Welch ein Glück!
Ich habe drei Kinder, die ich unfassbar toll finde und über die ich oft und gerne mit meinem Mann spreche. Versuche ich, mir eine Vorstellung vom Alleinerziehendsein zu machen, ist es das, was mir am Schlimmsten ...
Ich habe drei Kinder, die ich unfassbar toll finde und über die ich oft und gerne mit meinem Mann spreche. Versuche ich, mir eine Vorstellung vom Alleinerziehendsein zu machen, ist es das, was mir am Schlimmsten vorkommt, am Traurigsten - der Verlust ebendieser gemeinsamen Schwärmerei, des Alltags mit dem einzigen Menschen auf dieser Welt, der meine Kinder genauso sieht wie ich, subjektiv, durch den Schleier der Liebe. Elizabeth Strouts neuer Roman hat mir nun ein
bisschen den Kopf gewaschen und mich davon überzeugt, dass eine Verbundenheit über die Ehe hinaus möglich ist, Fürsorge für die Kinder und Achtung füreinander an der Distanz vielleicht sogar wachsen, eine neue Art von
Beziehung entstehen kann - weniger belastet, leichter, vertraut und doch unabhängig
„Oh, William!“ ist das Portrait einer gescheiterten Ehe und einer innnigen Freundschaft. Der im Titel schon ironisch mitschwingende, einmal zärtliche, einmal spöttische Blick auf einen Mann, der eine Ehefrau nach der anderen mit seiner Treulosigkeit vertrieben hat, und sich nun, im Alter von 70 Jahren und von seiner dritten Frau verlassen, endlich seinen Ängsten stellt, einen Roadtrip in die Vergangenheit wagt - mit seiner ersten Frau Lucy an seiner Seite. William ist der titelgebende Held und doch ist es Lucy Barton, bereits aus zwei anderen Romanen Strouts bekannt, deren innere Haltung und Stärke mir in Erinnerung bleiben wird, die nicht an einem Platz dieser Welt verortet ist, sondern einfach in sich selbst ruht.
Strouts mehrfach ausgezeichnetes Werk zeichnet sich durch diesen ganz besonderen, empathischen Blick auf die Menschen und ihr Leben aus, den tiefen Wunsch, sie zu verstehen und denen eine Stimme zu geben, die keine haben. Egal ob fest mit beiden Beinen im Leben stehend wie Olive Kitteridge, oder entwurzelt wie Lucy Barton - ihre Figuren sind real, so sehr aus dem Leben gegriffen, dass die Autorin selbst keine Kontrolle über sie hat. Sie erscheinen ihr nach Lust und Laune und lassen sich nicht abschütteln, wie die Autorin letzte Woche sehr charmant in Hamburg zum Besten gab, bis sie sie auf Papier gebannt hat. Welch ein Glück!