Ein Anfänger auf Mörderjagd
Wer sich hinter Leonard Bell verbirgt, darüber muss vorerst nur gerätselt werden - der Autor von "Der Petticoat-Mörder" nutzt ein Pseudonym für den Auftakt einer historischen Krimireihe aus dem Berlin ...
Wer sich hinter Leonard Bell verbirgt, darüber muss vorerst nur gerätselt werden - der Autor von "Der Petticoat-Mörder" nutzt ein Pseudonym für den Auftakt einer historischen Krimireihe aus dem Berlin der späten 50-er Jahre. Nun bin ich zwar ebenso wie der Autor nicht alt genug, um die Zeit selbst erlebt zu haben, aber die Erzählungen älterer Verwandten schildern ein ähnliches Zeitgefühl. Wirtschaftswunderzeiten, Rock ´n´Roll und eine erste Ahnung von der Konfrontation der Kriegs- und der Nachriegsgeneration, die in den 60-er Jahren kulminieren würde. Und dann auch noch in Berlin - nach der Blockade, vor dem Mauerbau, der Kalte Krieg ist sehr spürbar.
Mit Kriminalassistent Fred Lemke hat der Autor einen Protagonisten geschaffen, der das ganze Gegenteil eines hard boiled cop ist. Wir begleiten ihn auf dem Weg zum ersten Arbeitstag im Berliner Landeskriminalamt, einen gerade mal 23 Jahre alten, eher unsicheren jungen Mann, der obendrein gerade von seiner Pensionswirtin rausgeschmissen wurde und nun erst mal eine neue Bleibe braucht.
Der zweitschlechteste Absolvent des Jahrgangs landet ausgerechnet bei der Mordkommission - und begleitet seinen unmittelbaren Vorgesetzten gleich am ersten Arbeitstag zu einem Tatort: Acht Schüsse wurden abgefeuert, drei trafen das Opfer, einen zunächst unbekannten Mann mit zerschossenem Gesicht. Ein eher widerwilliger und unheimlicher Zeuge kann nur berichten, dass an dem Seeufer ein Mann und eine Frau saßen und sich offenbar stritten. Ein Beziehungsdrama, ein Raubmord Und spielt der Petticoat, den Lemke später in der Nähe findet, irgendeine Rolle in dem Fall?
Lemke muss sich nicht nur mit der Frage nach Opfer und Täter plagen, sondern auch mit seinen gewöhnungsbedürftigen Vorgesetzten, die mit ihrem autoritären Gebaren, barschem Umgangston und dem Hang zur öffentlichen Demütigung starke Defizite im Bereich soziale Intelligenz und modernem Führungsverhalten aufweisen - es war eben noch eine ganz andere Zeit. Der eher intuitiv arbeitende Kommissaranwärter, auch nach fünf Jahren in Berlin eher ein schüchterner Junge vom Land hat es in dieser Hackordnung schwer - vor allem, als er herausfindet, dass der Tote im Krieg beim Reichsicherheitshauptamt gearbeitet hat und für die Gestapo Homosexuelle verfolgte.
Spielt die Nazi-Vergangenheit auch hier eine Rolle, hat sich etwa ein früheres Opfer gerächt? Fragen, die Lemke stellt, werden von seinem Chef abgeblockt - auch im Landeskriminalamt, so verrät der wohlmeinende Chef der Spurensicherung Lemke, sitzen eben viele offiziell Entnazifizierte, die Dreck am Stecken haben und Fragen nach der Nazi-Vergangenheit nicht zulassen wollen.
Dazu passt, dass auch Ellen von Stain, Freds Kollegin, manche Fragezeichen aufwirft. Da is zum einen ihre ungeklärte Rolle als Sonderermittlerin - sie ist zwar etwa in Freds Alter, hat aber einen völlig anderen Status, kann nach Belieben kommen und gehen. Wozu sie ermittelt, das bleibt unbekannt. Mit ihrem Selbstbewusstsein und teils aggressiven Vorgehen ist sie das ganze Gegenteil des sensiblen Fred, und auch sonst kommen sie aus verschiedenen Welten - Geld ist offensichtlich kein Problem der jungen Kriminalbeamtin, sie verkehrt in besten Kreisen, der Reichtum ihrer Familie geht aber zumindest teilweise auf enge Verflechtungen mit den Nazis zurück - Hermann Göring war ein lieber Freund und Gast bei den von Stains.
Fred ist sowohl fasziniert als auch abgestoßen und auch der Leser muss wohl bis zum Folgeband warten, bis das eine oder andere Rätsel im Zusammenhang mit Ellen von Stain gelöst wird. Überhaupt wurden schon viele Situationen und Figuren geschaffen, auf deren Entwicklung ich neugierig bin. Immerhin ist schon im ersten Band zu erfahren, was es mit Freds Panikattacken auf sich hat. Und auch der Fall mit viel stimmigen Zeit- und Lokalkolorit findet zu einem stimmigen, wenn auch so nicht erwarteten Ende. Zwischendurch setzt der Autor die Leser auf so manche falsche Fährte.
Mit dem zaudernden, oft unsicheren, aber hartnäckigen Fred Lemke hat "Der Petticoat-Mörder" einen Protagonisten, der wohltuend menschlich ist und sich auf sympatische Weise von den unrealistischen, megaharten Ermittlern unterscheidet, die auch nach tagelanger Folter im Alleingang irgendwelche Schurken erledigen und sich offenbar nie mit Polizeibürokratie herumschlagen müssen. Anders hier: Da hat sich der Autor tatsächlich mal auf den Behördenapparat mit seinen Hierarchien und Alltäglichkeiten eingelassen. Das macht neugierig auf mehr.