Entzaubert
Eigentlich hatte ich Harry Hole nach „Messer“ abgeschrieben, doch er meldet sich in "Blutmond" zurück. Blutmond klingt nach Zauber, nach Hexensabbat, und hat man alle Harry Hole Bände gelesen, passt das ...
Eigentlich hatte ich Harry Hole nach „Messer“ abgeschrieben, doch er meldet sich in "Blutmond" zurück. Blutmond klingt nach Zauber, nach Hexensabbat, und hat man alle Harry Hole Bände gelesen, passt das als Synonym für die Rückkehr des ambivalenten Ermittlern recht gut.
Seiner geliebten Rakel und seinem ehemals besten Freundes Holm beraubt, findet sich Hole Anfang der Geschichte in Los Angeles wieder, wo er versucht, sich zu Tode zu trinken. Um einer Zufallsbekanntschaft von dort zu helfen, bräuchte er Geld, viel Geld. Das er nicht hat.
Zeitgleich werden in Norwegen zwei Frauen ermordet. Die Leiterin der Ermittlungen, Katrine, hätte Hole gerne in ihrem Team, der Rest der Führungsriege will sich aber die aus bereits 12 Fällen ausführlich bekannten Probleme mit Harry, dem Wrack, dem Unführbaren, ersparen. Doch Harry kehrt trotzdem zurück nach Norwegen: der dringend der Taten verdächtigte Immobilienmogul bietet viel Geld dafür, dass Harry ihn als Privatermittler aus dem Fokus der Nachforschungen herausboxt. Der Dame in Los Angeles, Lucille, wegens lässt sich Harry auf den Deal ein und ermittelt mit seinem eigenen Team aus Freunden und Feinden, die der Leser zum Teil schon aus früheren Büchern kennt.
Harry Hole ist alt geworden, und zugleich kompromissloser, brutaler, und scheinbar ohne jede Empathie. Die Grenzen zur Kriminalität wurden früher häufig ausgelotet, aber hatten noch eine Bedeutung, hier hat man das Gefühl, dass der nahende Blutmond neue Grenzen festlegt. Was unterscheidet diesen Harry von den Personen, die er verfolgt? Man versteht die Führungsetage der Polizei, die sich nicht mehr darüber aussieht, diesen Mann in ihre Dienste zu stellen.
Nesbø ist ein hervorragender Autor, ich hatte mehrfach das Vergnügen, ihn persönlich auf Lesungen zu erleben. Die feine sprachliche Klinge aber, das Spiel an der Grenze, die Ambivalenz der Figuren, die Emotionen, Leidenschaften und Gefühle der ersten Harry Hole Teile, die ich bei „Sohn“, „Ihr Königreich“ oder auch der Kurzgeschichtensammlung „Eifersucht“ wiedergefunden habe, scheint bei Harry Hole abhandengekommen zu sein.
Es geht nur mehr um die kaputte Seele, die irreperabel erscheint. Was schade ist, denn Nesbø kann wirklich mit Worten zaubern. Aber nicht in diesem Buch.