"Das Versprechen, dich zu finden" von Anne Youngson erschien 2018 (HC, gebunden) im HarperCollins Verlag Germany (O-Titel "Meet Me at the Museum", was ich hier viel treffender finde) und wurde von Wibke Kuhn vom Englischen ins Deutsche übersetzt.
Es handelt sich um den Debutroman der englischen Autorin, deren Lebenslauf mich ebenso sehr beeindrucken konnte wie ihr außergewöhnlicher, sensibler, emotionaler und tiefgehender Roman, der über gewählte Lebenswege in der Weise erzählt, dass er "Porträts in Worten" gleicht: Für mich das erste Lesehighligt 2019! (Trotz voller Punktezahl kleine Kritik an den Verlag, die nichts mit dem Inhalt des Romans zu tun hat: Weder Cover noch Titel passen sonderlich gut zu diesem unglaublich schönen und wundervoll geschriebenen Roman).
Die "Schlüsselfigur" dieses Romans in Briefform ist der Tollund-Mann; eine über 2000 Jahre alte Moorleiche, die ihren gewaltsamen Tod fand und erst in den 1950er Jahren in Dänemark entdeckt wurde: Der Brief von Tina Hopgood an den Direktor des Museums, in dem der Tollund-Mann zu sehen ist und der ein Buch über ihn schrieb, kommt nicht bei dem Verfasser des Sachbuchs, einem Prof. Glob an, sondern beim Kurator des Museums: Anders Larsen. Das Interesse Tinas, inzwischen Anfang 60, gründet darauf, den Tollund-Mann, der sie durch seinen Gesichtsausdruck seit Jugendzeiten sehr beeindruckt hat, gerne einmal persönlich sehen zu wollen. Dieser Gedanke kam ihr bereits zu Schulzeiten und sie beschloss damals gemeinsam mit einer inzwischen verstorbenen Freundin, sich von England aus (sie ist inzwischen Farmersfrau in Bury St. Edmonds/Suffolk) auf die Reise von Silkeborg in Dänemark zu begeben - leider ist dieser Plan nie in die Tat umgesetzt worden...
Durch diese nie angetretene Reise beginnt eine Brieffreundschaft zwischen dem Kurator, Anders - und Tina, die nach und nach sehr persönliche Formen annimmt und deren Inhalte für den Leser einen Genuss und eine Bereicherung darstellen: Beide leben vollkommen unterschiedliche Leben, stellen jedoch fest, dass beide in einer Phase sind, darüber zu reflektieren, "was gewesen wäre, wenn...." sie andere Optionen gewählt hätten, andere Lebenspläne, ja gar Lebensträume verwirklicht hätten. Sie stellen fest, dass jeder an "so mancher Himbeere, die zu pflücken gewesen wäre", vorbeiging - und so manches Farnblatt, das sich gerade entrollte, von ihnen übersehen wurde: Diese Metaphern für Verpasstes, das eventuell doch noch nachgeholt werden kann, empfand ich als grandios. Der Schreibstil der Autorin, der sehr gefühlvoll und warmherzig, aber niemals ins Triviale oder Seichte abgleitet, hat mir sehr gut gefallen. Die Protagonisten waren mir beide überaus sympathisch und besonders die Ehrlichkeit in ihren Briefen, das "genaue Hinhören", denn Briefe sind immer auch Einladungen zum Gespräch, das Zurate ziehen der Meinung des jeweils anderen in bestimmten Lebenssituationen war einfach nur schön - und eben sehr hart an der Lebensrealität - zu lesen.
Über den Inhalt möchte ich nicht viel verraten, denn Tina und Anders haben es verdient, von vielen LeserInnen selbst entdeckt zu werden: Eine Vielzahl wundervoller Sätze, die auch einer gewissen Lebensreife entspringen, wandern in mein "Buch der schönsten Sätze". Sicher hat mich dieser Roman auch überzeugen können, da ich einen engen Bezug zum Schreiben von Briefen habe (ich schreibe selbst sehr gern) - und eben im gleichen Lebensalter bin wie Tina und Anders. Es geht um Freundschaft, um Vertrauen und um die Thematik, dass es im Grunde immer möglich ist, sein Leben zu ändern - und auch neu anzufangen, da "nichts in Stein gemeißelt" ist. Diese (wahre) Botschaft des Romans finde ich sehr positiv - und auch ermutigend.
Fazit:
Ein literarisches Kleinod und für mich ein Lesehighlight 2019. Ein Roman in Briefen mit zwei wundervollen, authentischen Menschen, die eine briefliche Freundschaft mehr und mehr intensivieren und sich immer mehr annähern: Wer weiß, vielleicht treffen sie sich am Ende ja wirklich "am Museum" - um sich gemeinsam die Geheimnisse des Tollund-Mannes anzusehen?
Mit einem Chapeau für Anne Youngson für Inhalt und Schreibstil vergebe ich 5* und eine klare Leseempfehlung!