Was, wenn jemand gar nicht lügt, sondern sein Geist ein bestimmtes Ereignis lediglich umformuliert hat - wie ein Drehbuchautor, der an seinem Text feilt? Genau davon handelt "Das Buch der Spiegel", nur dass wir es mit einem Mord zu tun haben, der Ende der 1980er in Princeton begangen wurde. Als der Literaturagent Peter Katz ein Manuskript des Autors Richard Flynn erhält, ist er sofort fasziniert. Er bekam das Schreiben im Januar, als alle in der Agentur sich noch von ihrem Festtagskater zu erholen versuchten. Die Nachricht war nicht in seinem Junk-Ordner, sondern im Posteingang gelandet, wo sie sich mit ein paar Dutzend anderen in die Schlange einreihte. Er warf einen Blick darauf, fand sie interessant, druckte sie zusammen mit den angehängten Seiten des Teilmanuskripts aus und legte alles in seine Schreibtischschublade. Mit anderem beschäftigt, vergaß er es dort. Erst am Ende des Monats, an einem verlängerten Wochenende, entdeckte er die Papiere wieder in einem Stapel anderer Einsendungen. Flynn schreibt über die Ermordung des berühmten Professors Joseph Wieder in Princeton – vor einem Vierteljahrhundert. Der Fall wurde nie aufgeklärt, und Katz vermutet, dass der mittlerweile unheilbar kranke Flynn den Mord gestehen oder den Täter enthüllen wird. Doch Flynns Text endet abrupt. Katz will den Autor kontaktieren, aber Flynn ist zwischenzeitlich verstorben. Besessen davon, das Ende der Geschichte zu erfahren, versucht Katz, Laura Baines ausfindig zu machen, die als Studentin auf undurchsichtige Weise mit Wieder verbunden war. Doch je tiefer Katz in den Fall eindringt, desto mehr scheint er sich von der Lösung zu entfernen, er wird von jetzt an selbst ermitteln und auf eine Wahrheit stoßen, die zerstörerisch ist - eine Wahrheit, die Leben vernichten oder aber retten kann. Denn es scheint niemand die Wahrheit sehen zu wollen - doch was ist wirklich passiert? Der Autor E.O. Chirovici, stellt in seinem atemberaubenden Roman die Gesetze des Kriminalgenres auf den Kopf. Er stellt nur da, er wertet, scheinbar nicht, all das überlässt er dem Leser. Und nimmt diesen damit in die Verantwortung aber der Autor tut dies auf eine höchst sachliche Art und Weise. Er benutzt dazu eine sehr schöne, ausgewählte Sprache. Er bildet das menschliche Verhalten in all seinen Facetten ab und erreicht damit eine Erkenntnis, was Menschsein ausmacht, die ich so selten nachvollziehbar gelesen habe. Diese Geschichte verstört, bedient keine vorgefertigten Meinungen und entlässt den Leser, nicht, ohne sich mit ihm auseinandersetzen zu müssen. In drei Akten erzählt der Autor die Geschichte einer tragischen Täuschung - und treibt dabei das raffinierteste Spiel mit der Leichtgläubigkeit der Leser. Wir erleben die Geschichte allerdings gleichzeitig auch aus der Rolle der Hauptverdächtigen. Denn nichts ist so wie es scheint und Jahrzehnte nach der Tat, beginnt die wahre Aufklärungsarbeit, an der jedoch keiner der damals Beteiligten ein Interesse hat. Ein atmosphärisch packender Thriller, der durch seine leisen Töne viel mehr wirkt als so manch bluttriefender Shocker. Ein Glanzstück, beste Krimikunst, atmosphärisch dicht und voller Wendungen kommt diese Geschichte daher. Unglaublich raffiniert! Ein Landhauskrimi von seiner besten Seite brilliant konstruiert, sprachlich wunderbar formuliert und spannend wie nur wenige Krimis. Kein Buch für Thillerliebhaber, bei denen sich die Leichen stapeln, eher ein beschaulicher Krimi bei dem das Ambiente stimmt. Es wird viel Zeit auf die richtige Stimmung verwendet, in der ein solches Verbrechen stattfinden konnte, und bei dem sich am Ende herausstellt, daß das eigentliche Verbrechen gar keins ist, vielmehr auf ein verborgenes hinweisen soll. Denn höchstwahrscheinlich hatte Richard Flynn sich bis zum Schluss geirrt. Wie es aussah, hatte Laura Baines, nun Dr. Laura Westlake, das Manuscript des Professors gestohlen und ihn am Boden liegen und sterben lassen, aber seine Geliebte war sie nicht gewesen. Derek Simmons hatte sich getäuscht, als er dachte, Richard Flynn sei durch die Schiebetür geflohen, nachdem er Wieder niedergeschlagen hatte. Joseph Wieder hatte zu Unrecht vermutet, dass Laura Baines und Richard Flynn eine Beziehung hatten. Alle hatten sich geirrt und durch die Fenster, in die sie zu spähen versuchten und die sich am Ende alle als Spiegel herausstellten, nur immer sich selbst und ihre eigene Obsessionen gesehen. Erinnerung an Vergangenes ist nicht unbedingt Erinnerung an wirklich Geschehenes, es geschieht nichts an der Oberfläche, alles ist längst geschehen, und entzieht sich doch nicht der Gerechtigkeit. "Das Buch der Spiegel" ist ein herausragender Krimi der lange nachhallt und wenn man ihn zu Ende gelesen hat, möchte man, mit dem jetzigen Wissen, das Buch noch einmal lesen! Dank vieler überraschender Wendungen spannend bis zum furiosen Finale. Erstklassig, vom Feinsten!!!