Dass Zürchers „Mobbing Dick“ es 2019 letztlich von der Longlist des Deutschen Buchpreises gar nicht erst auf die Shortlist geschafft hat, lässt mich immer noch ein wenig grummeln, zählte jener Roman doch definitiv zu meinen damaligen Favoriten; freudig nahm ich zur Kenntnis, dass mit „Liebe Rock“ nun endlich ein weiterer Zürcher-Roman erschien: Ob dieser mich ähnlich begeistern können würde wie sein „Mobbing Dick“?
Definitiv!
„Mobbing Dick“ wirkte im Vergleich noch deutlich avantgardistischer, der Protagonist zwiespältiger – diese Aspekte kamen nun auch in „Liebe Rock“ zum Tragen, aber dieser Roman war nun auch direkter, weniger verklausuliert, „alltäglicher“… simpel gesagt: einfacher zu lesen und leichter verständlich. „Mobbing Dick“ war in meinen Augen eher sehr gen Literarischem geprägt, während ich „Liebe Rock“ nun eher als popkulturellen Gegenwartsroman bezeichnen würde.
Im Grunde genommen ist „Liebe Rock“ ein rasant erzählter Abschiedsbrief eines sich selbst überschätzenden Schulabbrechers und der formal dessen „Erfolgsroman“ entspricht, wobei jenes Buch im Grunde genommen von vornherein zum Scheitern verurteilt ist: es ist offensichtlich, dass der „Verlag“ ein Druckkostenzuschussverlag ist und der Verleger ein ziemliches Windei; so merkt man der Situation, als Timm tatsächlich letztlich doch sehr unerwartet Erfolg hat, doch auch die immense Fragilität an: Zum Einen stammen große Teile des Romans eben nicht aus Timms Feder und zum Anderen weiß man, dass er keinesfalls nachliefern können wird, was es noch tragischer wirken lässt, wie empört er darauf reagiert, nicht direkt auf Platz 1 der Bestsellerliste einzusteigen, um sich dauerhaft dort zu halten. Ihm erscheint es offensichtlich frevelhaft, dass andere (längst etablierte und weltberühmte) Autoren erfolgreicher sind als er – der seinen eigenen Roman mit heißer Nadel gestrickt hat und den er selbst nicht wirklich kapiert, da er mehr Bastel- als Schreibarbeit war. Dennoch ist er ebenso entrüstet darüber, dass ein erster Kritiker bemängelt, dass sein Debüt völlig unverständlich ist, wie es ihn aufbringt, dass seine Mitbewohner längst eine Art, wenn auch ziemlich loser, Beziehung führen, obschon er in Rock verliebt ist. Dabei lässt „Liebe Rock“ relativ offen, ob er wirklich in Rock verliebt ist - zumindest wirkte seine Schwärmerei häufig wie eine Trotzreaktion auf Marcs Verhältnis zu Rock.
Generell ist Timm sehr in sich zurückgezogen; hier gibt es eigentlich gar kein weiteres Umfeld um ihn herum; er ist häufig in Selbstgesprächen bzw. „Unterhaltungen“ mit Hund und Katze gefangen, die ihn oftmals beruhigen und ihm noch häufiger Recht geben, auch in den Therapiestunden, zu denen er seinen Bruder begleitet, geht es letztlich vor Allem ums Timms innere Zerrissenheit – nicht zuletzt, da ich „Mobbing Dick“ kannte, schwante mir da ab ca. Seite 130 nun ein ganz bestimmter Plot Twist. Ich bin mir sehr sicher, dass ich „Liebe Rock“ nun wohl auch ganz anders, deutlich oberflächlicher, gelesen haben würde, hätte ich Zürchers letzten Roman noch nicht gekannt. Genossen hätte ich ihn trotzdem, aber wer „Liebe Rock“ nun als seinen ersten Zürcher liest, dem mag ich doch ans Herz legen, anschließend noch „Mobbing Dick“ zu lesen, denn auch wenn dies zwei völlig voneinander unabhängige Werke sind, ergibt sich daraus sicherlich noch ein etwas anderer Ausblick auf die „Liebe Rock“-Erzählung.
Insgesamt ist „Liebe Rock“ übrigens ein zeitgenössischer Roman, wie wir ihn auch in der 12. Klasse im Deutsch-LK hätten besprechen können – und den mein damaliger Kurs als Thema zweifelsohne geliebt haben würde. Ich erkenne hier durchaus Schullektüren-Klassikerpotential, ähnlich wie bei „Tschick“, „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ oder auch „Aus dem Leben eines Taugenichts“, denn ganz subtil klingt „Liebe Rock“ nun in einigen Szenen manchmal doch wie eine moderne Adaption von Letzterem an.