Die Jagd nach dem Bernsteinzimmer
„...Mit der Wahrheit war es doch wie mit der Freiheit, oder etwa nicht? Beides ist schwer zu erfassen...“
Als Josephine zusammen mit Fynn am Bett ihres todkranken Großvaters steht, weiß sie nicht mehr, ...
„...Mit der Wahrheit war es doch wie mit der Freiheit, oder etwa nicht? Beides ist schwer zu erfassen...“
Als Josephine zusammen mit Fynn am Bett ihres todkranken Großvaters steht, weiß sie nicht mehr, was sie glauben soll. Ihr Großvater soll einst das Bernsteinzimmer gestohlen haben? Wie ist das möglich?
Die Autorin hat einen beeindruckenden und tiefgründigen Roman geschrieben. Er wird in zwei Handlungsebenen erzählt. Die eine beginnt im Jahre 1941, die andere spielt 2018. Außerdem durchziehen zwei Fragen wie ein roter Faden die Geschichte. Was ist Freiheit? Was ist Wahrheit?
Der Schriftstil ist ausgefeilt und passt sich perfekt den Gegebenheiten an.
Die Personen werden gut charakterisiert. Bleiben wir in der Gegenwart. Josephine wird mit ihrem Großvater den letzten Verwandten verlieren. Die junge Frau mag ihr geregeltes Leben. Gegenüber anderen ist sie distanziert.
Fynn verdient sich sein Geld mit Schatzsuche. Er ist mit Josephine in die Schule gegangen und war umschwärmter Liebling der Mädchen. Bei seinen Recherchen ist er darauf gestoßen, dass Josephines Großvater während des Krieges als Arzt in Königsberg stationiert war. Es gibt Hinweise, dass er mit dem Verschwinden des Bernsteinzimmers zu tun hat.
Kurz bevor ihr Großvater für immer einschläft, erinnert er Josephine an all die Geschichten, die er ihr während ihrer Kindheit erzählt hat. Erst jetzt begreift sie, dass die märchenhaften Erzählungen einen realen Kern haben und ein Bild der Vergangenheit des Großvaters malen.
Als besonderes Stilmittel lässt die Autorin diese Erzählungen Josephine in ihren Träumen wieder erleben. Diese Träume sind in einer eignen Schriftart der Geschichte beigefügt. Es kommt nun darauf an, sie richtig zu deuten.
„...Der Prinz irrte umher. Er besaß nur eine kümmerliche Lichtquelle, stolperte, bekam Angst, hier unten zurückzubleiben. Eingeschlossen. Allein...“
Im Jahre 1941 lerne ich Helmut kennen, den älteren Bruder von Josephines Vater. Er ist Fahrer einer Transportkolonne an der Ostfront. Er hat heimlich das Schalten und Walten der SS beobachtet, Bilder, die er nicht mehr aus seinen Kopf bekommt.
„...Sie alle hatten die Regeln des menschlichen Miteinanders gebrochen, die jeden Einzelnen von ihnen die Freiheit versprachen. Jetzt mussten sie mit den Folgen leben. Sie alle, auch Helmut…“
Als Helmut nach Königsberg kommt, ist er innerlich ein gebrochener Mann. Das hat auch mit der unmenschlichen Belagerung von Leningrad zu tun. Es war die Stadt seiner Kindheit, bevor die Familie nach Deutschland zurückgekehrt war. Helmut gehört zu denjenigen, die das Bernsteinzimmer nach Königsberg bringen. Zuvor hat er erlebt, wie die Kulturschätze der eroberten Orte eingesammelt und geplündert wurden.
„...Wir eilen von Sieg zu Sieg, kleiner Bruder. Und verlieren dabei unsere Seele!...“
In der Gegenwart darf ich Schritt für Schritt verfolgen, wie Fynn und Paul zusammen mit Josefine jedem kleinsten Hinweis nachgehen. Dabei setzt bei Josefine gleichzeitig eine Entwicklung ein, die sie sachte aus ihren Schutzpanzer herausführt.
In der Vergangenheit erlebe ich die Grausamkeiten, die die Befehle von Gauleiter Koch für die Bevölkerung in Königsberg bedeuteten. Die hohen Herrschaften haben sich rechtzeitig abgesetzt. Und ihnen ging es auch noch darum, ihre geraubten Schätze in Sicherheit zu bringen. Sehr eindringlich schildert die Autorin die Zustände in der Stadt.
„...In Jahren rechnete Helmut schon lange nicht mehr. Ein Menschenleben war ein fragiles Gebilde, mehr noch als der Prunkraum aus Ostseegold. Es zerbrach leicht...“
Ein Vorwort, eine Danksagung und eine Übersicht der historischen Namen ergänzen das Buch.
Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Sie zeigt, wie Mut und Glaubenszuversicht auch durch dunkle Jahre tragen. Gleichzeitig ist das Buch ein Plädoyer für Menschlichkeit und gegen Krieg.