
Gelungen ist die politische Struktur des Kontinentes, auf die „Das Lied des Wolfes“ uns führt, als Fantasywelt aber ist sie das Gegenteil von „High Fantasy“. Mit der ansprechenden Idee einer wachsenden Zahl von „Begabten“ mit unterschiedlichen magischen Fähigkeiten mag sich das ändern.
Sehr gut gefällt der Cliffhanger, mit dem Ryan den Leser fast zwingt, den nächsten Band zu erwerben, um der Spannung hinterherzuhecheln. Vielleicht erfährt man dann auch endlich, was das sein soll, dieses kaum erwähnte „Lied des Wolfes“.