Melanie Amélie Opalka (Herausgeber)
Beschwipste Vorsätze
»Auf ein bescheidenes Jahr, das in wenigen Wochen einem viiiel besseren weichen wird.«
Melina erhob so schwungvoll ihren Prosecco, dass ein paar Tropfen überschwappten.
»Upsi«, sie kicherte und lehnte sich seitlich gegen ihre Mitbewohnerin Lara.
Die gluckste ebenfalls vergnügt und hob statt ihres Glases gleich die restliche Proseccoflasche hoch.
»Auf unser Keksimperium, das einschlagen wird, wie eine Bombe!«
Die Frauen stießen an und tranken. Melina leerte ihr tulpenförmiges Glas in einem Zug und ließ sich mit ihm in der Hand zurück in die Kissen sinken. Ihr Kopf war leicht und es war ihr einen Hauch schwindelig. Sie war eindeutig bereits beschwipst. Kein Wunder, sie, die sonst nie Alkohol trank, hatte gerade hintereinander zwei Gläser quasi gestürzt. Das bemerkte auch Lara.
»Langsam, Cookie, sonst ist der Abend in fünfzehn Minuten vorbei.« Die Freundinnen giggelten und kuschelten sich aneinander.
»Die Tradition des Monatsanfangs. Auf den Ersten«, bestätigte Melina und bemühte sich, deutlich zu sprechen. Lara goss ihr neu ein und schob einen weiteren Toast nach: »Auf die Freundschaft – wer braucht schon Männer.«
Melina erhob ihr Glas, nahm dann übermütig einen großen Schluck und verschluckte sich prompt.
Weil sie die Lippen geschlossen hielt, suchte sich das sprudelnde Getränk den einzigen Ausweg, der ihm blieb – nach oben. Sie hustetet stumm und der Prosecco schoss ihr aus der Nase. Blitzartig setzte sie sich auf, keuchte, suchte hektisch nach den Küchentüchern und tupfte sich und die Kissen der alten Couch ab so gut es ging.
»Shit.« Lara stellte die Flasche neben dem Sofa ab und lehnte sich ebenfalls vor. Sie hatte den Arm um Melina gelegt und hielt ihr ihre langen dunklen Haare aus dem Gesicht.
Unwillkürlich musste Melina lachen.
»Geht schon.« Sie tauchte wieder auf und stellte ihr noch halb volle Glas auf den kleinen Tisch vor sich.
»Ich hol mir schnell ein frisches Shirt.« Sie stand auf, stabilisierte ihr Gleichgewicht und machte sich auf in ihr Zimmer. »Bin gleich wieder da – nicht weggehen.«
Sie hörte Laras glockenhelles Lachen hinter sich. Wie immer, wenn ihre Freundin lachte, fühlte sich Melina unwillkürlich an die Fee Tinkerbell aus dem Disneyklassiker Peter Pan erinnert. In ihrem Zimmer war es dunkel und weil sie beim Hereinkommen den Lichtschalter verfehlte, stieß sie zwei Schritte weiter mit dem Fuß gegen ihr Bett.
»Autsch«, fluchte sie leise und schaltete die Lichterkette über ihrem Bett an.
Das nasse T-Shirt zog sie aus und warf es mit einem professionellen 3-Punkte-Wurf in ihren offenen Wäschekorb.
»Yes«, sagte sie und drehte sich bestens gelaunt um. Im Kleiderschrank waren kaum saubere T-Shirts.
Sie hatte die Wahl zwischen einem ausgeleierten und mehr grauen als schwarzen und einem pinken mit dem Aufdruck einer weißen Schleife. Es war von einem Spendenlauf zugunsten der Brustkrebshilfe, an dem sie vor Jahren teilgenommen hatte, als ihre Mama krank gewesen war.
Irgendwie fühlte sie sich nach ihrem letzten Jahr auch ein wenig wie eine Überlebende, auch wenn selbst sie zugeben musste, dass es nicht ganz so lebensbedrohlich gewesen war. Die unvorhergesehene Trennung, Job weg, Wohnung weg. Phasenweise hatte sie sich dennoch intensiv gewünscht, die Erde würde sich unter ihr auftun.
Melina schüttelte das aufkommende Gefühl von Enge in ihrem Hals ab und streifte rasch das pinke Shirt über ihren Kopf. Sie schloss den Schrank und ging zurück ins Wohnzimmer.
»Wow«, konstatierte Lara lachend und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, »da ist wohl morgen mal Waschtag angesagt.«
Auch Melina lachte und zuckte mit den Schultern. Mittlerweile machte es ihr nichts mehr aus, dass Lara sie mit ihrer Waschphobie aufzog. Sie hasste es einfach, Wäsche zu waschen und das nasse Zeug dann aufhängen zu müssen. Entsprechend wartete sie im wahrsten Sinne des Wortes immer bis zum letzten Hemd, ehe sie ihren Wäschesack hinunter in den Keller schleppte.
Sie ergriff ihr Glas und ließ sich zu Lara auf die Couch fallen.
»Kaum zu glauben, dass ich das schon wieder muss. Wie lange wohne ich jetzt hier?«
»Sechs Monate kam es wie aus der Pistole geschossen.« Ein weiterer Grund, miteinander anzustoßen.