Hoffnung, Mut und Zuversicht, was auch immer kommen mag
Seit ein paar Jahren begleitet mich die Kashmir-Saga nun bereits. Der erste Band, „Das Haus des Friedens“, hat mich seinerzeit bewegt, wie nur wirklich gute und mitreißende Bücher es vermögen. Die so sympathischen, ...
Seit ein paar Jahren begleitet mich die Kashmir-Saga nun bereits. Der erste Band, „Das Haus des Friedens“, hat mich seinerzeit bewegt, wie nur wirklich gute und mitreißende Bücher es vermögen. Die so sympathischen, wie auch facettenreichen Protagonisten ins Herz zu schließen, war leicht, ihrem Werdegang und ihren Schicksalen zu folgen immer wieder ein emotionales Abenteuer. Nie war es einfach, sich nach Beendigung der sechs Vorgängerbänden von ihnen und dem wunderschönen, vom Unheil verfolgten Kashmir-Tal an den Ausläufern des Himalaya, seit Jahrzehnten Spielball politischer Interessen unterschiedlicher Staaten, in dem die Saga, nehmen wir einmal den zweiten Band aus, zum Großteil angesiedelt ist, zu trennen. Doch der nächste Band würde ja folgen...
„Der Strom des Lebens“ nun bedeutet den endgültigen Abschied, bedeutet das Ende einer so bunten wie gefahrvollen und oft genug aufwühlenden, den Atem stocken lassenden, immer tief berührenden Geschichte, in der man sich verlieren, die einen alles um sich herum vergessen machen kann, denn zu ihr in Distanz zu treten ist kaum möglich. Die beiden Autorinnen, Simone Dorra und Ingrid Zellner, erzählen ihre Saga unglaublich gut, lebendig, schlüssig, stets nachvollziehbar, voller berauschender Phantasie - und ganz offensichtlich mit großer Lust am Fabulieren. Und dies durchgängig! Eine Buchreihe, die keine Schwächen aufweist und genau aus dem Stoff gemacht ist, aus dem die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht oder das unvergessliche Epos „Palast der Winde“ oder sogar, um auf einen anderen Kontinent überzuwechseln, „Vom Winde verweht“ und die „Louisiana-Trilogie“ gewebt sind – exotisch, abenteuerlich, gefährlich, tragisch-traurig, dabei heiter, romantisch und zum Weinen schön!
Im Abschlussband der Kashmir-Saga, der bereits in der Zukunft spielt, über die man freilich nur spekulieren kann, die aber meines Erachtens und in Kenntnis der eigentlich seit Jahren unverändert angespannten bis geradezu dramatischen Situation in dem Land zwischen den Mächten – die übrigens immer wieder auch in den sieben Bänden der Saga thematisiert wird - durchaus realistisch erscheint, begegnen die Hauptfiguren, Vikram und Sameera Sandeep und Raja Sharma, dem Leser in nunmehr fortgeschrittenem Alter, doch unverändert idealistisch, tatkräftig und trotz der Prüfungen, die sie die Autorinnen haben erleiden und, mit unübersehbaren Blessuren an Körper und Seele, bestehen lassen, keinesfalls gebrochen, nicht wirklich müde geworden und nach wie vor voller Hoffnung, was ihr Herzensprojekt, das Waisenhaus Dar-as-Salam, dem seine schwersten Zeiten noch bevorstehen sollen, zum einen und die Zukunft ihrer so gefährdeten Heimat, immer wieder bedroht von Anschlägen fanatischer Fundamentalisten oder schlichtweg Terroristen, anbelangt.
Was sich am Ende des direkten Vorgängerbandes, „Flug mit dem Wind“, bereits abzeichnete, die Übergabe des Waisenhauses in jüngere Hände, ist im hier zu besprechenden letzten Band bereits vollzogen: Eines der von Vikram ins Dar-as-Salam geholten und von ihm und seiner Frau Sameera voller Liebe, Verständnis und Toleranz aufgezogenen Waisenkinder erweist sich als der beste Nachfolger, den Vikram sich nur wünschen konnte. Sein Lebenswerk ist in guten Händen – und eigentlich könnte er sich nun zurücklehnen und, gemeinsam mit Ehefrau und Freund, die Früchte seines Schaffens genießen! Oder etwa doch nicht?
Wer, wozu ich nur raten kann, die sechs Vorgängerbände gelesen hat, hat mehr als nur eine Ahnung von dem, was Vikram und die Seinen erwartet, weiß gar schon zu Beginn der Lektüre, an dem sich bereits dunkle, regelrecht rabenschwarze Wolken am Horizont abzeichnen, dass das, was da kommt, das Leben aller im Dar-as-Salam verändern könnte! Natürlich werden Vikrams immer noch zahlreiche Feinde keine Ruhe geben, selbstverständlich werden sie sich Perfides einfallen lassen, um dem Helden, dem nunmehr alt und grau gewordenen Löwen, der bereits so viele Gefahren gemeistert hat, das Leben schwerzumachen oder ihm sogar das Lebenslicht auszublasen.
Das Verhängnis, so fürchtet man, wird wohl unaufhaltsam seinen Lauf nehmen, obwohl die Autorinnen ihre Leser durch immer wieder eingestreute längere oder kürzere Passagen unbeschwerter Freude und des Friedens, oft gewürzt mit dem liebenswürdigsten Humor, ablenken von dem Bösen, das sich da im Hintergrund zusammenbraut – und das dann unvermittelt, scheinbar ohne Vorwarnung, hereinbricht auf die Protagonisten und ihre Familien. Gerade letzteren, vor allem den längst erwachsenen Ziehkindern der Sandeeps, kommt in „Der Strom des Lebens“ eine gewichtige Rolle zu, quasi eine Fortführung dessen, was in Band Sechs seinen Anfang genommen hatte. Wir lernen sie immer besser kennen, die so unterschiedlichen Ziehgeschwister, verfolgen ihren Lebensweg mit großer Anteilnahme, teilen den Stolz ihrer Eltern auf das, was sie aus sich gemacht haben, genauso wie deren Verzweiflung, wenn sich ihr Schicksal auf eine nicht erwartete, tragische Weise erfüllt.
„Der Strom des Lebens“! Der Titel, den das Autorenduo seinem Schwanengesang zugewiesen hat und der nicht besser hätte gewählt sein können, durchzieht den Roman genauso, wie es diejenigen seiner jeweiligen Vorgänger getan haben. Der Strom des Lebens ist unaufhaltsam, er steht nicht still, fließt immer weiter, bringt Veränderungen, bringt Glück, ebenso wie Leid; er reißt die Menschen, die sich in seinen Strömungen verfangen und aufgeben, mit – und trägt doch die Hoffnung auf Zukunft in sich, wenn man sich seinen Untiefen nicht ergibt, wenn man sich trotz aller tiefer und tiefster Täler, durch die man sich gerungen hat, nicht zerstören lässt, wenn man, wie die Protagonisten in Simone Dorras und Ingrid Zellners Kashmir-Saga, seinen mannigfaltigen Feinden ein „dennoch“ entgegensetzt, ihnen signalisiert, dass sie sich nicht beugen werden, was immer sie auch versuchen mögen, und dass weder Gewalt, noch Mord, noch Terror die Oberhand behalten werden!
Eine gewaltige Botschaft! Eine, die den würdigen Abschluss der Kashmir-Saga bildet, dieses Liedes der Hoffnung, dessen Melodie aus Freundschaft, Solidarität, Liebe und Treue gewoben ist und die noch lange in den Lesern nachklingt. Unvergesslich und ihresgleichen suchend!