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Ich bin nicht da – Lize Spit
Die breite Palette psychischer Störungen ist auch heute noch unberechenbar und mit Angst und Ablehnung behaftet. Lize Spit, die ja bereits für schockierende, unbequeme Romane ...
Ich bin nicht da – Lize Spit
Die breite Palette psychischer Störungen ist auch heute noch unberechenbar und mit Angst und Ablehnung behaftet. Lize Spit, die ja bereits für schockierende, unbequeme Romane bekannt ist, setzt in diesem großen, beklemmenden Roman genau hier an. Herausgekommen ist ein schonungslos offenes Werk – etwas ganz Besonderes.
Die Beziehung zwischen Leo und Simon ist sehr innig beinahe symbiotisch. Beinahe wieder Willen kommt man als Leser den beiden und ihren Eigenheiten sehr nah – fast zu nah. Eins ist klar: Es ist eine riesige Liebe zwischen den beiden und eine große Abhängigkeit voneinander. Darüber hinaus gibt es nur wenige Menschen, die ihnen etwas bedeuten. Und nun kommt Simon eines Tages nach Hause und ist völlig verändert. Er hat sich ein Tattoo stechen lassen und ist völlig aufgedreht. Dieser Zustand verbessert sich nicht, im Gegenteil, es wird immer schlimmer. Simon schläft kaum noch, steigert sich in irrwitzige Ideen, entwickelt sogar eine Paranoia. Er rutscht in eine ausgewachsene Manie, aus der er sich nicht mehr befreien kann. Und Leo ist die klassische Co-(Abhängige?) Partnerin. Sie unterstützt, sorgt sich, vertuscht und lügt für ihren Freund. Was sie vor lauter Übermüdung übersieht, ist die Katastrophe, die sich gerade anbahnt.
Dies ist einer der Handlungsstränge, nämlich die Vergangenheit. Beschrieben wird die Beziehung und das Auftreten, die Entwicklung von Simons Psychose. In wesentlich kürzeren Abschnitten wird aus der daraus resultierenden Gegenwart erzählt, in der der panischen Leo noch 11 Minuten bleiben um eine Katastrophe zu verhindern. Diese beiden Zeitachsen nähern sich einander langsam an und erzeugen dabei eine beinahe unerträgliche Spannung.
Ich-Erzählerin ist Leo und das ist großartig gemacht, auch wenn ich Leo fast zu aufopferungsvoll und leidenswillig fand. Dennoch wirkt sie so authentisch und ihr Verhalten von innen gesehen absolut nachvollziehbar.
Vielleicht muss man persönliche Erfahrungen mit psychischen Krankheiten haben, oder sich einfach sehr für das Thema interessieren. Denn der Mammutteil dieses Romans beschäftigt sich mit der Wesensveränderung Simons, den Auswirkungen auf Leo und diversen, wenig erfolgversprechenden Medikationen – fast 600 Seiten lang. Vermutlich muss man das mögen. Ich fand es genial und absolut faszinierend, auf eine negative Art und Weise. Tatsächlich gibt es grausame Szenen, eine unglaubliche Bedrohung liegt das ganze Buch über in der Luft – Lize Spit beherrscht das virtuos. Obwohl ich manchmal die Augen zukneifen wollte, konnte ich den Roman kaum zur Seite legen und das Gelesene hat mich auch darüber hinaus intensiv beschäftigt. Es ist eine besondere Art von Horror, zusehen zu müssen, wie sich der geliebte Mensch unwiderruflich verändert. Die Autorin bringt das hervorragend rüber, mit allen Konsequenzen.
Eine Ausnahmeautorin und ein Roman, der mich extrem berührt und beschäftigt hat. Eins meiner Jahreshighlights 2022.
Natürlich 5 Sterne – kürzer ging das leider nicht….