REZENSION – Die Hafenstadt Triest ist nicht zum ersten Mal Schauplatz eines Romans des österreichischen Schriftstellers Christian Klinger (56), der nach Verlagsangabe seit 2017 dort seinen Zweitwohnsitz hat. Bereits in „Blutschuld“ (2017), dem vierten Fall seines Wiener Ermittlers Marco Martin, sowie in der Familiensaga „Die Liebenden von der Piazza Oberdan“ (2011) machte Klinger die Stadt an der Adriaküste zum Ort der Handlung. In seinem kürzlich im Picus Verlag veröffentlichten Roman „Ein Giro in Triest“, Auftakt zu einer historischen Krimireihe, widmet sich Klinger allerdings vollends der heutigen Hauptstadt der italienischen Region Friaul-Julisch Venetien, die über 500 Jahre zum österreichischen Kaiserreich gehörte und erst 1918 zu Italien kam.
In seinem Triest-Krimi geht der Autor in diese letzte Phase der von Österreichern, Italienern, Slowenen und anderen Nationalitäten besiedelten habsburgischen Hafen- und Handelsstadt zurück und lässt seinen jungen Inspektor Gaetano Lamprecht im Jahr 1914 im Umfeld von Monarchisten, nationalistischen Italienern (Irredentisten) und der italienisch-slawischen Unterwelt ermitteln. Schon der italienisch-deutsche Name des Inspektors der Triester Polizei zeigt dessen eigene gespaltene Identität, ist doch sein Vater ein Österreicher und die Mutter eine Italienerin. Scheint es Gaetano Lamprecht anfangs nur mit einem vorgetäuschten Selbstmord eines Soldaten zu tun zu haben, wandelt sich Klingers Roman bald von einem historischen Krimi in einen interessanten Politkrimi, der die politisch brisante Situation in der Vielvölkerstadt aufzeigt: Gerade sind der österreichische Thronfolgerpaar, Erzherzog Franz Ferdinand und seine Ehefrau Sophie, am 28. Juni 1914 in Sarajewo von Gavrilo Princip, einem Mitglied der serbisch-nationalistischen Bewegung Mlada Bosna, ermordet worden. Die Särge des Paares sollen über Triest nach Wien gebracht werden. Doch jetzt drohen Nationalisten mit der Entführung der Särge, was Gaetano verhindern soll. In einem Netz aus Verschwörungen und Korruption gelingt es dem noch jugendlich-forschen und gelegentlich auch unüberlegt handelnden Kriminalisten nur mühsam, die Verschwörer zu entlarven und letztlich dadurch auch seinen Mordfall zu lösen.
Der Soldatenmord und die Jagd nach den Särgen des Thronfolgerpaares geben dem historischen Roman allerdings nur einen Handlungsrahmen, weshalb in „Ein Giro in Triest“ auch keine rechte Spannung aufkommen will. In erster Linie schildert das Buch die schwierige Situation in Triest im politischen wie gesellschaftlichen Umgang mit und zwischen den Bewohnern so unterschiedlicher Nationalitäten, die jede für sich um ihre Rechte und Anerkennung kämpft. Doch diese komplexe Vielfalt beschreiben zu wollen, lähmt zwangsläufig den Handlungsablauf und nimmt dem Krimi die Spannung.
Mag die geschichtliche Recherche dem Autor gelungen sein, was nur Historiker beurteilen können, übertreibt der Autor allerdings dann, wenn er der Handlung wieder zu mehr Spannung verhelfen will: Es ist doch wenig glaubhaft, wenn sein junger Inspektor, so gelenkig und sportlich dieser als trainierter Radrennfahrer auch sein mag, auf offener See ein Kriegsschiff in voller Fahrt nur mit Hilfe eines herabgelassenen Taus entert. Auch die nachfolgende Handlung an Bord scheint kaum glaubwürdig, langweilt zudem in ihrer Detailfreudigkeit.
In seiner Danksagung nennt Autor Klinger ausdrücklich seinen Schriftsteller-Kollegen und Landsmann Günther Neuwirth (55) als Ratgeber. Dieser hat mit seinen beiden historischen, nur wenige Jahre früher in Triest spielenden Krimis „Dampfer ab Triest“ (2021) und „Caffè in Triest“ (2022) mit dem galanten Ermittler Bruno Zabini die Messlatte hochgelegt. Wird man nun von Klinger selbst zum Vergleich gezwungen, muss man feststellen, dass sein „Giro in Triest“ für sich allein betrachtet sich zwar gut lesen lässt, doch gegenüber Neuwirth stilistisch und atmosphärisch noch ein Stück aufzuholen hat.