Von Dora bleibt ist die Distanz
Isa geht es gerade gar nicht gut: Sie hat herausgefunden, dass ihr Mann sie betrügt, die Kinder sind aus dem Haus und werden schmerzlich vermisst und sie weiß nicht wirklich viel mit sich anzufangen. Da ...
Isa geht es gerade gar nicht gut: Sie hat herausgefunden, dass ihr Mann sie betrügt, die Kinder sind aus dem Haus und werden schmerzlich vermisst und sie weiß nicht wirklich viel mit sich anzufangen. Da kommt ihr der Auftrag ihrer Mutter recht, sich nach Familientradition mit einer ihrer Vorfahren zu beschäftigen – mit ihrer rätselhaften Großmutter Dora. In einem Haus am Bodensee taucht Isa in Doras Vergangenheit ein und lernt ihre unbekannte Verwandte mithilfe von alten Briefen und Tagebüchern ganz neu kennen. Diese nimmt Isa auf eine Reise durch ihr Leben: Von der Kunsthochschule über ein verworrenes Liebesdreieck bis hin zur erfolgreichen Unternehmergattin, die im Nationalsozialistischem Staat um die Zukunft ihrer Söhne bangt. Isa dringt immer tiefer, auch in die dunklen Jahre, ihrer Familiengeschichte ein und lernt somit viel über Dora und über sich selbst.
„Was von Dora blieb“ ist der Debütroman der freien Journalistin Anja Hirsch. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die Schwierigkeit der Kriegsenkelgeneration auf der Suche nach und im Umgang mit ihren Wurzeln zu thematisieren. Das Cover ist recht minimalistisch gehalten, die türkisene Grundfarbe gefällt mir sehr gut. Eher auf den zweiten Blick bemerkt man eine junge Frau mit Zylinder, die vor dem pyramidenartigen, sehr groß geschriebenen Titel hervortritt. Definitiv ein interessantes und eher ungewöhnliches Titelbild.
Anja Hirschs Schreibstil ist an sich angenehm, allerdings empfinde ich ihn für meinen Geschmack als etwas zu sachlich und nüchtern. Dadurch bleibt mir die Geschichte seltsam fern, ich fühle mich, als würde ich permanent auf Distanz gehalten, als wäre ich lediglich als außenstehender Beobachter akzeptiert. Deshalb ist es mir nach starken Startschwierigkeiten bis zum Schluss leider nicht gelungen, einen echten Bezug zu Isa oder zu Dora aufzubauen. Das Lesen war anstrengend und hat nicht unbedingt Freude gemacht.
Auch inhaltlich hatte ich mir mehr versprochen. Die Story springt zwischen Isas Sicht in der Gegenwart und Doras Sicht der Vergangenheit hin und her, unverhofft kommt dann auch noch Isas Vater Gottfried zu Wort. Zu Beginn des Buches geht es nach kurzer Einführung von Dora als Großmutter primär um ihre Kindheit, Jugend und die Zeit als junge Erwachsene. Es geht um viel alltägliches, politische Ereignisse stehen eher zurück, da sich Dora nicht wirklich für sie interessiert. Später verschiebt sich der Schwerpunkt Richtung Gottfried und dessen verwirrende Jugend zwischen Napola und lyrischer Selbstvergessenheit. Am Ende verschiebt sich der Fokus auf Isa, die zwischen Erinnerung, Perspektive und Gedanken zu ihrem Leben hin- und herspringt. Dora geht immer mehr in Vergessenheit, bis sie ganz am Ende noch einmal in einem Kapitel kurz vor ihrem Tod auftaucht, dass alles bisher von ihr erfahrende irgendwie wieder durcheinanderwirbelt. Selten habe ich mir so schwer getan, am Ball zu bleiben. Insgesamt ein sehr verwirrender Handlungsaufbau, etwas mehr Struktur hätte dem Buch gut getan.
Sowieso hätte ich mir mehr konkrete Informationen zu den spannenden Zeiten gewünscht, die Dora durchlebt. Der auf dem Klappentext groß angekündigte Inhalt bezüglich der Napola-Schule war genauso schnell abgehandelt wie Doras künstlerische Berufsaussichten. Die Fragen und Ankündigungen dort, die mich neugierig auf das Buch machten, wurden nicht beantwortet – ich blieb enttäuscht zurück. Dafür wurde vieles detailliert beschrieben, was ich als eher nebensächlich wahrgenommen hatte. Diese Nebenstränge waren für mich nicht nur langweilig und zäh zu lesen, sondern wurden teilweise auch nicht mal mehr aufgelöst. Des Weiteren nimmt die Autorin bereits vieles vorweg, was mich als Leser zusätzlich frustriert hat.
Auch konnte ich keinerlei Bindung zu den Figuren aufbauen. Gerade Dora und Isa blieben mir leider fern, ich habe sie als unsympathisch und flach empfunden und gerade Isa hat mich irgendwann nur noch genervt. Ihre Geschichte hat mich nicht besonders interessiert und ich konnte auch ihre Gedanken und Handlungen nicht nachvollziehen. Ja, sie ist der Aufhänger dafür, dass Doras Leben nochmals Revue passiert wird, aber so richtig nahe gekommen bin ich ihr noch nicht.
Insgesamt hat mich das Buch leider überhaupt nicht gepackt. Ich hatte mir fundiertere Informationen zu den angekündigten Themen des Klappentextes, insbesondere der Napola-Schulen gewünscht. Auch hat mir der distanzierte Schreibstil nicht gefallen, viele Zeitsprünge und Nebenhandlungen haben mich verwirrt und den roten Faden verlieren lassen. Ich bleibe nach der Lektüre ratlos und unbefriedigt zurück und kann das Buch deshalb leider nicht weiterempfehlen.