"Der Henker ist, glaube ich, sehr erfahren, und mein Hals ist schmal." (Anne Boleyn)
16. Jh. England. Anne Boleyn zieht als Hofdame der Königin Katharina von Aragon an den Hof Heinrich VIII., wo sie schnell die Aufmerksamkeit des Königs erregt, der kein Kostverächter ist. Schon bald drängt ...
16. Jh. England. Anne Boleyn zieht als Hofdame der Königin Katharina von Aragon an den Hof Heinrich VIII., wo sie schnell die Aufmerksamkeit des Königs erregt, der kein Kostverächter ist. Schon bald drängt er Anne dazu, seine Mätresse zu werden, was die junge Frau ihm mit Blick auf das Schicksal ihrer Schwester Mary konstant verweigert, aber auch, weil sie unter dem Druck ihres Vaters Thomas Boleyn steht, der mehr Einfluss am Hof haben möchte. So greift Heinrich VIII. zu drastischeren Mitteln, verlangt vom Papst eine Annullierung der Ehe, um Anne zu ehelichen, was ihm verweigert wird und lässt sich am Ende von Katharina scheiden, nachdem er den Bruch mit der Katholischen Kirche und Rom gebrochen hat, um sich selbst als Oberhaupt der englischen Kirche auszurufen. Anne heiratet Heinrich VIII., auch wenn es von ihrer Seite aus keine Liebesheirat ist, vielmehr strebt die ehrgeizige junge Frau nach Macht und vor allem Ansehen, was ihr aber das englische Volk mit Respekt auf Katharina von Aragon verwehrte. Wer hoch strebt, fällt auch tief, so erging es auch Anne Boleyn, die weder den ersehnten Thronfolger hervorbrachte noch Heinrich VIII. Gunst lebenslang halten konnte. Am Ende verlor sie ihren Kopf….
Alison Weir hat mit „Anne Boleyn: Die Mutter der Königin“ einen eindrucksvollen historischen Roman vorgelegt, der sich nicht nur durch eine akribische Recherche auszeichnet, sondern von Beginn an zu fesseln weiß. Der flüssige und bildhafte Erzählstil führt den Leser an den Hof Heinrich VIII., wo er die Geschehnisse hautnah miterleben kann. Anne Boleyn wird schon als sehr junges Mädchen in den Niederlanden durch die Beziehungen ihres Vaters Thomas zur Hofdame von Margarete von Österreich und wechselte danach zum französischen Königshof, wo sie als Hofdame von Claude de France diente, nebenbei ihre Ausbildung vervollkommnete und 1521 nach England zurückkehrte. Der Aufbau dieses Romans ist sehr geschickt gemacht, denn während als geschichtsinteressierter Leser einiges über Anne Boleyn und ihre Ehe mit Heinrich VIII. kennt, erfährt man hier auch einiges über ihre Kinder- und Jugendjahre sowie ihre Ausbildung, wobei sie schon sehr früh Verantwortung übernehmen musste und dies nachhaltig ebenso ihren Charakter geprägt hat wie die harte und fordernde Erziehung ihres Vaters. Obwohl ihr unrühmliches und trauriges Ende bekannt ist, schafft es die Autorin, Anne Boleyns Werdegang spannend und abwechslungsreich an den Leser zu bringen, der während der Lektüre regelrecht einen Film vor Augen hat und einer Geschichtsstunde leibhaftig beiwohnt, wobei er zwischen Sympathie und Ablehnung hin- und hergerissen ist.
Weir zeichnet ein sehr intensives Gesellschaftsbild jener Zeit, vor allem ihre Charakterstudie zu Anne Boleyn ist einzigartig, weil so nachvollziehbar. Während man als Leser die junge Anne um die interessanten Erfahrungen als Hofdame beneidet, die ihr Kenntnisse in verschiedenen Sprachen sowie exzellente Umgangsformen und spannende Begegnungen bescheren, führt man für die Zeit am Hofe Heinrich VIII. automatisch etwas Abstand herbei. Dies mag an daran liegen, dass Anne für die damalige Zeit nicht nur äußerst selbstbewusst war, sondern auch sehr ehrgeizig und manipulativ, was ihr nicht negativ ausgelegt werden sollte. Sich gegenüber der Männerwelt und ihren Ansichten zu behaupten, war bestimmt nicht einfach, zumal, wenn man als Marionette für politische Machtgefüge missbraucht wurde. Ihr Schutzpanzer, bestehend aus einer teils arroganten und überheblichen Art, brachte ihr wenig Sympathien ein. Dass sie Heinrich VIII. geheiratet hat, obwohl sie keine Liebe für ihn empfand, zeigt ihr großes Opfer gegenüber dem Vater sowie ihren eigenen Anspruch an Ansehen, der sie allerdings durch Ränkeschmiede und zänkischen Starrsinn bei Heinrich VIII. in Ungnade fallen ließ und sie schlussendlich den Kopf kostete. Rückblickend gesehen gilt Anne Boleyn als eine der schillerndsten Ehefrauen des berüchtigten Tudorkönigs.
„Anne Boleyn: Die Mutter der Königin“ ist ein exzellent recherchierter historischer Roman, der den Leser nicht nur auf eine spannende Zeitreise mitnimmt, sondern gleichzeitig eine Geschichtsstunde par excellence liefert. Absolute Leseempfehlung!!!