Krimi der etwas anderen Art
Normalerweise versuche ich keine großen Erwartungen an ein Buch zu haben, denn ich möchte mich vom Inhalt überraschen und einnehmen lassen. In diesem Fall war das nicht so einfach, weil ich eine Menge ...
Normalerweise versuche ich keine großen Erwartungen an ein Buch zu haben, denn ich möchte mich vom Inhalt überraschen und einnehmen lassen. In diesem Fall war das nicht so einfach, weil ich eine Menge positiver Stimmen im Vorfeld dazu gehört hatte und dementsprechend hoch war dann doch meine Hoffnung auf ein packendes Buch geworden.
Optisch fand ich das Cover recht gelungen. Der Mann, der darauf zu sehen ist, könnte gut und gerne der Autor persönlich sein, denn die Ähnlichkeit zu diesem ist verdammt hoch.
Ich vermute, dass diese auch gewollt war, denn Pirlo, Hauptfigur und Namensgeber des Buches, hatte schon übereinstimmende Merkmale zum Autor Ingo Bott. So war nicht nur das Äußere recht gleichend, sondern sie hatten auch beide denselben Beruf. Dennoch, Pirlo blieb eine eigenständige Figur, die bestenfalls Schnittpunkte mit Ingo Bott hatte. Das gesplittert wirkende Cover fand ich ein bisschen verwirrend, was genau das aussagen sollte, kann ich im Grunde nicht wirklich sagen. Dennoch, ansehnlich ist der Einband allemal und es kommt ja ohnehin eher auf den Inhalt an.
Und auf den komme ich jetzt zu sprechen. Ich habe wirklich lange für die Rezension gebraucht, weil ich einfach nicht wusste, was ich schreiben sollte. Auf der einen Seite mochte ich das Buch und den interessanten Schreibstil, der teilweise sehr frech und rotzig daherkam. Zudem mischte sich immer eine Spur Humor darunter und wurde wild mit allerlei Anwalt Gequatsche garniert. Gut, das machte die Atmosphäre lebendig und auch glaubwürdig, schrammte für mich aber manchmal auch haarscharf an der Langeweile vorbei. Dann wiederum gab es einen stakkatoartigen Schreibstil, der das Geschehen vorantrieb und wieder Spannung reinbrachte.
Ich muss gestehen, dass ich den Handlungsaufbau verwirrend fand. Die Geschichte wurde in Teile aufgeteilt, welche zwar den aktuellen Handlungsmonat verrieten, aber dennoch zwischendurch mal einen Schlenker in die Vergangenheit nahmen. Dann las ich also mal von Ereignissen im September, nur um dann plötzlich im Juli auf andere Erlebnisse zu stoßen. Es nervte mich, weil ich dann den Faden verlor und mich fragte, warum das nicht hätte anders aufgebaut sein können. So musste ich mich immer extrem auf die Kapitelanfänge konzentrieren, die mir zum Glück nicht nur das Thema des Kapitels, sondern auch den jeweiligen Tag und manchmal auch die Tageszeit dazu verrieten.
Aber auch die Handlungsstränge machten mich nicht durchgängig glücklich. Es gab zwei prägnante, nämlich die von Anton Pirlo und seiner Partnerin Sophie Mahler. Dank des auktorialen Erzählers konnte ich beiden folgen und erfuhr so mehr über ihre Arbeit als Strafverteidiger und ihren Kampf, den Fall für ihre Mandantin zu gewinnen.
Doch dann mogelte sich noch der Erzählfaden rund um Pirlos Vergangenheit und seine Familie dazu. Plötzlich riss mich Ingo Bott aus dem Strafprozess und schubste mich mitten in verbrecherische Strukturen, in denen der Khatib-Clan eine Menge Ärger hat. Und wenn der Clan Probleme hat, hat es Pirlo nämlich auch. Denn ob er will oder nicht, er gehört da irgendwie dazu, ist schließlich seine Familie. Also gab es dann eine Menge „Yalla“ und teilweise illegale Aktionen und ich fragte mich „Warum?“. Ehrlich, diesen Handlungsstrang hätte es meiner Meinung nach einfach nicht geben müssen, ich fand ihn oft einfach nur anstrengend nervtötend, bis vielleicht kurz vorm Showdown. Wobei ich da aus dem Augenrollen auch irgendwie nicht herauskam, weil das alles schon ziemlich weit hergeholt und stümperhaft umgesetzt wirkte. Vom Khatib-Clan wohl gemerkt.
Möglicherweise brauchte es den Handlungsstrang, damit der Strafprozess nicht staubig langweilig wirken sollte, was er aber an sich gar nicht tat. Ich fand das Drumherum nämlich ganz interessant. Außerdem war das mal ein ganz anderer Blickpunkt. Hier war das Verbrechen schon geschehen, die Täterin verhaftet und kurz vor der Verurteilung. Doch wie sollen das Anton Pirlo und Sophie Mahler abwenden, wenn der Fall für die Polizei doch schon sonnenklar ist? Eben das war wirklich spannend zu lesen und faszinierte mich. Bis zum Schluss blieb unklar, wie der Fall enden würde und der Showdown im Gerichtssaal, ja, der war richtig gut. Der entschädigte mich wahrlich für meine Kritikpunkte und ich war schlussendlich froh über diese gelungene Wendung.
Zu erwähnen sind dann jetzt nur noch die Figuren im Buch, die allesamt unterschiedliche Charaktere waren. Den einen mochte ich mehr als den anderen, aber sie alle brachten Leben in die Geschichte und sorgten dafür, dass es schon sehr real wirkte. Gut, manchmal bemühte Ingo Bott recht häufig die Klischeeschubladen. Armes polnisches Mädchen, Prosecco schlürfende High Society und drogendealende Libanesen.
Dafür blieb Pirlo für mich immer ein bisschen undurchschaubar. Mal war er vom Benehmen her ein echter Vollidiot, dann wiederum sehr verständnisvoll und mit einer spannenden Mischung aus Weitsicht und Eloquenz gesegnet.
Große Sympathiepunkte bekam Sophie Mahler bei mir, die ich wirklich gern hatte. Manchmal durfte ich einen Blick auf ihre Vergangenheit und die familiären Verhältnisse erhaschen und war dann insgeheim froh, dass sie eine so unkomplizierte und angenehme Persönlichkeit war. Besonders mochte ich ihren Willen für ihre eigenen Wünsche und Träume einzustehen.
„Pirlo – Gegen alle Regeln“ ist das Debüt von Ingo Bott und der Beginn einer neuen Reihe rund um den Strafverteidiger Pirlo. Der Fall, den der Anwalt verhandelte, ist in sich abgeschlossen, ließ jedoch Raum für Spekulationen über den nachfolgenden Band. Das Ende war nämlich halb offen und schloss mit einer Signalfrage ab, die mich auf jeden Fall neugierig auf die Fortsetzung machte.
Fazit:
Wer gerne mal an einer Gerichtsverhandlung aus Sicht eines Strafverteidigers teilnehmen möchte, der findet hier einen gelungenen Krimi der etwas anderen Art.