Gebrauchsanweisung für unseren Enkel
„Ich brauche eure Hilfe, und es ist leider keine Kleinigkeit.“ (S. 7) Seit Jahren hat Billie auf so einen Anruf ihres Sohnes Jonas gewartet, seit dieser nach dem Abi nach Köln gegangen ist und den Kontakt ...
„Ich brauche eure Hilfe, und es ist leider keine Kleinigkeit.“ (S. 7) Seit Jahren hat Billie auf so einen Anruf ihres Sohnes Jonas gewartet, seit dieser nach dem Abi nach Köln gegangen ist und den Kontakt auf ein absolutes Minimum beschränkt hat. Von seiner Hochzeit haben sie und ihr Mann Thilo erst hinterher erfahren und auch ihren Enkel August in 6 Jahren nur zweimal gesehen. Doch jetzt muss Jonas, der seit einem Jahr verwitwet ist, beruflich für ein halbes Jahr nach London und August soll in seiner gewohnten Umgebung bleiben. Natürlichen ziehen sie nach Köln, schließlich haben sie seit dem Verkauf ihrer Schreinerei jede Menge Zeit. Jetzt lernen endlich ihren Enkel und die für sie etwas ungewöhnlichen Nachbarn und Freunde kennen.
Billie ist schockiert, als August sie Oma nennt. Dazu sieht sie doch noch viel zu jung aus! „Noch nie in meinem fünfundfünfzig Lebensjahren hatte mich jemand als Oma bezeichnet. Oma! Das klang grauhaarig, klein, gebückt, korpulent und senil. … Oma. Das klang wie ein Schimpfwort.“ (S. 22) Auch sonst wirbelt er ihr Leben total durcheinander. So ein Kind ist ein Vollzeitjob mit komischen Essensvorlieben („Tapfer kaute ich etwas, das nach gegrillten Frotteesocken schmeckte …“ (S. 53)) und ungewöhnlichen Hobbys. Direkt hinter Jonas Grundstück ist nämlich ein Tierfriedhof und August spielt auf den Beerdigungen im Anzug mit „Lyzinder“ Blockflöte. Die Betreiberin Elfie („… jestorben wird immer, dat is in krisensicheres Jeschäft!“ (S. 61)) und ihre Angestellte Gitta nehmen Billie und Thilo sofort unter ihre Fittiche. Plötzlich haben sie Freunde, die einfach ohne Anmeldung auftauchen und auch in Krisensituationen helfen.
Und je länger Billie in Köln lebt, desto weniger kann sie die Frage verdrängen, warum sich Jonas eigentlich von ihr entfernt, was sie ihm getan hat. Wird sie sich trauen und die Aussprache mit ihm suchen?
Billie macht eine große Wandlung durch. Nach dem Verkauf der Firma hat sie sich im Garten ausgetobt und im Chor gesungen, aber ausgefüllt hat es sie nicht. Sie hat auch nie echte Freundschaften geknüpft, weil sie als Tochter einer ledigen Mutter keine leichte Kindheit hatte. In Köln macht sie viele neue Erfahrungen (nur dem Karneval kann sie immer noch nichts abgewinne), hat plötzlich jede Menge sozialer Kontakte und Freunde, die es wirklich gut mit ihr meinen. Sie lebt – wenn auch verhalten – auf und sieht endlich klar, weil sich ihr Blickwinkel verändert hat. Bald muss sie sich der Frage stellen, ob das Leben mit Mitte 50 wirklich schon festgefahren und vorbei ist oder sie sich noch mal völlig neu erfinden kann. Und was hält sie eigentlich zu Hause in ihrem Dorf? „Verbitterte Nachbarn, ein schöner Garten, viele leere Räume und viele leere Tage.“ (S. 222)
Carla Berling ist für mich ein Garant für humorvolle Bücher mit Tiefgang. Mit viel Herz und Kölscher Schnauze schreibt sie über Frauen und Männer im besten Alter und deren Probleme. Ihre Protagonisten und auch die beschriebenen Szenen sind dabei wunderbar skurril und haben bei mir für einige Lacher gesorgt. Besonders amüsant sind die Stellen, bei denen man sich oder Mitglieder seiner Familie wiedererkennt – so wie beim Putzen bevor die Putzfrau kommt, damit es nicht so dreckig ist …
Aber auch der frühe Tod der Schwiegertochter und das Zerwürfnis zwischen Eltern und Kind passen gut in die Handlung und werden weder verharmlost noch überdramatisiert. Ihre Figuren und die angesprochenen Themen sind eben mitten aus dem Leben gegriffen.