Ein spannender Kriminalfall und ein brillantes Bild der Zeit des Vormärz - wundervoll geschrieben
Zwei reale Schicksale bilden die Grundlage für Ella Theiss‘ neuen historischen Roman, der im Großherzogtum Hessen-Darmstadt in der Biedermeierzeit spielt. Da ist zum einen der arme Holzräuber und Wilderer ...
Zwei reale Schicksale bilden die Grundlage für Ella Theiss‘ neuen historischen Roman, der im Großherzogtum Hessen-Darmstadt in der Biedermeierzeit spielt. Da ist zum einen der arme Holzräuber und Wilderer Jacob Trumpfheller, der des Mordes an einem gräflichen Förster verdächtigt und ins Gefängnis geworfen wird. Sein Schicksal verknüpft die Autorin hier in gewisser Weise mit dem der Familie Büchner, deren Sohn Georg verbotene Schriften publiziert hat und aus diesem Grund bespitzelt wird. Im Roman lernt man die so grundverschiedenen Lebenssituationen der beiden Männer kennen, denn Trumpfheller lebt in bitterer Armut und hat eine Familie zu versorgen. Dies gelingt ihm mehr schlecht als recht und nur, indem er das Gesetz missachtet und verbotenerweise im Wald Holz schlägt und wildert. Obwohl ihm der Mord an dem toten Förster nicht nachzuweisen ist, wird er für schuldig erklärt.
Georg Büchner wiederum stammt aus einer Arztfamilie und wächst, zusammen mit seinen Geschwistern, sehr behütet und in Wohlstand auf. Im Gegensatz zu Jacob genießt Georg eine gute Bildung und widmet sich seinem Studium. Aber trotz oder vielleicht gerade wegen seiner privilegierten Situation widmet er sich immer mehr den Interessen der Ärmsten und setzt sich für politische Freiheit und Menschenrechte ein.
Man begegnet in diesem Roman einigen sehr interessanten Persönlichkeiten, die zum Teil fiktiv sind, aber auch realen Personen wie Luise Büchner, Georgs kleiner Schwester, die sich später als Frauenrechtlerin und Autorin für Freiheit, Gleichberechtigung und Berufsbildung ihrer Geschlechtsgenossinnen einsetzt.
Auch wenn die Handlung fiktiv ist, so fließen doch sehr viele reale Begebenheiten und Tatsachen mit ein, und man bekommt einen aufschlussreichen Blick auf diese bewegte Zeit des Vormärz. Wo die Grenzen zwischen Realität und Fiktion liegen, erklärt die Autorin in ihrem ausführlichen Nachwort.
Eine erfundene und sehr liebenswerte Protagonistin ist Anna, die als Hausmädchen bei den Büchners in Darmstadt arbeitet. Gerade aus ihrer Sicht wird ein wesentlicher Teil der Handlung geschildert. Sie kennt Jacob Trumpfheller von früher und glaubt an seine Unschuld aber kann sie die auch beweisen, wenn sie sich zu diesem Zweck mit dem Journalisten Oscar verbündet? Durch ihren Schützling Luise Büchner kommt auch Anna mit den so genannten Blaustrümpfen in Kontakt und beginnt, von einer besseren Zukunft zu träumen.
Meist verknüpft man die Biedermeierzeit mit einer gewissen Gemütlichkeit aber auch ein wenig mit Spießertum und Kleingeistigkeit. Dass es zu dieser Zeit auch Armut und Unterdrückung gab und sich unterschwellig eine ganz andere Bewegung breit machte, lässt sich im Roman ganz klar erkennen. Hier hat man die Gelegenheit, hinter die sauber polierte Fassade dieser Aera zu schauen und dahinter auch die negativen Seiten dieser Zeit zu sehen.
Neben der spannend erzählten Handlung bietet die Geschichte auch jede Menge an Wissen über die damalige Zeit und ihre Menschen. Immer wieder sind Original-Zitate, beispielsweise aus Artikeln des Hessischen Landboten, aus Aufzeichnungen des Untersuchungsrichters oder aus Vorträgen Luise Büchners, in die Handlung eingefügt und ergänzen das Bild sehr ausführlich.
Ella Theiss schreibt wunderbar lebendig und bildhaft, so dass man stets ganz nah‘ bei der Handlung ist und sich bestens in die verschiedenen Situationen hinein versetzen kann. Ihre exzellenten Schilderungen sind ein wahrer Lesegenuss. Auch der Titel „Darmstädter Nachtgesänge“ kommt nicht von ungefähr, und wer gerne wissen möchte, was es damit auf sich hat, dem kann ich nur ans Herz legen, den Roman zu lesen.
Betonen möchte ich hier auch die großartige und stimmungsvolle Covergestaltung durch Tilla Theiss, die Tochter der Autorin.