Regionalkrimis! Die einen lieben sie und vergessen nie, das ihnen unvermeidlich anhaften müssende 'Lokalkolorit' (so recht weiß ich nie, wie man das messen kann) zu preisen, die anderen verspotten sie als 'Cosy Crimes', also als im Grunde harmlose Kriminalgeschichten, ohne Spannung oder gar Action, in heimeliger Umgebung, in denen es Amateuren zufällt, die jeweiligen Fälle, auch eher harmloser, auf jeden Fall wenig spektakulärer Natur, zu lösen, wobei ihnen für gewöhnlich Freund Zufall, so unglaubwürdig, weil an den Haaren herbeigezogen, er auch ist, zu Hilfe eilt.
Den an dieser Stelle zu besprechenden, als Küstenkrimi apostrophierten Roman in diese so oberflächlich charakterisierte Kategorie pressen zu wollen, muss unweigerlich schiefgehen! Wir haben es hier mit einem handfesten Krimi zu tun, der zwar so, wie er angelegt ist, nirgendwo sonst spielen kann als an der Nordsee, dem aber gottseidank jegliche angestrengte Bemühung um das unbestimmbare, reichlich vage 'Lokalkolorit' abgeht, der entschieden nicht von harmlos-naiven Figuren bevölkert wird, in keiner Weise beschaulich ist, dessen Handlung eine so interessante wie höchst ungewöhnliche und gewiss kontroverse Thematik zugrunde liegt und mit einem komplizierten Fall aufwartet, dessen Aufklärung in den Händen von Profis, nämlich zwei Kriminalbeamten, liegt.
Und jene beiden Ermittler, Gustav Hilgersen und Waldemar Flottmann, letzterer ehemals Leiter der Bonner Mordkommission, aber, des erhofften ruhigeren Lebens wegen, zur Husumer Polizei gewechselt, sind Dreh- und Angelpunkt, oder treffender Herz und Seele auch dieses fünften Bandes einer Reihe, deren Protagonisten eben die beiden zuvor Erwähnten, 'Gustl' und 'Waldi', sind. Und in der Tat, ihr hintersinnig-spöttischer, liebevoll-frotzelnder verbaler Schlagabtausch ist das, was dem sich hier entfaltenden skurrilen Geschehen, das in einem Mord gipfeln wird, die Härte, die Beklemmung, die Düsternis nimmt, eine Balance schafft zu dem Ausnahmezustand, den ein Verbrechen, welcher Art auch immer, stets darstellt. Die beiden Kommissare sind einander zugetan, der eine kann sich auf den anderen verlassen, selbstverständlich, ohne dies besonders betonen zu müssen. 'Wie ein altes Ehepaar' sagt Flottmann so treffend an einer Stelle.
Gegensätzliche Charaktere sind sie freilich! Während Flottmann ein Skeptiker ist, ganz und gar dem Rationalen anhaftend, ein Pragmatiker, hält Hilgersen es durchaus für möglich, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die mit dem Verstand nicht zu erklären sind, hat er ein Faible für paranormale Geschehnisse und ist auch für Astrologie durchaus empfänglich.
Genau darum dreht sich denn auch die Handlung unseres Küstenkrimis! Wir werden mit vermeintlich übernatürlichen Phänomenen konfrontiert, wie einem aus dem Nichts und über Nacht entstandenen, für Aufruhr sorgenden und auf großes Medieninteresse stoßenden Kornkreis, einen auf geheinmisvolle Weise geleerten Löschteich, mysteriösem Glockengeläut aus dem Meer, das eine alte Legende zu bestätigen scheint, Stimmen aus dem Nichts, das eine Gruppe junger Leute in einem Bunker aufnimmt, zu dem sie sich verbotenerweise Zutritt verschafft haben, treffen auf wenig seriöse, verantwortungslose Astrologinnen, die einer dafür empfänglichen Kundenschar weismachen wollen, dass ihr Schicksal in den Sternen liegt, dass nur diese ihnen den Weg durchs Leben weisen können, auf Esoteriker, Handleser, das Pendel rotieren lassende Fehlgeleitete, denen mehr als nur eine Latte am Zaun fehlt, und machen darüberhinaus auch die Bekanntschaft mit einem seriösen Wissenschaftler, der Flottmann – und somit auch uns Lesern – eine so verständliche wie faszinierende Einführung in die Astronomie gibt und gleichzeitig den Sinn und Unsinn der so konträren Schwesterdisziplin Astrologie entlarvt – die eine junge, seelisch angeknackste Frau in den Tod getrieben hat.
Und nun endlich bin ich in medias res angelangt! Da gibt es nämlich jemanden, der es auf Astrologinnen abgesehen hat, sie entführt, im Watt einbuddelt, das Gesicht wie zum Hohn dem sie angeblich leitenden Sternenhimmel zugewandt – womit man den Titel des Krimis deuten könnte - , und sie der Flut und dem sicheren Tod überlässt! Diesen Unbekannten gilt es zu finden und dingfest zu machen, bevor sein mörderischer Plan aufgeht, bevor er sein Ziel erreicht hat. Eine unmöglich scheinende Aufgabe, solange sowohl das Motiv als auch die Identität des Mörders im Dunkeln liegen.
Doch wer zweifelt daran, dass Hilgersen und Flottmann auf ihre bedächtige Art den wohl ungewöhnlichsten, vielleicht auch dramatischsten Fall ihrer bisherigen Zusammenarbeit in einem spannenden Finale aufklären werden? Da sie keine Superdetektive a la Sherlock Holmes sind, die von leuchtenden Geistesblitzen heimgesucht werden und die Verbrechen quasi im Vorübergehen mit der linken Hand lösen, darf ihnen ruhig gelegentlich der Zufall zu Hilfe kommen, in Gestalt etwa des genialen, wenn auch sehr speziellen Leon Gerber, der Dinge hören und spüren kann, die Normalsterbliche nicht wahrnehmen, oder eines falschen Zuges des Täters selbst, eines im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlichen, zum Äußersten entschlossenen Psychopathen.
Summa summarum: Ich habe hier einen wirklich guten, vielschichtigen, abwechslungsreichen Krimi gelesen! Es gibt nichts, was ich daran auszusetzen hätte, keinerlei Ungereimtheiten, nichts an den Haaren Herbeigezogenes – es stimmte einfach alles! Ein Ermittlerduo, das mir mit seinen oft ironischen Dialogen Freude gemacht hat, ein ungewöhnlicher, spannender Fall, auf einem Thema aufgebaut, das ich sowohl faszinierend (Astronomie) als auch verwunderlich (Astrologie, Esoterik) finde, Figuren, die nicht nur vernünftige, alltägliche Namen tragen, sondern überaus lebendig sind, fragwürdig, gefährlich, liebenswürdig, ein wenig spinnert oder gar völlig überkandidelt, aber alle glaubwürdig in den Rollen, die ihnen zugedacht sind. Ein von mir als insgesamt ruhig und unaufgeregt empfundener, aber dem zum Trotz in einem spannenden Finale gipfelnder Krimi ohne blutige Szenen, dafür aber zum Nachdenken anregend – und dies nicht nur über Sinn und Unsinn der Astrologie! Fürwahr, lieber Autor, eine solche Bücherserie muss man einfach weiterführen!