Die lange Flucht im Untergrund
„Die Wahrheit war eine wechselnde Auslage im Schaufenster, von menschlicher Hand verfälscht, wenn man gerade nicht hinsah, verlockend und stets außer Reichweite.“
Inhalt
Cora wird als Kind einer Sklavin ...
„Die Wahrheit war eine wechselnde Auslage im Schaufenster, von menschlicher Hand verfälscht, wenn man gerade nicht hinsah, verlockend und stets außer Reichweite.“
Inhalt
Cora wird als Kind einer Sklavin mitten hinein in ein menschenunwürdiges Leben geboren. Sie wächst auf einer Baumwollplantage in Georgia auf und wird mit 10 Jahren von ihrer Mutter im Stich gelassen, als diese beschließt, zu fliehen und der Farm unerlaubter Weise den Rücken zu kehren. Fortan muss sich das Mädchen allein durchschlagen und wird auch bald unter Ihresgleichen ausgebeutet und in die Hob verbannt, einen Ort an dem all jene leben, von denen niemand etwas wissen will und die gnadenlos aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Demütig erträgt Cora ihr Leid, bewahrt sich aber auch ihren Stolz und beginnt erst ernsthaft über die eigene Flucht nachzudenken, nachdem ihr der junge Sklave Caesar den Vorschlag gemacht hat, mit ihr gemeinsam über die sagenumwobene „Underground Railroad“ – einer Eisenbahnlinie unter der Erde, dem unausweichlichem Schicksal zu entkommen. Gemeinsam gelingt es ihnen dank einiger Verbündeter, die gefährliche Reise anzutreten und weiter nördlich ein besseres Zuhause zu finden. Doch ihre Häscher sind ihnen dicht auf den Fersen und der Abstand wird immer geringer. Als die beiden schließlich getrennt werden, muss sich Cora alleine durchschlagen, wenn sie überleben will. Ihre Odyssee durch das Land beginnt, gebeutelt von Verrat, gemildert durch wenige Menschen, die ein Herz haben, reist sie von Bundesstaat zu Bundesstaat und begegnet dem ganzen Ausmaß der Sklaverei, erkennt die vielen Formen der Gewalt und hofft dennoch auf ein Leben in Freiheit, wenn auch in ferner Zukunft …
Meinung
Der amerikanische Autor Colson Whitehead hat mit diesem Roman ein ganz besonderes Buch geschaffen, indem sich auf angenehme Art und Weise Realität und Fiktion vermischen. Seine erfundene Eisenbahnlinie unterhalb der Erde mit dunklen Stationen in engen Tunneln ist zwar erfunden, doch die Organisation selbst, die es einigen Leibeigenen ermöglicht hat, ein besseres Leben in einem anderen Land zu finden, gab es sehr wohl. Doch nicht nur dieser gelungene Mix macht den Roman so besonders, sondern in erster Linie der schonungslose Blick auf ein düsteres Kapitel der Menschheitsgeschichte. Sehr detailliert und ausdauernd beschreibt er die Sklaventreiberei, die alltäglichen Lebensumstände dieser „Untermenschen“, die von ihren Besitzern schlimmer noch als manches Tier behandelt werden. Und so kommt einen die Aussage des Buches nicht wie ein trauriges Einzelschicksal vor, sondern wie ein Schreckensbildnis der Tyrannei. Gerade dieser historische, undankbare Aspekt, der zwischen Willkür, Gräueltaten und Massenmord angesiedelt ist, untermalt die gesamte Geschichte und brennt sich ins Gedächtnis des Lesers.
Dabei legt Whitehead großen Wert auf die Charakterisierung seiner Protagonisten, die der Geschichte die notwendige Innerlichkeit geben. Ihre Handlungen und Gedanken werden vortrefflich eingefangen und sehr menschlich und direkt wiedergegeben. Fast wie der Tropfen auf dem heißen Stein erscheint dieses willkürliche Betrachten eines erbarmungswürdigen Lebens, doch niemals gewinnt das Mitleid die Oberhand sondern vielmehr die Wut auf all jene, die es vermocht haben, Menschen wie Abfall zu behandeln. Und so offenbart sich dem Leser die Hölle, deren Wurzeln zwar in der Vergangenheit liegen aber auch heute noch unerschütterliche Präsenz haben.
Ein kleiner Makel, der keiner ist, weil er hervorragend zur Geschichte passt, ist diese allesumfassende Schwere, die bedrückende Stimmung und dieser viel zu kleine Hoffnungsschimmer, der nicht einmal glimmt, geschweige denn brennt. Stellenweise mochte ich das Buch mit all seinen Facetten nicht wahrnehmen, weil ich immer noch geglaubt habe, dass am Ende des Weges etwas wartet, für dass sich dieses dargestellte Leben lohnt. Doch so gut, wie sich das Ende des Textes in das Gesamtkonzept des Buches einfügt, mir war die Geschichte etwas zu düster und schwer, auch und vor allem, wegen der Echtheit der Gefühle und der Realitätsnähe, die man trotz aller Fiktion sehr unmittelbar spürt.
Fazit
Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen wichtigen zeitgenössischen Roman, der der Thematik Sklaverei, Ausbeute und Misshandlung einen sehr hohen Stellenwert einräumt und Geschichte greifbar macht. Zurecht hat dieses Buch seine Auszeichnungen bekommen und es ist ein nachhaltiges, wenn auch schwer verdauliches Werk über Menschen und die Auswüchse ihrer Unbarmherzigkeit, die sich in einer maßlosen Selbstüberschätzung äußern.