Ich war sehr gespannt auf Das Mona-Lisa-Virus, denn der Klappentext klang äußerst vielversprechend und außerdem liebe ich Verschwörungsthriller. Tibor Rodes Bücher werden häufig mit den Werken von Dan Brown verglichen. Ob man dem Autor einen Gefallen tut, wenn man die Messlatte derartig hoch ansetzt, wage ich zu bezweifeln und möchte deshalb auf solche Vergleiche verzichten. Meiner Meinung nach hat Tibor Rode mit Das Mona-Lisa-Virus zwar einen soliden Thriller mit einer interessanten Thematik vorgelegt, aber herausragend fand ich ihn leider nicht, weil er doch einige Schwächen aufweist.
Die ersten Kapitel des Buches muten noch etwas verworren an, da recht viele Handlungsstränge eröffnet werden und die verschiedenen Schauplätze und Protagonisten, die zunächst in keinem erkennbaren Zusammenhang zu stehen scheinen, etwas verwirrend sind. Auszüge aus einem Tagebuch aus der Zeit um 1500 waren mir zu Beginn dieses Thrillers jedenfalls vollkommen schleierhaft. Da ich zunächst keine Zusammenhänge mit den anderen Handlungssträngen erkennen konnte, haben diese Passagen den Spannungsbogen anfangs leider unterbrochen, weil mir ihre Bedeutung für den Gesamtkontext völlig belanglos zu sein schien. Erst im weiteren Verlauf des Buches wurde mir allmählich klar, wie diese Tagebucheinträge einzuordnen sind. Diese Kapitel faszinierten mich dann so sehr, dass ich es bedauerlich fand, dass sie nur so kurz waren. Beim Autor dieses Tagebuchs handelt es sich nämlich um den Mathematiker Luca Pacioli, der ein Zeitgenosse und Freund Leonardo da Vincis war. Er verfasste 1509 das Buch De divina proportione , eine umfassende Abhandlung zum „Goldenen Schnitt“, einem Phänomen, mit dem er und sein Freund da Vinci sich seit Jahren intensiv beschäftigt hatten.
Beim Goldenen Schnitt, der auch als „göttliche Proportion“ bezeichnet wird, handelt es sich um ein bestimmtes Teilungsverhältnis, das als vollkommen gilt und seit jeher eine große Anziehungskraft auf Menschen ausübt. Dieses besondere proportionale Größenverhältnis, das vollkommene Schönheit und Harmonie vermittelt, findet sich nicht nur in der Kunst, Architektur und Musik, sondern auch in der Natur wieder – zum Beispiel bei den Bienen. Leonardo da Vincis Mona Lisa gilt vor allem deshalb als Sinnbild für Schönheit, weil es dieses spezifische Größenverhältnis aufweist.
In Das Mona-Lisa-Virus wird recht schnell deutlich, dass hinter all den rätselhaften Ereignissen, die sich weltweit zutragen, nur jemand stecken kann, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Schönheit aus der Welt zu schaffen, also alles, was den Goldenen Schnitt aufweist, zu zerstören. Leider weiß man auch schon nach den ersten 100 Seiten, wer hinter diesen Vorfällen steckt und warum dieser Person so sehr daran gelegen ist, alles Schöne auf der Welt für immer zu vernichten. Nun ist es der Spannung eines Thrillers nicht gerade zuträglich, wenn Täter und Motiv bereits im ersten Viertel des Buches bekannt sind. Spannend ist eigentlich nur noch, ob es dem Täter gelingt, seinen Plan bis zum bitteren Ende durchzuführen, welche Rolle Helen Morgan dabei spielt und ob sie ihre Tochter jemals lebend wiedersieht.
Da Helen Morgan Neuroästhetikerin ist, sich also beruflich mit der Wirkung von Schönheit und den neurologischen Prozessen bei ästhetischen Wahrnehmungen beschäftigt und gerade Forschungen zur Mona Lisa betreibt, fiel die Wahl des Entführers wohl nicht zufällig auf ihre Tochter. Recht eigenartig fand ich jedoch, dass die amerikanische Polizei offenbar keinen Handlungsbedarf sieht, wenn ein minderjähriges Mädchen aus einer psychiatrischen Anstalt verschwindet, denn als Helen mit der Polizei Kontakt aufnimmt, scheint diese ihr Anliegen nicht allzu ernst zu nehmen, sodass sie sich selbst auf die Suche nach ihrer Tochter begeben muss und sich damit zum Werkzeug des Täters macht. Logisch fand ich das nicht gerade, denn dass die Polizei im Vermisstenfall einer Minderjährigen nicht ermittelt und auch der Klinikleiter der Psychiatrie das Verschwinden des Mädchens nicht weiter beunruhigend findet, scheint mir doch etwas unrealistisch zu sein. Außer der Mutter interessiert sich jedenfalls niemand für Madelaines rätselhaftes Verschwinden.
Leider blieb Helen Morgan aber recht farblos und ihr Handeln war mitunter auch ziemlich fragwürdig und nicht ganz nachvollziehbar, sodass es mir schwer fiel, an ihrer Seite mitzufiebern. Dabei war sie durchaus interessant angelegt, denn sie war früher Model und beschäftigt sich nun als Neuroästhetikerin wissenschaftlich mit dem Phänomen Schönheit. Abgesehen von ihrer außergewöhnlichen beruflichen Karriere und einer übersinnlichen Fähigkeit, die jedoch auch nicht unbedingt dazu beitrug, dass man sich in diese Figur hineinversetzen konnte, blieb sie mir jedoch recht fremd. Patryk Weisz, der Sohn des ebenfalls verschwundenen polnischen Milliardärs, ist zwar ein äußerst dubioser und ambivalenter Charakter, aber leider ebenso konturlos wie FBI-Agent Greg Millner.
Besonders interessant und spannend fand ich hingegen die Thematik dieses Thrillers. Sehr geschickt vermischt Tibor Rode historische Fakten mit einer fiktionalen Handlung, hat offensichtlich auch sehr präzise recherchiert, sodass ich es eigentlich recht schade fand, dass die kunsthistorischen und auch naturwissenschaftlichen Aspekte nur recht banal und oberflächlich abgehandelt wurden. Als ich das Geheimnis dieser Tagebucheinträge aus dem 16. Jahrhundert gelüftet hatte, fand ich es bedauerlich, dass diese nicht noch umfangreicher waren, denn sie haben mir ausgesprochen gut gefallen.
Die kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Schönheit ist dem Autor ebenfalls gut gelungen. Einerseits ist Schönheit ein Begriff, der überwiegend positiv konnotiert ist, da alles Schöne uns Menschen erfreut und all unsere Sinne anspricht; andererseits hat Schönheit aber auch ihre Schattenseiten und beinhaltet häufig eine subjektive Selektierung in Gut und Böse, nach rein äußerlichen Aspekten. Diese Aspekte hat der Autor sehr gut herausgearbeitet und gezeigt, dass der schöne Schein oft trügt und die Macht der Schönheit nicht unterschätzt, wohl aber hinterfragt werden sollte. Sein Schreibstil ist dabei recht einfach gehalten und die Kapitel sind angenehm kurz, sodass sich das Buch sehr flüssig lesen lässt.
Was leider ein wenig auf der Strecke blieb, waren Spannung und Logik. Auch wenn die vielen verschiedenen Handlungsstränge plausibel zusammenliefen und der Plot durchaus raffiniert angelegt war, litt die Glaubwürdigkeit doch sehr unter den übersinnlichen Fähigkeiten der Hauptprotagonistin und vor allem an einem an den Haaren herbeigezogenen Zufall, der letztendlich die einzige Wendung des Romans herbeiführte. Das Ende dieses Thrillers war jedenfalls zu konstruiert, um noch glaubwürdig und nachvollziehbar zu sein. Trotz einiger Schwächen war Das Mona-Lisa-Virus ein solider, action- und temporeicher Thriller, der sich mit einer sehr interessanten Thematik auseinandersetzt und sehr faszinierende Einblicke in Leonardo da Vincis Schaffen liefert.