Nesbo in Höchstform
Während Harry in LA sein Leben mit Whiskey runterspült, werden in Oslo die Leichen zweier Frauen gefunden. Die Polizei hat keinerlei Spuren und Katrine Bratt weiß, dass nur Harry Hole den Fall lösen kann. ...
Während Harry in LA sein Leben mit Whiskey runterspült, werden in Oslo die Leichen zweier Frauen gefunden. Die Polizei hat keinerlei Spuren und Katrine Bratt weiß, dass nur Harry Hole den Fall lösen kann. Doch ihre Vorgesetzten wollen davon nichts wissen. Schließlich ist er wegen einiger Verfehlungen aus dem Polizeidienst ausgeschieden, worüber die meisten froh sind.
Der Immobilienmakler Røed, der die jungen Frauen kannte, steht unter dringendem Tatverdacht. Die Gerüchteküche brodelt, Deals platzen aus Angst, er könne etwas mit dem Tod der Frauen zu tun haben. Was er jetzt braucht, ist ein genialer Privatermittler, der seine Weste wieder weiß wäscht. Er heuert Hole für ein Vermögen an, der das Geld gut brauchen kann. Schließlich muss er einer Freundin helfen und seinen eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen. Dafür hat er aber nur wenige Tage Zeit – bis der Blutmond über Oslo aufzieht.
Als ich vor vielen Jahren den ersten Harry-Hole-Band gelesen habe, dachte ich, was für ein abgewrackter Ermittler – unkonventionell, stachlig, ein Außenseiter mit brillanten Verstand. Doch er ist mir schnell ans Herz gewachsen. Inzwischen ist es, als würde ich einen alten Freund wiedertreffen, einer, bei dem man nie weiß, wann er wieder abstürzt und welches grausame Schicksal ihn diesmal ereilt. Nesbø versteht es, seine Figuren so tief und authentisch zu zeichnen, wie kein zweiter. Die gute Nachricht für alle, die die Reihe noch nicht kennen, man kann Blutmond auch ohne Vorkenntnisse lesen, da Nesbø es geschickt versteht, Vergangenes in die aktuelle Handlung einzuflechten. Um aber die ganze Tiefe der Entwicklung Holes zu verstehen, kann ich nur jedem empfehlen, die Reihe von Beginn an zu lesen. Nur so kann man die Sympathie zu dem genialsten Säufer und Ermittler Norwegens aufbauen.
Mein letztes Rendezvous mit Harry ist 3 Jahre her und ich war gespannt, wie er mit dem letzten Schicksalsschlag fertig wurde, denn seitdem führt er ein Leben am Abgrund. Wir begegnen auch hier wieder vielen alten Weggefährten und Widersachern Holes. Die ihn lieben, wissen, dass seine Nähe nicht guttut. Die anderen fürchte ihn. Ich möchte hier gar nicht viel sagen, denn die Gefahr besteht, dass ich spoilern könnte.
Für mich war es ein Nesbø in Höchstform. 540 Seiten, auf denen es mir nicht ein Mal langweilig wurde. Typisch für die Reihe – wir erfahren sehr früh, wer der Täter ist, ohne dessen Identität zu kennen. Die Spannung verdichtet sich zunehmend, weil man wissen will, wie und wann Hole hinter das kommt, was wir Leser schon wissen – und diesmal hat es Nesbø uns echt nicht leicht gemacht. Eine derart komplexe Story, die, ohne zu verwirren, bis kurz vor Ende undurchsichtig bleibt. Keine Chance, auch nur ansatzweise hinter die Lösung zu kommen. Außerdem haben wir es hier mit einer Mordmethode zu tun, die ich grandios finde und so noch nie gelesen habe. Und alles, was es dazu als Hintergrundinformationen braucht, wird hier fast spielerisch in die Geschichte eingebunden. Etwas, das ich schon oft an anderen Autoren kritisiert habe. Chapeau Herr Nesbø. Reden wir gar nicht über die geschickt platzierten 180-Grad-Wendungen, die mich alle hinters Licht geführt haben. Und wenn man am Ende endlich aufatmen will, haut er uns noch einen Cliffhanger vor die Füße, der sich gewaschen hat.
Wer eine Reihe mit Tiefgang sucht, ist hier absolut richtig. Nesbø nicht zu kennen, ist fast schon eine Bildungslücke für Thrillerleser. Und mit Blutmond habe ich mein Jahreshighlight definitiv gefunden.