In diesem zweiten Band rund um Emma und Greta, die beiden Töchter des verstorbenen Tierarztes von Schönbrunn steht nun im Jahr 1922 die jüngere Schwester Greta im Mittelpunkt.
Während Emma die väterliche Tierarztpraxis gemeinsam mit Ehemann Julius weiterführt, trauert Greta nach wie vor um ihren Mann Gustav, der nach wie vor als vermisst gilt. Die Chancen, ihn wiederzusehen, schwinden von Jahr zu Jahr. Noch kann sie sich nicht mit seinem Tod abfinden, doch muss sie sich um ihre Tochter Gisela kümmern. Die aufgeweckte Kleine wickelt so ziemlich jeden um den Finger. Ganz anders Emil, Fritz und Ferdl, drei Jungs, die im benachbarten Schloss Schönbrunn, das nun als Kinderheim genützt wird, untergebracht sind.
Durch puren Zufall beginnt Greta just in diesem Kinderheim eine Ausbildung als Erzieherin und findet nicht nur einen Zugang zu den verstörten Kinderherzen, sondern schöpft auch neue Hoffnung für die Zukunft.
Meine Meinung:
Beate Maly, die selbst als Frühförderin einen pädagogischen Hintergrund hat, hat uns diesmal in das Wien von 1922 entführt. Die Nachwirkungen des Krieges wie Armut, Hunger, Wohnungs- und Hoffnungslosigkeit sind deutlich spürbar. Doch es gibt auch schon die ersten Anzeichen von Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Es ist die Zeit der Reformpädagogik und des „Roten Wiens“. Die sozialistische (heute sozialdemokratisch) Partei stellt den Bürgermeister und setzt auf neue Ideen. Es ist die große Zeit des kommunalen Wohnbaus, der Errichtung von Kindergärten, von Arbeiterbibliotheken und die Zeit der Kinderheime.
Im Schloss Schönbrunn, das nach dem Sturz der Habsburger in den Besitz der jungen Republik gelangt ist, ist nicht nur ein Kinderheim, sondern auch eine Schule der Kinderfreunde, dem Verein der Arbeiter sowie eine Bildungsanstalt für Erzieherinnen, untergebracht. Genau in dieser Bildungsanstalt macht Greta nun ihre Ausbildung.
Wir Leser spüren den krassen Gegensatz von imperialem Glanz mit Gold, Stuck und Seidentapeten zu nüchternen, kahlen Schlafräumen, deren Einrichtung, die gebrauchten Stahlrohrbetten an eine Kaserne erinnern. Hier sind neben Kriegswaisen auch jene Kinder untergebracht, die den Eltern wegen mangelnder Fürsorge abgenommen worden sind. Nicht alle Erzieher haben ein Herz für diese oft traumatisierten Kinder. Einige dieser Frauen sind eher Gefängnisaufseherinnen als Erzieherinnen. Das muss auch Emil, der mehrere Tage neben seiner toten Mutter ausgeharrt hat, erleben. Auch Ferdl, der sich nach seinem Idol, dem Fußballer Pepi Uridil, ebenso „Tank“ nennen lässt, ist traumatisiert. Er kennt als Ausdruck nur Gewalt und schwebt in Gefahr, beim nächsten Vergehen gegen die strenge Hausordnung, in eine Besserungsanstalt abgeschoben zu werden.
Die Charaktere sind wieder gut gelungen. Wie häufig, geben die garstigen Personen mehr her. Greta bekommt den Neid einiger Kolleginnen deutlich zu spüren. Sie stammt ja aus bürgerlichen Verhältnissen, verfügt über eine eigene Wohnung und trägt selbst genähte Kleidung. Damit sitzt sie zwischen allen Stühlen: Zu reich für die Sozialisten und zu arm für die Schwiegereltern ihrer Schwester, die nach wie vor einen Gutshof in der Steiermark bewirtschaften. Es ist zu befürchten, dass die eine der beiden missgünstigen Erzieherinnen, in einem eventuellen dritten Band noch eine Rolle spielen könnten.
Beate Malys Schreibstil ist flüssig und gut zu lesen. Im Nachwort hat sie auf die historischen Ereignisse Bezug genommen.
Fazit:
Eine gelungene Fortsetzung, der ich gerne 5 Sterne gebe.