Beeindruckendes Romanporträt einer Frau, die ihrer Zeit weit voraus war
Im Jahr 1951, vor nunmehr 70 Jahren, wurde Vicki Baums Roman „Vor Rehen wird gewarnt“ (im Englischen Original „Danger from Deer“, denn tatsächlich schrieb die Österreicherin, die mit ihrer Familie 1932 ...
Im Jahr 1951, vor nunmehr 70 Jahren, wurde Vicki Baums Roman „Vor Rehen wird gewarnt“ (im Englischen Original „Danger from Deer“, denn tatsächlich schrieb die Österreicherin, die mit ihrer Familie 1932 in die Vereinigten Staaten auswanderte, ab den Vierziger Jahren ihre Bücher nur noch auf Englisch) erstveröffentlicht. Heidi Rehn wandelte den Titel ab und nannte ihr Buch, das sich mit Vicki Baums Weg zum Erfolg zwischen den Jahren 1926 und 1931 beschäftigt, „Vor Frauen wird gewarnt“. Ein gar treffender Name für diesen Roman, denn die seinerzeit vielgelesene Autorin war eine ganz und gar ungewöhnliche Frau, in keiner Weise dem Frauenbild der damaligen Zeit entsprechend und somit durchaus eine Bedrohung für Männer - nicht nur in der Geschäftswelt -, für die Frauen ausschließlich die Rolle der treusorgenden Hausfrau und Mutter zu spielen hatten.
Selbstbewusst, unabhängig, zielstrebig machte sie sich 1926 auf den Weg aus der Provinzstadt Mannheim, in der ihr Mann Musikdirektor und erster Kapellmeister war, in die pulsierende Großstadt Berlin, dem Ruf des Verlagshauses Ullstein folgend, das ihr versprach, sie zur meistgelesenen Schriftstellerin ihrer Zeit aufzubauen. Die Sorge für die beiden noch sehr jungen Söhne überließ sie ihrem Mann Hans und zwei zuverlässigen Hausangestellten (skandalös für die meisten ihrer Zeitgenossen!) - um fortan eine geräumige Wohnung ganz für sich im Grunewald im 'Dachjuchhe' einer herrschaftlichen Villa zu bewohnen, frei, voller Neugierde und Lebenslust.
Gebannt verfolgt der Leser, aber wahrscheinlich eher die Leserin, Vickis erste Schritte sowohl im Ullsteinhaus als auch in ihrem neuen Leben in der Stadt, die in den wilden Zwanzigern ihre einzigartige Blütezeit erlebte, in der man sich amüsierte und genoss, was immer es zu genießen gab, die Nacht zum Tage machte, gerade so, als gäbe es kein morgen.
Hervorragend gelingt es der Autorin, diese Zeit auferstehen zu lassen, ihre besondere Atmosphäre einzufangen, dem Leser, beziehungsweise der Leserin, das Gefühl zu vermitteln, dabeizusein, mittendrin, in all dem Trubel, mit Vicki ins Berliner Nachtleben, auch das 'verruchte', einzutauchen, mit ihr zu tanzen bis zum Umfallen und einen Huch von der bedingungslosen Lebensfreude zu verspüren, die die Menschen damals, zwischen zwei verheerenden Weltkriegen, beseelte. Fast als würde man den kommenden Weltensturm ahnen, der Europa schon bald in Schutt und Asche legen würde....
Spannend zu lesen ist darüber hinaus die Entwicklung von Vicki Baums Karriere beim Ullstein-Verlag. Heidi Rehn gibt so interessante wie vielsagende Einblicke in die – männliche – Hierarchie des Verlages, die Art und Weise, wie solche Unternehmen arbeiten, wie Zeitungen gemacht, Autoren lanciert und auch wieder abgeschoben wurden, und wie es Vicki Baum mit Fleiß, Geschick und Können schaffte, sich in einer Männerwelt und trotz ihrer damals schon über 40 Lebensjahre – ein Fakt, den nicht nur Vicki selbst, sondern auch ihre Freundinnen, die sie unter den Kollegen rasch fand, immer wieder thematisierte, was ich ein wenig ermüdend fand – nicht nur zu behaupten, sondern auch durchzusetzen, auf ihre besondere Art!
Zudem werden wir Leserinnen Zeugen der Entstehung ihres damals für großes Aufsehen sorgenden Romans „Stud. Chem. Helene Willfüer“, in dem sie, ihrer Zeit weit voraus, Themen anschnitt, die, gelinde gesagt, heikel waren und für die die Zeit eigentlich noch nicht reif war. Entsprechend schwer taten sich die Verlagschefs auch mit der Veröffentlichung des Romans um eine, wie Vicki selbst, selbstbewusste junge Frau, die – hierin anders als Vicki – nicht nur einen Universitätsabschluss macht, sondern auch noch eine alleinerziehende Mutter ist. Dieses Buch, wie auch alle anderen Bücher der Schriftstellerin, wird nur wenige Jahre später der Bücherverbrennung der 'braunen Brut' zum Opfer fallen, genauso, wie die Autorin lange Jahre hierzulande bedauerlicherweise in Vergessenheit geraten wird.
Doch dies ist nicht Gegenstand von Heidi Rehns Romanbiographie, die an dem Punkt endet, da Vicki Baum ihren größten Triumph feiert: internationale Anerkennung mit dem beeindruckenden Buch „Menschen im Hotel“, zeitlos in seiner entlarvenden Studie der Menschen und ihrer Verhaltensmuster, das Vorlage war für den gleichnamigen berühmten Hollywoodfilm mit den damaligen Superstars Greta Garbo und den Barrymore-Brüdern. Dies nahm die österreichische Schriftstellerin jüdischer Herkunft zum Anlass, den nächsten Schritt in ihrer Karriere zu tun und mit ihrer Familie in die sie mit offenen Armen empfangenden USA auszuwandern – ein glücklicher Entschluss, denn er kam gerade zur rechten Zeit....
Überhaupt bestand, so wie ich den hier zu besprechenden Roman lese, Vicki Baums Leben aus vielen glücklichen Zufällen, wobei – Vicki überließ eigentlich wenig dem Zufall, das entsprach nicht ihrem Naturell! Sie wusste, was sie wollte, was sie konnte und wie die Ziele zu erreichen waren, die sie sich gesteckt hatte. Eine egozentrische Karrierefrau, so könnte man meinen. Doch gewährt Heidi Rehn immer wieder auch einen Blick auf die andere Seite der Vicki Baum, die sich zwar für einige Jahre von der Familie getrennt hatte, um sich selbst zu verwirklichen, wie man heute so schön sagt, doch waren Mann und Söhne ein wichtiger, vielleicht der wichtigste Teil ihres Lebens und sie nutzte jede Gelegenheit, Zeit mit der Familie zu verbringen. Von einer 'freien Beziehung' ist in dem Roman oft die Rede – sehr modern für die 20er Jahre und sicherlich auch heute noch ein Thema, an dem sich die Geister scheiden. Erstaunlicherweise aber funktionierte dieses Konzept anscheinend im Falle von Vicki und ihrem Mann. Nie verloren sie sich, immer standen sie einander zur Seite, bis zu Vickis Tod im Jahre 1960, wie man dem lesenswerten Nachwort entnehmen kann.
Offensichtlich sehr gründliche Recherchen hat die Autorin für ihren Roman rund um Vicki Baum gemacht, hierin kann ich dem Klappentext nur zustimmen. Aber - „Vor Frauen wird gewarnt“ ist in erster Linie ein Roman und als solcher immer subjektiv! Fiktion trifft Realität, vermischt sich mit ihr und kreiert etwas ganz Eigenes, ja, auch etwas Neues. Wie auch immer es in der realen Vicki Baum, eigentlich Hedwig Baum, geschiedene Prels, wiederverheiratete Lert, aussah, weiß nur sie selbst und allenfalls die enge Familie. Aber so, wie Heidi Rehn sie sieht und in ihrem Roman geschildert hat, könnte sie durchaus der Wahrheit sehr nahe gekommen sein. Von primärer Bedeutung ist das nicht, was zählt ist vielmehr, dass Rehn ihre Leserinnen die Bekanntschaft machen lässt mit einer so begabten wie disziplinierten und durchsetzungsfähigen, dabei aber auch an sich zweifelnden Frau, auf deren Werke unverdienterweise ein wenig abschätzig herabgeblickt wird, die einstmals von den Nationalsozialisten als 'Asphaltliteratur' verfemt wurden, und die sich selber einmal als 'erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte' bezeichnet hat – vielleicht mit dieser ironischen Bemerkung ihe Verletztheit über das Belächeln, die Geringschätzung ihre Werke durch die Kritikerpäpste ihrer Zeit überspielend.
Für mich ist sie eine hervorragende Autorin von exzellent geschriebener Unterhaltungsliteratur (in keinem anderen Land wird, soweit mir bekannt ist, so geringschätzig herabgeblickt auf dieses Genre, in keinem anderen Land auch macht man ein solches Gewese um den Unterschied zwischen Belletristik und Literatur), an der sich der Großteil der heutigen Schreiberlinge, die nicht mal eine ordentliche deutsche Orthographie beherrschen, ein Beispiel nehmen sollte! Es lohnt sich allemal, Vicki Baums Romane zu lesen, auch und gerade heute – und Heidi Rehns mit, so will mir scheinen, Leidenschaft und Hingabe geschriebene Romanbiographie könnte durchaus ein Anstoß dazu sein!