Hat mir sehr gut gefallen
Berlin, 1855: Wilhelm von der Heyden und sein Freund Johann Schmidt werden zufällig Zeuge einer Explosion, bei der eine Frau stirbt. Kriminaldirektor von Herford weiß als alter Freund von Wilhelms Vater ...
Berlin, 1855: Wilhelm von der Heyden und sein Freund Johann Schmidt werden zufällig Zeuge einer Explosion, bei der eine Frau stirbt. Kriminaldirektor von Herford weiß als alter Freund von Wilhelms Vater von Wilhelms Fähigkeiten und stellt ihn und den Mediziner Johann vorübergehend in den Polizeidienst ein, damit sie an dem Fall mitarbeiten können. Die Kriminalpolizei ist im Aufbau, moderne Methoden und Einstellungen sind gefragt, sowie fähige Männer, die beiden wären passende Anwärter dafür.
Besonders gut gefallen mir die Charaktere, allen voran der Protagonist, aus adeligen Verhältnisse, aber bescheiden, intelligent und loyal, mit einem Kindheitstrauma, dessen genauere Hintergründe es noch zu klären gilt, auch für ihn selbst. Johann, sein bester Freund, ist vor allem das, ein guter Freund, auf den Wilhelm sich verlassen kann. Besonders gut gefällt mir Wilhelms Zimmerwirtin, die einmal nicht alle Klischees erfüllt, sondern gut kocht, liebenswürdig ist, und sich um ihren Untermieter kümmert. Das Klischee verdient sich allerdings Johanns Wirtin, die aber keine große Rolle spielt. Sehr gut gefällt mir auch Kriminalinspektor Vorweg, dessen Vorname unbekannt bleibt, und dessen Nachname mich beim Lesen immer mal wieder verwirrt hat. Wilhelm wird ihm als Partner zur Seite gestellt, und Vorweg ist darüber als altgedienter Polizist zuerst nicht glücklich. Auch die anderen handelnden Charaktere sind gelungen gezeichnet und haben Tiefe. Natürlich treten auch einige historische Persönlichkeiten auf, für mich immer ein Genuss, vor allem wenn gut recherchiert wurde.
Und das wurde es hier allemal. Ralph Knobelsdorf bringt uns das Berlin der 1850er Jahre sehr nahe, man erfährt viel über die Politik, den Zeitgeist, die Gesellschaft – auch Gesellschaftskritisches – das Zusammenleben, und vor allem auch die Arbeit der Polizei. Im lesenswerten ausführlichen Nachwort kann man am Ende über Fakten und Fiktion lesen.
Das Verweben von Fall und Privatleben ist ebenfalls gut gelungen, schon dass Wilhelm bei der Polizei landet, hat persönliche Gründe, z. B., dass er Zeuge der Explosion wurde, aber auch, dass sein Vorgesetzter Herford ein Freund seines Vaters ist, und Wilhelm daher bereits kennt und zu schätzen weiß, ja, ihn sogar unbedingt für seine Truppe möchte. Das Private ist hier nicht vollkommen losgelöst und wirkt daher auch nicht aufgesetzt. Gleiches gilt für den historischen Hintergrund, der sehr gut integriert ist, und auch seine Rolle spielt. Vielleicht ist es dem einen oder anderen zu viel Historie und zu wenig Krimi, tatsächlich gibt es eher wenig Action und auch keine enorme Spannung, der Roman punktet tatsächlich eher mit den zwischenmenschlichen Tönen, den historischen Gegebenheiten und den Charakteren. Wer also vor allem Spannung möchte, könnte enttäuscht werden.
Vielversprechend ist der Hinweis auf dem Cover, dass es sich um Wilhelm von der Heydens erstem Fall handelt, ich hoffe und freue mich auf weitere Romane, und zwar sowohl auf die Fälle als auch auf neue Entwicklungen im Privatleben.
Für mich ist dieser Roman perfekt, er hat interessante und zum Teil liebenswerte Charaktere zu bieten, viel historischen Hintergrund und einen komplexen Fall. Sehr gerne vergebe ich volle Punktzahl und eine Leseempfehlung für Fans historischer (Kriminal)Romane.