Sophie, Hauke und ich im historischen Hamburg...
Lang erwartet und endlich erschienen: Anja Marschalls 5. Band der Krimireihe um Hauke Sötje und seine Frau Sophie „Der Henker von Hamburg“. Gleich vornweg: man kann jedes Buch der Reihe einzeln lesen, ...
Lang erwartet und endlich erschienen: Anja Marschalls 5. Band der Krimireihe um Hauke Sötje und seine Frau Sophie „Der Henker von Hamburg“. Gleich vornweg: man kann jedes Buch der Reihe einzeln lesen, es sind in sich abgeschlossene Fälle. Aber ich persönlich nehme regen Anteil am Privatleben der Familie Sötje – vom Kennenlernen der beiden bis jetzt als Eltern der bald 2-jährigen Henriette – und da hilft natürlich die Reihenfolge!
Hamburg 1899: Sophie und Hauke sind im bürgerlichen und etablierten Leben der Hansestadt angekommen, sie haben eine große Wohnung, ein Kindermädchen und eine Köchin. Aber Sophie fühlt sich als Hausfrau und Mutter unterfordert, ihr fehlen die geistigen Anregungen, die Gespräche mit Hauke über seine Fälle, zu deren Lösung sie häufig beigetragen hat, während Hauke sie zur Zeit nur beschützen möchte. Sophie fühlt sich durch die herrschenden Konventionen eingeengt, „die Karriere ihres Mannes durch repräsentative Einrichtung“ zu fördern, kann doch nicht alles sein? So ist sie anfangs glücklich, dass die berühmte Opernsängerin Carlotta Francini sie als Vertraute wählt und viel Zeit mit ihr verbringen möchte – was wiederum Sophie in Gewissenskonflikte bringt, ob sie nicht Henriette dadurch vernachlässigt – und es deshalb vorsichtshalber Hauke nicht / zu wenig erzählt... Allerdings fallen Sophie (und uns LeserInnen) bald einige Ungereimtheiten in den Geschichten der Frau Francini auf...
Hauke hat drei Morde innerhalb kurzer Zeit aufzuklären, die anscheinend in irgendeiner Form zusammenhängen, aber wie und warum? Da einer der Ermordeten erhängt worden ist, bittet Hauke den preußischen Scharfrichter Friedrich Reindel um eine Expertise. „Mit seinem Zylinder auf dem Kopf, dem schwarzen Gehrock und dem Spazierstock, auf den er sich stützen musste, wirkte er fast wie ein vornehmer Herr aus dem Senat. Niemand, der ihm begegnete, ahnte, dass ein Henker das Haus am Neuen Wall besuchte.“ (S.168). Herr Reindel entpuppt sich als Mann mit hohem Berufsethos: “Wenn Sie mich fragen, spielte jemand Henker, der vielleicht ein wenig Wissen um das Handwerk besitzt, aber weder das Talent noch das Können. Ein Pfuscher.“ (S. 170)
Die Autorin beschreibt abwechselnd die Gefühle und Gedanken von Sophie und Hauke – und da beide miteinander „schmollen“ und sich nicht austauschen, sind wir Leser*innen klar im Vorteil – wir wissen einfach mehr...
Während sich Hauke mit Kriminalassistent Schröder (sympathisch, pfiffig) austauschen kann, steht Sophie mit ihren Gedanken allein da, denn „es war unschicklich, mortale Dinge dieser Art unter Frauen zu diskutieren.“ (S. 180)
Zum Inhalt will ich jetzt hier nichts weiter verraten, aber es bleibt bis zum Schluss hochspannend, denn mit einem dramatischen Show-Down erfahren wir die wahre Identität des Mörders – mit dem ich keineswegs gerechnet hatte...
Und wieder hat mich Frau Marschalls Schreibstil vollständig in seinen Bann gezogen, sie beschreibt Personen, Situationen, Umgebungen so bildhaft und anschaulich, dass ich immer das Gefühl hatte, ich sei Teil des Szenarios, so als hätte ich das Gästezimmer der Sötjes (sie haben bestimmt eines!) bezogen und würde sie auf ihren Wegen begleiten... Der Zeitkolorit wird wieder (wie in allen historischen Romanen der Autorin) vertieft durch kleine Zeitungsinserate / -artikel aus dem Jahr 1899, die den einzelnen Kapiteln vorangestellt sind. Und mich haben als Hamburgerin natürlich die detaillierten Ortsbeschreibungen fasziniert oder z.B. der Bau des Dammtor-Bahnhofes!
Wieder einmal ein wunderbarer und spannender historischer Krimi, der leider nur einen Nachteil hatte: er war viel zu schnell durchgelesen! Und klar: ich kann ihn jedem nur weiterempfehlen und möchte Anja Marschall zurufen: Bitte weiter so!