„Das Buch der Spiegel“ ist ein flüssig geschriebener Krimi mit ruhiger Spannung, bei dem Psychopathen und ihre gestörte Wahrnehmung eine große Rolle spielen. Dass es in Genre Literatur einsortiert wurde, halte ich für eine zu große Versprechung, eine von vielen, die als solche bei diesem Werk bis zum Schluss auch bleiben.
Das Coverbild ist ein Hingucker, ist aber irreführend. Die Schlösser haben eher im übertragenen Sinne etwas mit der Geschichte zu tun. Auch was den Unterhaltungswert dieses Werkes angeht, lässt sich nach der Lektüre sagen: Dem Leser wird durch den Titel, das gespiegelte Bild in rot-schwarz und den Klappentext mehr versprochen, als die Geschichte im Endeffekt hält. Mehr Schein als Sein -das passt zu dem Buch perfekt.
Der Roman besteht aus drei Teilen. Erst erzählt der Literaturagent Peter Katz im Jahr 2014, Angestellter einer Agentur vermutlich in New York, ganz kurz die Vorgeschichte. Er hat einen netten Anschreiben und eine vielversprechende Leseprobe von einem Autor namens Richard Flynn bekommen. Weiter liest man den recht flott geschriebenen Anfang des eingesandten Romans, etwa 100 Seiten, der im Jahr 1987 in Princeton, USA spielt. Richard Flynn ist zu der Zeit Student der Anglistik. Er lernt Studentin Laura Baines kennen, die ins Haus neu eingezogen ist, findet sie attraktiv und bald werden sie (fast) unzertrennlich. Laura macht Richard mit dem Prof. Joseph Wieder bekannt. Richard braucht einen Job, Wieder lässt ihn seine Bibliothek ordnen. Ansonsten wird Richard vom Prof. mal zum Abendessen eingeladen, eigenhändig bekocht und führt mit ihm lange Gespräche. Kurz vor Weihnachten wird der Prof. tot in seinem Haus aufgefunden. Der Mordfall bleibt ungeklärt. Bis Peter Katz die Leserprobe erhält und den Rest des Romans lesen will, um zu sehen, ob man mit dem Manuskript Geld verdienen kann. Dafür engagiert er den Reporter, John Keller, damit er mehr über die ganze Story herausfindet und ihren Wahrheitsgehalt prüft. Hier gibt es wenige Figuren, dafür aber fast alle mit psychotischen Störungen.
Zweiter Teil, 115 Seiten, ist von John Keller erzählt worden. Er rollt den fast dreißig Jahre alten Fall auf, spricht mit allen Beteiligten, die er ausfindig machen kann, u.a. mit Laura und mit dem Handwerker, der den Prof. damals tot gefunden hatte. Hier gibt es eine Fülle von langwierigen Dialogen, Erklärungen und Spekulationen, wer damals wie gehandelt haben kann und warum. Man lernt noch mehr Menschen mit psychotischen Störungen, ihre Vorgeschichten, was und wie sie über andere und über sich denken, etc. kennen. Spätestens hier befällt einen die Erkenntnis, dass mehr an lesenswertem Stoff nicht mehr kommen wird, und man ist gezwungen, ein und das Selbe zum zigsten Mal zu lesen, bloß aus einer anderen Perspektive erzählt, ggf. von einer anderen Figur. Dazu wird nachgedacht, ob das stimmen könnte.
Dritter Teil, ca. 90 Seiten, ist von Roy Freeman erzählt worden. Er ist nun ein pensionierter Polizist. Damals hat er den Fall Joseph Wieder unaufgeklärt geschlossen. Nun will er den Fall doch wieder aufrollen und fängt seine Ermittlungen an. Hier wird der Leser aufs Neue mit langwierigen Dialogen und Stoffwiederholungen konfrontiert, die einem schon im zweiten Akt viel Geduld abverlangt haben. Hier gibt es noch weitere Erzähler, die die bereits bekannte Geschichte auf ihre Art präsentieren und mit noch mehr Details und ihrer Sicht der Dinge ausschmücken. Wenn es im Teil 1 von Psychopathen gewimmelt hat, trifft man hier vielmehr auf finstere Gestalten aus den unteren Schichten der amer. Gesellschaft: Knasties, noch mehr psychisch Kranke, Nutten, deprimierte Polizisten, Junkies, etc. Eine Gesellschaft, von der man „sehr gerne“ mehr erfahren möchte und fühlt sich in ihrer Mitte auch sonst „sehr wohl“. Am liebsten hätte ich spätestens hier die Lektüre abgebrochen, aber wegen der Rezension musste ich weiterlesen.
Ganz zum Schluss taucht Peter Katz aus Teil 1 auf und führt ein Gespräch mit dem Erzähler aus Teil 2, John Keller, über den Fall Wieder: „... wahrscheinlich hätten wir nie die Wahrheit über den Mord herausgefunden.“ S. 306. Und man denkt dabei: Es wäre überhaupt nicht schlimm gewesen. Man hätte sich viel Lesezeit für etwas Besseres gespart.
Es war auch eher anstrengend, sich in jedem Teil auf einen komplett neuen Erzähler einzustellen, auf seine Perspektive und seine Geschichte. Man erfährt einiges über seine Lebensumstände und seine Vergangenheit, ist aber nicht so recht daran interessiert, da man kaum eine emotionale Bindung zu diesen Figuren aufbauen kann. Man hat auch wohl kaum eine Figur, mit der man durch die Geschichte zusammengehen kann.
Die Psychopathen und ihr typisches Verhalten sind anschaulich und situativ dargeboten worden. An Lügengeschichten und gestörten Unsympathen mangelt es keineswegs. Wenn man aber genug Krimis/Thriller gelesen hat und eine adäquate Vorstellung hat, wie menschliches Gedächtnis funktioniert, was oft in solchen Werken zur Sprache kommt, für den ist dieser Roman in etwa so spannend wie ein Pokerspiel mit offenen Karten.
Fazit: Man kann’s lesen, immerhin ist es vom Ausdruck her recht griffig und flüssig geschrieben, das muss man aber nicht. Ich habe aufgrund des Covers, des Titels und Klappentextes deutlich mehr erwartet. Leider wurde hier mehr versprochen als gehalten. So etwas wie Anfänge des Lesevergnügens gab es nur im Teil 1. Beim Rest des Romans haben die Stoffwiederholungen – man liest immer wieder Variationen der selben Geschichte – viel Geduld abverlangt, sodass ich froh war, die letzte Seite umgeblättert zu haben.
Last but not least: Der Verlag hat überraschend, völlig kommentarlos, ein behelfsmäßig gebundenes/ low cost gestaltetes, doppelseitig bedrucktes Manuskript in kleiner Schrift zur Verfügungen gestellt, aus dem im letzten Drittel alle Seiten aus der Plastikspiralbindung herausfielen. Dafür hätte noch ein Stern abgezogen gehört. Man sagt: Man erhält nie eine zweite Chance, einen guten ersten Eindruck zu machen. Auf dem anderen Ende der Skala gibt es Verlage, die sich ihren Lesern gegenüber bei jeder Einsendung der Rezensionsexemplare sehr höflich, sehr bemüht und respektvoll zeigen. Da darf man drei Mal raten, Bücher welcher Verlage in Zukunft nachgefragt werden.
Ich bleibe bei drei Sternen und keiner Leseempfehlung. Man kann’s lesen, es ist aber definitiv kein must have/ must read, egal, was der generalstabmäßig organisierter Hype suggeriert.