1918 Weimar. Die 19-jährige Klara Heidemann ist Feuer und Flamme für ihren Verlobten, den Arzt Fritz Faber. Sie kann es gar nicht mehr erwarten, ihn zu heiraten. Als Fritz von Weimar nach Berlin umzieht, sieht Klara ihre große Chance gekommen, endlich ihren Wunsch nach Reisen und Unabhängigkeit zu stillen. So macht sie sich allein auf die Fahrt zu Fritz nach Berlin, wo sie erst einmal bei seinem Onkel in einer spartanischen Behausung unterkommt. Aber Berlin fasziniert Klara, an jeder Ecke entdeckt sie etwas neues, alles ist so anders und aufregend als in ihrer Heimat Weimar. Schon bald hat sie eine Stelle bei einer Frauenzeitung und lässt sich nebenbei von der bunten Künstlerszene verführen. Das geht auch an Klara nicht spurlos vorüber, sie verändert sich zusehends…
Joan Wenig hat mit “Amalientöchter” einen historischen Roman vor der Kulisse des Berlins nach dem ersten Weltkrieg vorgelegt, der ganz unterhaltsam ist und zudem das damalige Bild der Frau gut widerspiegelt. Der Schreibstil ist locker-flüssig und macht die Geschichte mit Einschüben von Berliner Mundart authentisch. Der Leser wird mit den ersten Zeilen in das vergangene Jahrhundert katapultiert, um sich dort unsichtbar an Klaras Fersen zu heften, sie bei ihrer Reise zu folgen und die aufregende Zeit im alten Berlin mitzuerleben. Die Autorin lässt den Leser nicht nur an der schwierigen Nachkriegszeit teilhaben, wo die Menschen noch großen Entbehrungen ausgesetzt waren und die gesellschaftlichen Regeln und Normen gerade bei Frauen noch ganz andere waren als heute, sondern webt auch den historischen und politischen Hintergrund in ihre Geschichte ein. Damals waren allen dazu angehalten, die Ärmel hochzukrempeln und mit anzufassen. Viele Frauen haben dies zum Anlass genommen, sich auf eigene Füße zu stellen, obwohl das allgemeine Bild immer noch so war, dass Frauen hauptsächlich für Haushalt, Mann und Kinder zuständig waren. Frauen, die einem Beruf nachgingen und sich emanzipierten, waren dagegen bunte Paradiesvögel, die manchmal auch einen schrägen Blick kassierten. Doch die Zeit war damals noch nicht wirklich reif für sie.
Die Charaktere sind vielfältig gestaltet und wissen mit ihren individuellen Eigenschaften zu überzeugen, da sie Authentizität besitzen. Der Leser kann sich gut in die einzelnen Protagonisten hineinversetzen. Klara ist wohlbehütet aufgewachsen. Es drängt sie in die Welt, in der sie etwas bewirken kann. Durch ihren Aufenthalt in Berlin wird sie immer selbständiger und auch selbstbewusster. Das anerzogene “Korsett”, nur Ehefrau und Mutter zu sein, genügt ihr nicht. Sie hat große Pläne, doch am Ende muss sie Kompromisse machen. Fritz ist zu Beginn ein recht fortschrittlich denkender Mann, was Klara sehr entgegenkommt in ihrer Entwicklung. Aber dann macht er Rückschritte, die ihn von Klara entfernen. Kiki ist eine Berliner Pflanze, die Klaras Horizont erweitert und sie mit dem Nachtleben der Stadt bekannt macht. Aber auch Protagonisten wie Max bereichern die Geschichte.
“Amalientöchter” ist ein historischer Roman, der das alte Berlin und die damalige Zeit gut widerspiegelt sowie die Entwicklung einer jungen Frau begleitet. Nett geschrieben und unterhaltsam, mehr aber leider nicht.