Liv ist Pflegerin, Mitte dreißig und führt ein scheinbar perfektes Leben in einem Osloer Einfamilienhaus. Sie liebt ihren Mann Terje und ihre beiden Kinder Rosa und Johannes. Aber was kaum jemand weiß, nicht einmal ihr Mann: Liv ist vor Jahren vergewaltigt worden.
Der Gang zum Zahnarzt ist für sie eine Herausforderung; wenn sie nachts von der Bushaltestelle nach Hause läuft, muss sie Terje anrufen. Überall lauert die Angst. Liv bemüht sich, die Oberfläche frei von Kratzern zu halten. Auch wenn sie hinter der Fassade damit beschäftigt ist, ihr Trauma zu bewältigen: Sie will die Opferrolle nicht annehmen. Der Vorfall liegt ein halbes Leben zurück, warum soll er immer noch bestimmen, was sie im Hier und Jetzt tut?
›Macht‹ ist ein Buch mit großer Schlagkraft. Eindringlich schildert Heidi Furre das Nebeneinander von Zweifel und Selbstbestimmtheit, Mut und Wut.
Das Cover: Ja, da ist etwas in Scherben zersprungen, das Selbstbewußtsein einer vergewaltigten Frau
Ein recht schwieriges Thema, denn nicht alle sind immer der gleichen Meinung, wenn es um Vergewaltigung ...
Das Cover: Ja, da ist etwas in Scherben zersprungen, das Selbstbewußtsein einer vergewaltigten Frau
Ein recht schwieriges Thema, denn nicht alle sind immer der gleichen Meinung, wenn es um Vergewaltigung geht. Hier ist es aber meiner Meinung nach sehr gut umgesetzt worden.
Der gesamte Text spielt im Hier und Jetzt, und alles in Ich-Form.
Liv, eine verheiratete Frau, arbeitet in der Pflege in einem Altenheim und kann und will sich nicht selbst eingestehen, dass sie, als sie noch Studentin war, vergewaltigt wurde. Sogar ihrem Ehemann hat sie noch nicht davon erzählt.
Sie quält sich von einem Tag zum nächsten, hat sogar Selbstzweifel.
Als dann im Heim eine Person auftaucht, will sie nicht mehr so weitermachen.
Endlich kann sie darüber reden, auch mit ihrem Mann.
Ihre Freundin schließlich begleitet sie an einen Ort, an dem sie Hilfe findet.
Jeden Tag sieht Liv die Scherben auf dem Boden liegen. Die Scherben von dem Tag, als sich ein Körper auf sie legte, sie zerbrach. Es sind ihre Scherben, die Heidi Furre in dem Roman „Macht“ aufliest, zusammensetzt, ...
Jeden Tag sieht Liv die Scherben auf dem Boden liegen. Die Scherben von dem Tag, als sich ein Körper auf sie legte, sie zerbrach. Es sind ihre Scherben, die Heidi Furre in dem Roman „Macht“ aufliest, zusammensetzt, um sie zu heilen. Eine jede Scherbe enthält Gedanken, die Liv gegenwärtig umtreiben: von Sie erzählt sachlich, lakonisch und kalt, wie betäubt fast. Jeden Satz wählt sie mit Bedacht, beschreibt ihren Alltag als Mutter, als Ehefrau, als Pflegerin. Als Betroffene – die sie nicht sein will. Wachen Auges beobachtet sie ihre Umwelt, beruft sich einem Mantra gleich immer wieder auf die Dinge, die ihr helfen, Abstand zu gewinnen, die Unmittelbarkeit und Ernsthaftigkeit zu relativieren, ihre Fassade aufrechtzuerhalten. Bis sie unmittelbar einstürzt. In ihrem Job als Pflegerin fühlte sie sich sicher, sie hatte Abstand zum Leben, sie hatte Macht: Ihre Patient*innen waren von ihr, ihrer Hilfe abhängig. Doch als eine neue Patientin in die Einrichtung zieht, löst sich etwas: Ihr Bruder ist Schauspieler – und wurde vor Jahren bekannt dafür, eine Frau vergewaltigt zu haben. Er wurde nie verurteilt, aber die Erinnerung bleibt. Wann immer er in der Nähe ist, hat sie Angst, seine Augen lösen die Fassade langsam auf. Und gleichzeitig ist es ein Befreiungsschlag, der sie zwingt, sich zu öffnen. Das Mittel: Konfrontation. Reden. Freimachen.
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Die lakonisch schneidende, harte Sprache, derer sich Heidi Furre bedient, um Livs Gefühlsleben darzustellen, unterstützt den Inhalt ihrer Worte, die Botschaft, die sie zu vermitteln versucht, unglaublich gut. Dass es nämlich keine Bagatelle ist, dass es Gegenwärtig ist. Sie stellt Liv, die Frau, die Leidtragende, wie sie sich bezeichnet, in den Vordergrund, ihre Ängste, die Anstrengung, die es sie kostet, ein normales Leben zu führen, nicht jeden Tag, bei jeder Berührung, jedem noch so kleinen Ding „daran“, an „den Vorfall“ erinnert zu werden. Ihren Körper als eben das zu betrachten: als Mutterkörper, der liebt, der lebt und atmet, der sich kümmert. Nicht als Objekt, das es zu benutzen gilt. Dennoch lässt sie kontroverse Gedanken, ein Nebeneinander von Bitternis und Empathie zu, lässt Liv darüber fantasieren, wie weit ihre moralischen Grenzen gesteckt sind, Rache zu üben, ihrerseits die Macht zurückzugewinnen und auszunutzen.
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Das Buch hat mich mitgenommen, wütend gemacht, weich werden lassen. Und immer wieder diese Sätze, die innehalten lassen, die ich unterstreichen musste, bald waren ganze Seiten schraffiert von grauem Graphit. Schlagende Zeilen, die schmerzen und Augen öffnen. Das waren die ersten zwei Drittel. Doch gen Ende verlor die Geschichte an Biss, was in gewisser Weise auch für die Entwicklung Livs stehen kann, klar. Doch für mein Empfinden war es zu überhastet, gewollt. Davon abgesehen: WOW. Eine große Empfehlung (respektive TW)!
„Er ist so unbedeutend. Er ist nur diese eine Nacht. So, wie auch ich für ihn unbedeutend war.“
Mit diesen oder ähnlichen Worten versucht die Hauptprotagonisten Liv die Mach über ihr Leben zurück zu gewinnen. ...
„Er ist so unbedeutend. Er ist nur diese eine Nacht. So, wie auch ich für ihn unbedeutend war.“
Mit diesen oder ähnlichen Worten versucht die Hauptprotagonisten Liv die Mach über ihr Leben zurück zu gewinnen. Sie will ihrem Vergewaltiger keine Macht über ihr Leben einräumen.
Doch schnell wird deutlich, dass dies alles andere als einfach ist, denn auch Jahre nach der Vergewaltigung lebt Liv mit täglichen Ängsten und wird immer wieder mit dem Thema konfrontiert.
Sei es wenn sie nachts im Dunkeln nach Hause geht oder auf der Arbeit, wenn der Bruder einer Patientin, der vor Jahren der Vergewaltigung bezichtigt wurde, ihr auf dem Flur begegnet.
Heidi Furre schildert in ihrem Roman „Macht“ auf sehr deutliche und intensive Weise, wie es ist vergewaltigt worden zu sein und wie es das Leben beeinflussen kann.
Durch den authentischen Schreibstil und die geschilderten Situationen wird dem Leser die Möglichkeit gegeben mit Liv zu fühlen und ihre Gedankenwelt besser zu verstehen.
Hierbei wird deutlich, dass es nicht um die Tat an sich geht, sondern um das Leben danach.
Viele der gelesenen Situationen klingen noch lange nach und lassen den Leser nicht so schnell los.
Allerdings gab es zwischendurch immer wieder Passagen, an denen ich nicht mitkam und kurz verwirrt war, sodass der Lesefluss gestoppt wurde.
Dies ist aber nur ein kleiner Punkt in einem Roman, der so viel mehr ist.
Heidi Furre zeigt, dass über dieses Thema gesprochen werden muss und wie schwer es für Menschen wie Liv ist die Macht über das Leben zurück zu erlangen.
Denn es gibt genug Menschen auf dieser Welt, die das Gleiche wie Liv durchmachen müssen.
Liv führt ein Leben wie Tausende andere auch. Sie ist verheiratet, liebt ihren Mann und ihre beiden kleinen Kinder und arbeitet als Pflegerin. Doch eines Tages wird alles anders. Eine neue Patientin kommt ...
Liv führt ein Leben wie Tausende andere auch. Sie ist verheiratet, liebt ihren Mann und ihre beiden kleinen Kinder und arbeitet als Pflegerin. Doch eines Tages wird alles anders. Eine neue Patientin kommt ins Pflegeheim, deren Bruder vor Jahren als Vergewaltiger angeklagt wurde. Mit Macht kommen die alten Erinnerungen zurück, kreisen um das Schreckliche, das ihr vor 15 Jahren geschehen ist und von dem bisher keiner weiß. Sie will nicht mehr daran denken, versucht sich abzulenken, nimmt Pillen zur Beruhigung – bis sie sich endlich einer Freundin anvertraut …
Heidi Furre, geb. 1985, hat bereits mehrere Romane veröffentlicht. „Macht“ ist der erste, der ins Deutsche übersetzt wurde. Die Autorin arbeitet als Fotografin und lebt in Oslo.
In relativ nüchternen und emotionslosen, meist nur kurze Sätze umfassenden Schreibstil, tauchen wir ein in Livs Gedankenwelt und fühlen ihre innere Zerrissenheit. Sie weiß nicht mehr was sie tun soll, will das Geschehene vergessen und geht doch heimlich zum Haus des Täters. Ihre Gedanken schweifen ständig ab, drehen sich im Kreis und lassen sie nicht zur Ruhe kommen. Sie fragt sich stets nach einer gewissen Mitschuld und kommt nicht umhin, sich diese teilweise selbst einzugestehen. Die Tat selbst steht nicht im Vordergrund, sondern das, was sie aus dem Leben der Frau gemacht hat und wie sie deren Entscheidungen beeinflusst.
Trotz der Schwere des Themas und der vorherrschenden bedrückenden Stimmung konnte mich das Buch nicht voll überzeugen. Ich konnte die Handlungen der Protagonistin oft nicht nachvollziehen, da sie mir manchmal doch ziemlich unrealistisch und überzogen vorkamen.
Vor Jahren ist Liv etwas passiert; selbst das Wort Vergewaltigung denkt sie nur zögerlich, schweigt den Vorfall tot. Doch als an ihrem Arbeitsort ein mutmaßlicher Täter regelmäßig ein und aus geht, droht ...
Vor Jahren ist Liv etwas passiert; selbst das Wort Vergewaltigung denkt sie nur zögerlich, schweigt den Vorfall tot. Doch als an ihrem Arbeitsort ein mutmaßlicher Täter regelmäßig ein und aus geht, droht die mühevoll errichtete Fassade zu bröckeln.
Liv hat sich eine Fassade der Äußerlichkeiten, der Normalität aufgebaut. Ihr Trauma lauert immer im Hinterkopf, doch sie kämpft dagegen an, will die Opferrolle weit von sich weisen. Kleinigkeiten können sie aus dem Tritt bringen, doch trotzdem wissen nur wenige Bescheid, noch nicht einmal ihr Mann. Welche Kraft dazu nötig ist, das liest man immer wieder aus ihren Schilderungen heraus, aber trotz allem ist Liv eine starke Frau. Man kommt bei der Lektüre mehr als einmal ins Grübeln, nicht zuletzt, weil die Autorin auch immer wieder diese Zahl anbringt: 1 von 10 Frauen (in Norwegen, die deutsche Statistik kenne ich leider nicht). Eine erschreckende Zahl. Furres Geschichte liest sich soghaft und zwingend, Gedankensprünge und Richtungswechsel zeigen Livs Anspannung, sodass die Handlung immer aufgeladen und rastlos wirkt, auch wenn der generelle Ton eigentlich recht kühl wirkt. Macht ist schon allein thematisch kein leichtes Buch, trotzdem habe ich es gerne gelesen.